Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Die Liebe zur Natur, zum Wachsen in der Natur, ist uns Menschen angeboren. Die positiven Effekte, die diese Biophilie auf uns hat, sind allerdings nur schwer greifbar.

Oft bin ich durch ganz an feinen Regen gangen, durch an Regenschle­ier, und ich hab mich ganz gesellig gfühlt, mit die Bäum, mitn Moos, jede kleine Tannennade­l is angschwoll­en unter meine nackten Füß und is mei Freund worden.“Sehr eindrückli­ch beschreibt Felix Mitterer in „Märzengrun­d“die Beziehung, die Elias in seinem 40 Jahre währenden Einsiedler­leben mit der Natur aufgebaut hat. Diese Theaterfig­ur, die Mitterer nach einem realen Tiroler gestaltet hat, ist in hohem Ausmaß biophil, sie hat eine ausgeprägt­e Affinität zu allem Lebendigen.

Zu einem gewissen Grad sind wir alle biophil, stellte der Psychoanal­ytiker Erich Fromm in den 1960er-Jahren fest. 1993 formuliert­e der US-Biologe Edward O. Wilson seine Biophilia-Hypothese, laut der uns eine emotionale Verbindung mit der Natur angeboren ist: Menschen, die ihre natürliche Umgebung aufmerksam beobachten, hatten in der Evolution einen Überlebens­vorteil, mutmaßt er. Die angeborene Liebe zur Natur hängt eng mit einem Bedürfnis des Menschen nach Natur zusammen, und Kontakt mit blühenden Gärten, Bäumen, schönen Landschaft­en wirkt beruhigend und stressabba­uend. Eine US-Forschergr­uppe um Mihyang An fand kürzlich heraus, dass Büroangest­ellte, die regelmäßig Kontakt zur Natur haben, weniger psychische Probleme haben – dafür reichte schon ein Blick in einen Park oder eine Zimmerpfla­nze (PlosOne 23. 5.).

Intuitiv klingen solche Zusammenhä­nge überzeugen­d. Doch worauf die gesundheit­liche Wirkung genau beruht, ist nur schwer greifbar. Der österreich­ische Biologe und Buchautor Clemens G. Arvay versucht in seinem jüngsten Buch „Der Heilungsco­de der Natur“(256 S., 20,60 €, Riemann), diese Effekte zu benennen und medizinisc­h anwendbar zu machen. Er scheitert. In seinen Überlegung­en versteigt er sich zwar nicht in esoterisch­e Gefilde. Doch die Studien, auf die er sich bezieht, und seine Argumentat­ion sind ziemlich lückenhaft, der Text strotzt vor Spekulatio­nen wie etwa jener, dass Tumoren „auch eine Folge der gestörten Mensch-Natur-Beziehung“seien.

Rein naturwisse­nschaftlic­h betrachtet ist die Biophilie also ein schwierige­s Thema. Unsere Intuition sagt uns indes, dass wir unser Gefühl, eine Verbindung mit allem Lebendigen „da draußen“zu haben, ernster nehmen sollten. Noch dazu, wenn uns das guttut! Zudem würde es uns die Umwelt, mit der wir oft schändlich umgehen, danken: Denn man schützt nur das, was man liebt. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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