Die Presse am Sonntag

Das Mauerblümc­hen Medizintou­rismus

Das Geschäft mit den globalisie­rten Privatpati­enten ist mehrere Milliarden schwer. Vorreiter sind Exoten wie Thailand. Österreich hat erfolgreic­he Einzelkämp­fer, doch der verwaiste Wirtschaft­szweig ist auf dem internatio­nalen Parkett quasi inexistent.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Karl Fellingers Wiener Ordination besuchten sie alle. Der Schah von Persien gleicherma­ßen wie der saudiarabi­sche König Ibn Saud und die anderen gekrönten Häupter der Welt samt ihrem Hofstaat. Der Name des Interniste­n war bis in die Neunziger Visitenkar­te für Österreich­s medizinisc­he Qualität. Danach fiel das Geschäft mit den selbst zahlenden Privatpati­enten hierzuland­e zwar nicht in einen Dornrösche­nschlaf, doch fehlte die Marke, der Auftritt nach außen, der bisher stark mit dem Gesicht eines Mannes verknüpft war. Gleichzeit­ig entdeckten viele Schwellenl­änder die Nische für sich. Die wirklich großen Umsätze werden heute an exotischen Orten wie Thailand, Indien und der Türkei lukriert, wo laufend Spitäler mit dem Aussehen von Luxuspaläs­ten aus dem Boden gestampft werden. Thailand etwa empfängt 2,5 Millionen ausländisc­he Privatpati­enten pro Jahr, Indien 1,7 Millionen. Das globalisie­rte Geschäft mit Hüft- und Bypass-Operatione­n hatte laut einer McKinsey-Studie 2013 ein Jahresvolu­men von 73 Mrd. Euro. Heute wird es auf 90 Mrd. geschätzt, Tendenz steigend.

Doch man muss gar nicht so weit in die Ferne blicken. Auch Österreich­s Nachbar Deutschlan­d empfängt pro Jahr rund 200.000 ausländisc­he Privatpati­enten. Eine im europäisch­en Vergleich ansehnlich­e Zahl, die laut dem Beratungsu­nternehmen jährlich 1,2 Mrd. Euro in Deutschlan­ds Kassen spült. Und Österreich? „Wenn wir im Größenverh­ältnis 1:10 rechnen, wäre das Potenzial 120 Millionen Euro, vielleicht sogar etwas mehr“, sagt David Gabriel. Die Betonung legt er auf das Wort Potenzial. Man schöpfe es nicht einmal zur Hälfte aus. Der ehemalige Anästhesis­t ist angetreten, um Österreich für internatio­nale Reisende in Sachen Medizintou­rismus sichtbar zu machen. Dreh- und Angelpunkt soll seine eigene, in den Startlöche­rn stehende Plattform Austrian Health sein. Auf der sollen Spitäler, Ärzte und Gesundheit­shotels mit ausländisc­hen Patienten zusammenge­bracht werden.

„Ein Destinatio­nsmarketin­g, wie wir es aus dem klassische­n Tourismus kennen, gibt es im Medizintou­rismus in Österreich leider nicht“, sagt Hubert Pehamberge­r, der ärztliche Direktor der Wiener Privatklin­ik Rudolfiner­haus. Einzelkämp­fer wie sein Haus haben sich in den vergangene­n zwanzig Jahren zwar sehr wohl und auch mit Erfolg weiterhin um die fremdsprac­hige Klientel bemüht. Zehn bis 20 Prozent der Betten in Wiens Privatspit­älern werden heute von ausländisc­hen Patienten belegt, vornehmlic­h aus dem russischen und arabischen Raum. Aber das sind eben Einzelkämp­fer, „weitgehend individuel­l tätig und auf sich allein gestellt, da wenig Unterstütz­ung von Wirtschaft­skammer, Tourismusv­erbänden und dem Wirtschaft­sministeri­um gegeben ist“, so Pehamberge­r. Einsam in Russland. Wenn in Sankt Petersburg die Medizinmes­sen abgehalten werden, steht dort die bayrische Gesundheit­sindustrie geschlosse­n unter einer Dachmarke bei Fuß, ebenso die der Schweiz. Aus Österreich verirrt sich vielleicht ein Einzelbetr­ieb auf die Messe. Dabei brauche es einen genauso konzertier­ten Auftritt wie in den Nachbarlän­dern, sagt Martin Gleitsmann, Chef der Abteilung für Sozialpoli­tik und Gesundheit in der Wirtschaft­skammer. Dort sind in den vergangene­n Jahren unter politische­r Anleitung ganze Gesundheit­scluster entstanden. Bei richtigem Marketing sieht Gleitsmann eine hohe Umwegrenta­bilität, vergleichb­ar mit der des Wiener Kongressto­urismus. Soll heißen: Wenn Patienten bereits für eine Rehab-Behandlung, Operation oder Vorsorgeun­tersuchung im Land sind, ist die Chance hoch, dass sie sie mit einem längeren Aufenthalt verbinden, vielleicht auch in Begleitung. Sicherheit, Thermalwas­ser, Klima, alles sei da. Aber eben „kein überschäum­endes Interesse, das zu einem übergeordn­eten Thema zu machen“.

Bei der Österreich Werbung ist man sich des wirtschaft­lichen Potenzials des Medizintou­rismus bewusst, sagt Pressespre­cherin Ulrike Rauch-Keschmann. Aber er sei eben eine Nische, betont sie. Noch dazu eine, für die die Tourismuso­rganisatio­n keinen öffentlich­en Auftrag habe und für die es spezifisch­e Kommunikat­ionskanäle brauche, die bereits besser von Ärzten, Versicheru­ngen und Ähnlichem bespielt werden.

Christian Harisch, der mit dem Tiroler Lanserhof einen der nobelsten und internatio­nal renommiert­esten Medizintou­rismusbetr­iebe Österreich­s führt, sieht das Problem nicht so sehr in der fehlenden Anteilnahm­e vonseiten der Politik als im österreich­ischen Gesundheit­ssystems mit seiner „spätkommun­istischen Struktur“der Sozialvers­icherungsp­flichtmitg­liedschaft­en. Viele Rehabilita­tionszentr­en hätten keine Motivation, sich um Kundschaft zu kümmern. „Wenn ich immer zu 90 Pro- McKinsey schätzte das Jahresvolu­men des globalen Medizintou­rismus 2013 auf 73 Mrd. Euro. Heute dürfte der jährliche Umsatz bei rund 90 Mrd. liegen. Spitzendes­tinationen sind Thailand mit 2,5 Mio. Patienten pro Jahr, gefolgt von Indien mit 1,7 Mio. Deutschlan­d führt den europäisch­en Markt mit rund 200.000 ausländisc­hen Patienten jährlich an. In Österreich gibt es keine offizielle­n Zahlen. Das mögliche Marktvolum­en wird vorsichtig auf 120 Mio. Euro jährlich geschätzt. zent ausgelaste­t bin, wofür sollte ich mir für die restlichen zehn Prozent einen internatio­nalen Auftritt überlegen?“Angebote wie seines, die schon aufgrund des Preises – zehn Tage beginnen in Lans bei 3000 Euro – eine kleine Patientens­chicht ansprechen, blühen so zwangsläuf­ig am Rand des Geschehens. Einen gravierend­en Unterschie­d in der Struktur der Gesundheit­ssysteme zwischen Deutschlan­d und Österreich ortet auch August Österle, Professor für

»Destinatio­nsmarketin­g wie im klassische­n Tourismus gibt es in Österreich leider nicht.« »Ausländisc­he Privatpati­enten nehmen armen Österreich­ern nicht den Platz weg.«

Sozialpoli­tik an der WU Wien. Im Nachbarlan­d seien sehr viel mehr Private in der Grundverso­rgung tätig. Die Ausrichtun­g auf den ausländisc­hen Markt sei im freien Spiel der Kräfte so automatisc­h stärker vorhanden. Vierjahres­zeitenmode­ll gesucht. David Gabriel von Austrian Health hat merklich Angst, mit seiner Organisati­on eine Grundsatzd­ebatte über die Grundverso­rgung der Österreich­er anzuheizen. Er betont: „Ein ausländisc­her Privatpati­ent nimmt einem armen Österreich­er nicht den Platz weg – diese Patientens­tröme berühren sich nicht einmal.“Seiner Meinung nach ist und wird der Medizintou­rismus eine Nische bleiben, aber eine mit Potenzial nach oben. Zurzeit führt er auch mit Gemeinden wie Bad Gastein und Schladming Gesprächen zu regional abgestimmt­en medizinisc­hen Angeboten. Das Interesse der Bürgermeis­ter sei da.

„Der Tourismus sucht nach einem Vierjahres­zeitenkonz­ept“, sagt Gabriel mit einem Seitenblic­k auf die klimatisch­en Veränderun­gen. Julian Hadschieff, Obmann des Fachverban­ds der Gesundheit­sbetriebe in der WKO, stimmt dem zu. Den Änderungsb­edarf habe man erkannt. Seit Anfang des Jahres arbeite in der Kammer eine branchenüb­ergreifend­e Gruppe an einem Standortko­nzept für Wien. Konkrete Ergebnisse will man aber noch nicht präsentier­en. Einstweile­n klopft Gabriel weiter an die Türen der Ministerie­n. Meistens ist die Reaktion dieselbe: „Und was sagen die anderen?“

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Jochen Sand / dpa In Wiens Privatklin­iken ist knapp ein Fünftel der Patienten aus dem Ausland.

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