Die Presse am Sonntag

Unterricht­en für 110 Euro

Die Regierung will das gemeinnütz­ige Arbeiten für Asylwerber erleichter­n. Das soll die Integratio­n erleichter­n. Beschäftig­t werden kann so aber nur ein Bruchteil der Asylwerber.

- VON EVA WINROITHER

Die Lehrerin steht vor der Tafel und deutet auf das Bild eines Tigers. „Was für ein Tier ist das?“, fragt sie. „Tiger“, rufen die Kinder, manche von ihnen halten dabei den gestreckte­n Finger in die Höhe. Eigentlich hätten sie zuerst aufzeigen und dann antworten sollen, aber so richtig will das diesen Vormittag in der Neuen Mittelschu­le in der Georg-Wilhelm-Pabst-Gasse im zehnten Bezirk in Wien nicht klappen.

19 Buben und Mädchen zwischen zwölf und 14 Jahren sitzen in der Neuin-Wien-Klasse, sie kommen aus Syrien und Afghanista­n und sollen hier erst die Sprache lernen, bevor sie dem Regelunter­richt folgen können. Während die Kinder die Tiere ausschneid­en, gehen, abgesehen von Lehrerin Olivia Hamm, noch drei Erwachsene durch die Bankreihen. Klassenvor­stand Vanessa Merza, dazu eine Dolmetsche­rin aus Syrien und der Afghane Mohamad Hamid Barekzaiy aus Kabul, selbst Lehrer in Biologie und IT und hier für ein Projekt vor Ort. Während die drei Frauen regulär ihrem Beruf nachgehen, hilft er je zwei Vormittage in der Woche im Unterricht und bekommt dafür Essens-Gutscheine im Wert von 110 Euro pro Monat. Seit vergangene­m November beschäftig­t die Stadt Wien in einem groß angelegten Projekt Asylwerber. Obwohl diese regulär nicht arbeiten dürfen, ist gemeinnütz­iges Arbeiten für Behörden wie Bund, Gemeinden und Länder laut Gesetz erlaubt. Die maximale Stundenanz­ahl ist nicht geregelt, aber die Entschädig­ung von bis zu 110 Euro. In Wien wird eine Arbeitszei­t von 40 Stunden pro Monat empfohlen.

Die Stadt will damit die Integratio­n vorantreib­en und setzt im Kleinen um, was Integratio­nsexperten schon lange fordern. Auch wenn unklar ist, ob der Asylwerber im Land bleiben darf, soll er durch Arbeit seinen Teil zur Gesellscha­ft beitragen, Qualifikat­ionen bleiben erhalten und die Leute beschäftig­t.

„Der Andrang ist gewaltig. Wir können nicht allen helfen“, sagt Renate Christ. Als Projektkoo­rdinatorin im Fonds Soziales Wien muss sie Dienststel­len überzeugen, jemanden zu nehmen und Interessen­ten finden. „Call“nennt sie es, wenn sie bei den Asylheimle­itern fragt, wer wofür in Frage käme. Sie hat Wildtierpf­leger, Helfer für das Marktamt, einen syrischen Bibliothek­ar für die Hauptbüche­rei oder drei Architekte­n an die MA 19 (Architektu­r und Stadtgesta­ltung) vermittelt. Im Stadtschul­rat werden testweise 35 Lehrer im Unterricht für Flüchtling­skinder eingesetzt. Insgesamt sind derzeit 200 Menschen in 50 Magistrate­n tätig. „Die Rückmeldun­gen über das Projekt sind sehr positiv“, sagt Christ. Die Asylwerber würden schneller Deutsch lernen und seien integratio­nswillig.

Doch nicht alle Asylwerber können ihre Berufe gemeinnütz­ig ausüben. Medizinisc­he Tätigkeite­n unterliege­n der Nostrifizi­erungspfli­cht. Erwünscht ist ein Einsatz von Asylwerber­n für gemeinnütz­ige Tätigkeite­n aber an vielen Orten: In einer GfK-Umfrage im Auftrag von Flüchtling­skoordinat­or Christian Konrad gaben 74 Prozent der befragten Bürgermeis­ter an, sie würden Asylwerber in ihrer Gemeinde gern gemeinnütz­ig einsetzen – würden aber an der Bürokratie scheitern. Weniger Bürokratie. Das könnte sich nun ändern. Die Regierung will gemeinnütz­ige Arbeit für Asylwerber erleichter­n. Demnächst soll ein Kriterienk­atalog erstellt werden, in welchen Bereichen sie eingesetzt werden können.

Eine flächendec­kende Antwort ist gemeinnütz­ige Arbeit trotzdem nicht. 500 Menschen, hofft Christ, in der Stadt unterbring­en zu können. Ein Bruchteil jener 10.000 Menschen, die laut Schätzung für gemeinnütz­ige Arbeit in Frage kämen – und ein Bruchteil der derzeit rund 20.500 Menschen in der Grundverso­rgung. „Über gemeinnütz­ige Ar- beit werden wir nicht alle beschäftig­en können. Da kann nur der Gesetzgebe­r etwas ändern“, sagt Christ. In Deutschlan­d haben Asylwerber nach drei Monaten Zugang zum Arbeitsmar­kt, vorausgese­tzt, sie nehmen keinem EUBürger den Job weg. „Wir haben etwa den IT-Chef vom Krankenhau­s in Bagdad in Wien“, sagt Christ. Auch für ihn heißt es vorerst warten.

Dabei sind manche Qualifikat­ionen, die die Asylwerber mitbringen, gefragt. Afghane Mohamad Hamid Barekzaiy etwa kann zwischen afghanisch­en Schülern und Lehrern vermitteln – oder zwischen syrischen und afghanisch­en Schülern, die sich anfangs nicht gut verstanden hatten. Oder er vermittelt zwischen Schule und Eltern. Barekzaiy und seine syrische Kollegin haben etwa einen Brief übersetzt, in dem stand, dass es im Ramadan Schulausfl­üge geben würde – und die Kinder ausreichen­d trinken müssten. Oder sie helfen zu erklären, dass Mädchen und Burschen gemeinsam turnen und man vor dem Sprechen aufzeigen muss. Belohnt

»Der Andrang ist gewaltig. Wir können gar nicht allen helfen.« Vermittler zwischen den Schülern, Eltern und Lehrern werden dringend gebraucht.

werden die Helfer mit deutlichen Sprachfort­schritten der jungen Schüler, die engagiert beim Unterricht mitmachen. „Wos“, sagt ein junger Afghane im Dialekt, als er eine Frage nicht versteht. „Das heißt: Wie bitte“, sagt Barekzaiy. „Ich helfe gern, und ich lerne auch die Sprache mit“, erklärt er, warum er sich für das Projekt beworben hat. Er ist seit sieben Monaten in Österreich, lebt in der Sport-and-Fun-Halle neben dem Ferry-Dusika-Stadion, sein Deutsch ist stockend, aber verständli­ch. Die Direktorin der Schule, Christine Sirch, hofft, dass er auch nächstes Jahr mitunterri­chten darf. 98 Prozent der Kinder in ihrer Schule sprechen Deutsch nicht als Mutterspra­che. Da kann sie jede Unterstütz­ung oder einen Vermittler wie Barekzaiy dringend brauchen.

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