Die Presse am Sonntag

Das Kern-Jahrzehnt: »Größer als der Posten des Bundeskanz­lers«

Im Stil eines Entertaine­rs bespielt Christian Kern die Bühne auf dem SPÖ-Parteitag. Die Schatten der jüngeren Geschichte sind noch da, Werner Faymann ist unsichtbar­er Gast. Der Neue will die SPÖ in die digitale Gegenwart holen. Und die Genossen mitnehmen,

- VON OLIVER PINK

Mit beinahe väterliche­m Stolz verfolgt Alfred Gusenbauer in der ersten Reihe die Rede Christian Kerns. Neben ihm sitzt Franz Vranitzky. Werner Faymann ist nicht gekommen. Und doch ist er eine Art unsichtbar­er Gast auf diesem SPÖ-Parteitag.

Eine Zeit lang zumindest. In seiner Eröffnungs­rede bekennt Wiens Bürgermeis­ter, Michael Häupl, dass es nicht sein „persönlich­er Wunsch“gewesen sei, Werner Faymann zu stürzen. Aber es habe nun einmal den Wunsch anderer gegeben, auch eine Personaldi­skussion zu führen. Vielleicht, so Häupl, sei es mit dem „zeitlichen und emotionale­n Abstand“möglich, Faymann noch einmal entspreche­nd zu würdigen. Er

Christian Kern

Geboren am 4. Jänner 1966 in Wien. Studium der Publizisti­k. Pressespre­cher von SPÖ-Staatssekr­etär und -Klubchef Peter Kostelka. Dann Wechsel in den Verbund, wo er es zum Vorstand bringt. Danach Chef der ÖBB. Seit 17. Mai 2016 Bundeskanz­ler. Kern ist zum zweiten Mal verheirate­t, hat drei Kinder aus erster Ehe und eines in der zweiten. danke ihm jedenfalls schon heute. Der Applaus ist enden wollend.

Auch Christian Kern wendet sich in seiner Rede an seinen Vorgänger: „In den vergangene­n fünf Wochen habe ich verstanden, wie schwierig das ist, Fortschrit­te für unser Land zu erreichen.“Werner Faymann habe Österreich durch schwierige acht Jahre geführt, dafür gebühre ihm Dank. Und wenn man nun erfahre, welche Glaubwürdi­gkeit Österreich in Europa habe, dann habe das nicht zuletzt mit Faymann zu tun. Eine Spitze gegen den vormaligen Kanzler gab es dafür im Videobeitr­ag zur Einbegleit­ung des Parteitags: „Es wurde lang genug nur geredet“, durften junge Menschen da sagen.

Im Stil – auch auf der Bühne – unterschei­det sich Christian Kern jedoch grundlegen­d von Werner Faymann. Er spricht frei, die Zettel liegen auf dem Pult daneben. Ein Auftritt wie der eines Entertaine­rs. Er flicht ein paar Scherze ein („Ich habe früher oft ÖBB mit ÖVP verwechsel­t. Wobei: Die einen bewe-

Die SPÖ müsse sich für keine Episode ihrer Geschichte rechtferti­gen, sagt Kern.

gen sich . . .). Oder holt sich Zwischenap­plaus, in dem er aus der „Internatio­nalen“zitiert: „Er rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser – uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“Kern fügt noch ein „Stimmt“hinzu.

Am Ende der Rede wird es minutenlan­gen begeistert­en Applaus geben. Und ein Wahlergebn­is von 96,84 Prozent. Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil bekommt nur 80,4 Prozent. Er hat auch nicht die „Internatio­nale“zitiert, sondern Helmut Schmidt: Die Politik sei dazu da, den Menschen zu dienen. Er spielte damit auf das Sicherheit­sbedürfnis der Bevölkerun­g angesichts der Flüchtling­skrise an.

Christian Kerns 80-minütige Rede ist umfassend, vielleicht ein wenig zu lang. Rhetorisch durchaus eindrucks-

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Christian Kern lässt sich in der Messe Wien von begeistert­en Delegierte­n feiern, auch der interimist­ische
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