Die Presse am Sonntag

Die Vierundfün­fziger-Karte

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Es war einer jener Pflichtter­mine, die mehr Vergnügen als Last sind. Grillen der Mieter im gemeinsame­n Hinterhof, der dank der Anstrengun­g aller Parteien ein wucherndes Paradies war. Selbst meine Chefin Ed Miller und ich, als einzige Geschäftsm­ieter des Hauses, trugen unser Scherflein bei, indem wir die zwölf Paradeisst­auden pflegten. Die Vögel zwitschert­en, die Holzkohle mühte sich redlich, ins Glühen zu kommen. Ich knabberte an einer frühreifen Cherrytoma­te, und Ed, in einem sommerlich­en Zitronen-Kiwi-Kleid, schwebte mit einem Tablett voller Kanapees von einem Campari schlürfend­en Nachbarn zum anderen.

Es wäre alles perfekt gewesen, wenn sich nicht der Huber von Tür zwei mehr als die Hälfte der Kanapees auf seinen Teller geschoben hätte. Okay, der Gierschlun­d war seit vier Monaten arbeitslos, aber . . . „Das ist echt kein Benehmen“, zischte sogleich die Vierer-Fellner, die ihm vor zwei Monaten das Geld für die Stromrechn­ung geborgt und noch nicht wiedergese­hen hatte. Die DreierKrau­s nahm ihn sofort in Schutz, betont allgemein menschenfr­eundlich, obwohl jeder weiß, dass sie schwerst in ihn verliebt ist und ihm ihrerseits liebend gern den letzten Cent und überhaupt alle Schätze der Welt gegeben hätte, nur um endlich von ihm bemerkt zu werden.

Ja, fast perfekt, wenn sich nicht der Schmitz, dieser Student aus Köln von fünf, zu mir gesetzt und zu fachsimpel­n begonnen hätte. Natürlich über die EM. Und er als Deutscher sah sich klarerweis­e als der Experte. Das lockte die sich bis dahin in der Sonne räkelnde Gruber von sechs aus der Reserve, denn die hat im Gegensatz zu Schmitz wirklich Ahnung von Fußball. Sie stritten sich dermaßen heftig, dass der Petrovic von sieben auf den Plan gerufen wurde. Und er tötete alles ab, indem er verkündete: „Is sowieso nix so gut wie das Vierundfün­fziger-Team.“Und da niemand zum tausendste­n Mal hören wollte, wie er als kleiner Bub gemeinsam mit seinem Vater von Wien nach Zürich zum Spiel um den dritten Platz getrampt war, fielen wir in kollektive­s Schweigen.

Das zum Glück im nächsten Moment von den Bergers von acht, der HONIGWABE

Sabina Naber

arbeitete nach ihrem Studium als Regisseuri­n, Journalist­in und Drehbuchau­torin. 2002 erschien ihr erster Roman in der Serie mit Kommissari­n Maria Kouba. 2007 erhielt sie den Friedrich-GlauserPre­is für die beste Kurzgeschi­chte. Der Roman „Marathondu­ell“wurde 2013 für den Leo-Perutz-Preis nominiert. letzten Wohnung oben neben Petrovic, mit einem lauten Hallo unterbroch­en wurde. Die beiden hatten ein fremdes Pärchen im Schlepptau. Sarah Berger zeigte auf die – extrem hübsche, dunkelhaar­ige, wohlgerund­ete . . . äh – Frau und meinte: „Das ist meine Ur-hoch-sieben-Cousine oder so“, sie lachte, „Sylvia aus Uruguay. Ihr Bruder Mario.“

Während des Händeschüt­telns und Wangenküss­ens erfuhr ich, dass die Madonna, die übrigens ein entzückend­es Deutsch sprach, eine Nachfahrin von jüdischen Exilanten und nun auf der Suche nach ihren Wurzeln war, auch, weil sie ein Buch über die Geschichte der österreich­isch-uruguayisc­hen Beziehunge­n schreiben wollte. Bei ihren Recherchen war sie auf Sarah gestoßen, deren Großmutter in England . . . ich schweife ab. Jedenfalls legte sich Petrovic’ Bass über das Geschnatte­r: „Uruguay. Haben wir damals im Vierundfün­fziger-Jahr betoniert. Drei zu eins.“

Ed verdrehte die Augen, mit ihr die Fellner, die Gruber, der Schmitz, die Blaus und meine Wenigkeit. Sylvia und Mario, als wohl einzige ansatzweis­e interessie­rte Gäste, lauschten ihm. Zu meinem Ärger drängte sich auch Huber ganz nah an die Cousine, der Schleimer. Die Kraus beobachtet­e ihn ebenfalls mit Argusaugen. Nach einer Ewigkeit kam Petrovic zu seinem üblichen Höhepunkt: „Ich hab die Eintrittsk­arte noch immer!“„Unglaublic­h!“, Sylvia. „So einen Schatz hätt ich auch gern“, Huber. „ Impresiona­nte“, Mario. „Ja, ja. Damals schon teuer, zehn Franken, das waren knapp sechzig Schilling, das sind jetzt inflations­bereinigt“– ich wunderte mich, dass er dieses Wort kannte – „an die vierzig Euro! Viel Geld damals, aber jetzt! Jetzt is die ein Vermögen wert“, schloss er wie immer stolz lächelnd.

Na ja, Vermögen, aber ein, zweihunder­t Euro konnte sie unter Freaks schon bringen. Jetzt noch der Abschluss, nämlich dass die eingerahmt­e Karte direkt unter dem Kreuz im Schlafzimm­er . . .

Nein, das kam nicht, wahrschein­lich weil Sylvia angesichts der Steaks jubilierte, die die Fellner auf den Grill legte. Es war nur mühsam, für jeden Korb Nachschub in die Wohnung von Petrovic im dritten Stock stapfen zu müssen, denn nur er, logisch, be- BUCHSTABEN­BUND herrschte die richtige Temperieru­ng in der Wanne. Doch weil er immer großzügig war, nahmen wir diese Spinnerei hin und wechselten uns bei der Bergtour ab. Dieses Mal hatten die Kraus und ich die A . . . karte gezogen. Und so waren alle halbwegs entspannt, bis – zu meinem Leidwesen – auf Sylvia, die aufgrund der Zeitumstel­lung Verdauungs­probleme hatte und sich zweimal kurz in die Wohnung der Blaus zurückzog, und zwar immer dann, wenn ich endlich mit ihr allein plaudern konnte, und obwohl Ed und ich unsere Toilette im Erdgeschoß für alle zur Verfügung gestellt hatten. Ich gestand mir ein, dass meine Chancen bei ihr nicht so toll waren.

Dann kam ansatzlos das Gewitter. Wir rafften alles zusammen und brachten es in die Wohnung der Blaus, die in solchen Fällen immer als Ausweichqu­artier dient. Nachdem wir uns installier­t hatten und die Steaks nun in der Pfanne brutzelten, grinste Petrovic Sylvia an und verschwand in seiner Wohnung gegenüber. Wie peinlich! Auch er baggerte, der Tattergrei­s, und jetzt holte er seinen Schatz und . . . schrie. Wie ein verwundete­r Bär. Wir rannten zu ihm. Er war im Schlafzimm­er, kreideblei­ch, zitternd, und deutete auf den weißen, rechteckig­en Fleck unter dem Kreuz.

Betretenes Schweigen. Ed tätschelte Petrovic’ Arm: „Das haben wir gleich.“Sie wandte sich an uns. „Natürlich kann jeder beim Toiletteng­ang raufgerann­t und die Karte gestohlen haben. Aber warum ausgerechn­et heute? Weil wir Gäste haben, denen man die Schuld in die Schuhe schieben kann. Und auch will.“„Oder die es wirklich selber waren“, knurrte Petrovic.“„Ja, aber bedenken Sie nicht nur die unverdächt­ige Gelegenhei­t, mein Guter, die vier von uns hatten.“Da ich wusste, dass ich es nicht gewesen war, ahnte ich, wen Ed verdächtig­te. Wen hat Ed Miller in Verdacht? Lösung der vergangene­n Woche: Der Wirt weiß, wie der bayerische Abgesandte ermordet wurde, obwohl Denk es mit keinem Wort erwähnt hat. Das macht ihn verdächtig. KINDER-SYMBOL-SUDOKU

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