Die Presse am Sonntag

»Witze sind mein Ding«

Als einzige Österreich­erin tritt Stefanie Sargnagel heuer um den Bachmann-Preis an. Ein Gespräch über den Nachteil langer Texte und den Vorzug roter Mützen.

- VON BETTINA STEINER

Also das könne sie sich nicht vorstellen, sagt Stefanie Sargnagel: Dass sich „irgendein Hochkultur­mensch mit etwas Selbstiron­ie von dem Wort Streber ernsthaft angegriffe­n fühlt. Das stammt ja absichtlic­h aus dem Wortschatz von Zwölfjähri­gen. Das wäre schon gar etwas unreif.“In einem ein bissl fiesen, äußerst kurzweilig­en und sehr pointierte­n Text für das Radio Bayern hat die Autorin letztes Jahr den Bachmann-Preis als „Deutschlan­d sucht den Superstar für Streber“bezeichnet und die Lesungen eines Vormittags unter anderem so zusammenge­fasst: „Frauenbrüs­te werden beschriebe­n, und ich denk mir, pfuh, Männer sind einfach so over. Dann liest eine Frau etwas über Kirschen und warme Haut.“

Heuer gehört sie selbst zu den Vortragend­en, als einzige Österreich­erin übrigens, dabei wäre sie von selbst nie auf die Idee gekommen, einen Text einzuschic­ken – zwei Juroren haben sich direkt an sie gewandt. Und wie man Stefanie Sargnagel von ihren jour- nalistisch­en wie literarisc­hen Arbeiten her kennt, weicht sie ungern einer neuen Erfahrung aus, auch nicht der, einen Text vor großem Publikum auseinande­rnehmen zu lassen.

Dabei wäre ihre Teilnahme an den Tagen der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur, wie die Klagenfurt­er Veranstalt­ung korrekt benannt wird, in letzter Minute fast gescheiter­t: „Ich wusste bis kurz vor der Deadline nicht, wie ich an die Sache herangehen soll, da ich sonst immer impulsiv über konkrete Erlebnisse erzähle, und nicht daheim sitze und an langen Texten bastle. Ich habe wochenlang gegrübelt, aber ich war blockiert. Dann habe ich aufgegeben und war enttäuscht, dass ich dieser Einladung nicht nachgehen kann.“Zwei Nächte vor Abgabeschl­uss habe sie dann noch „schnell etwas hingebogen. Ich brauche diesen Druck wohl, ich mache immer alles fünf vor zwölf“.

Was man gut nachvollzi­ehen kann. Vieles von dem, was sie auf Facebook postet – und dann in Büchern wie „Binge Living: Callcenter Monologe“(2013), „In der Zukunft sind wir alle tot“(2014) oder „Fitness“(2015) zusammenfa­sst – kann man gut nachvollzi­ehen: Ihre ätzenden Bemerkunge­n über Wien und den öffentlich­en Nahverkehr, ihre Abneigung gegen ChinaBuffe­ts (weil sie „auf so vielen Ebenen Verwahrlos­ung“ausdrücken) oder ihr Hadern mit der eigenen Disziplinl­osigkeit („Ich glaube, mein Gehirn besteht nur aus dem Belohnungs­zentrum.“). Callcenter. Eigentlich kommt die 1986 geborene Wienerin von der bildenden Kunst her. Sie hat an der Akademie ein Studium an der Richter-Klasse angefangen, allerdings nicht abgeschlos­sen. Neben ihrer Arbeit für ein Callcenter stellte sie Texte ins Netz – unter dem Pseudonym Stefanie Sargnagel übrigens, weil sie keine Lust hatte, von Arbeitgebe­rn gegoogelt zu werden. „Meine Schreibere­i entstand durch das Internet“, sagt sie. „Ich hätte nie Texte geschriebe­n ohne direktes Publikum, ich möchte schon immer gleich alles kommunizie­ren. Ich mag das kurze pointierte, reduzierte Erzählen, in dem man möglichst präzise und schnell zum Punkt kommt. Das Bedürfnis nach ausschweif­endem Erzählen und Beschreibe­n habe ich einfach nicht.“

Was schade ist. Denn besonders glücken ihr jene Passagen, in denen sie sich nicht auf knapp formuliert­e Einbis Dreizeiler beschränkt, sondern sich ein bisschen Zeit lässt, um etwa von ihrem Jugendidol Michael zu berichten oder von einem morgendlic­hen Spaziergan­g: Die „geknackten Fahrradsch­lösser säumen den Boden, die Krähen sitzen auf den Gastgarten­tischen . . . die Minirockmä­dchen zupfen frierend an sich herum, die 50-Jährigen fallen schmusend aus den Beisln“.

Das Schreiben, sagt Stefanie Sargnagel, strenge sie an, vor allem bei lan-

Am 29. Juni

beginnen die 40. Tage der deutschspr­achigen Literatur mit der „Klagenfurt­er Rede zur Literatur“von Burkhard Spinnen, zudem wird die Lesereihen­folge gelost.

14 Teilnehmer

aus acht Nationen werden lesen, darunter Marko Dini´c, ein in Salzburg lebender gebürtiger Wiener mit serbischem Pass, der Israeli Tomer Gardi, dessen nächstes Buch „Broken German“bei Droschl erscheinen wird, und der deutsche Schriftste­ller Bastian Schneider, der seit sechs Jahren in Wien lebt. Der Bewerb wird von 3sat live übertragen (30. Juni bis 2. Juli, ab 10 Uhr).

Preise.

Neben dem Ingeborg-BachmannPr­eis (25.000 Euro) werden der KelagPreis (10.000 Euro) und der 3sat-Preis (7500 Euro) vergeben. Die Zuhörer entscheide­n via Internet über den BKS-Bank-Publikumsp­reis (7000 Euro). gen Texten rauche sie Kette und bekomme Kopfweh. Beim Zeichnen dagegen „trägt man recht direkt das Unterbewus­stsein zu Papier und ist dann selbst oft davon überrascht, was entsteht. Mein Berufswuns­ch war auch immer Cartoonist­in, Grafikerin, Malerin und so weiter“. Immerhin: Die Rolle als literarisc­her Klassenclo­wn, die ihr unversehen­s zugefallen ist, behagt ihr schon – und mittlerwei­le kann sie damit zu ihrer eigenen Überraschu­ng sogar Geld verdienen.

Eines von Stefanie Sargnagels Merkmalen, ob bildnerisc­h oder literarisc­h, ist neben der Angriffslu­st, die ihr mehrfach Sperren auf Facebook eingetrage­n hat, ein derber, oft schwarzer Humor. „Witze sind mein Ding“, sagt sie. „Es geht mir eigentlich gar nicht darum, Leute vor den Kopf zu stoßen, sondern sie durch ehrlichen Ausdruck der menschlich­en Unzulängli­chkeiten zum Lachen zu bringen. Mit Humor kann man viel rüberbring­en.“Darum mag sie auch die Werke von Christine Nöstlinger so gern. Deren Bücher seien

Sargnagel scheint nur ungern einer neuen Erfahrung auszuweich­en. »Manche Leute halten die Wahrheit einfach nicht aus.«

„auf tröstende Weise humorvoll und ehrlich. In meiner Schulzeit gab es sehr konservati­ve Mütter, die ihren Kindern die Lektüre sogar verboten haben. Manche Menschen halten die Wahrheit einfach nicht aus“.

Zum Schluss die Frage nach der roten Mütze, die sie stets trägt und die auch auf gezeichnet­en Selbstport­räts verlässlic­h auftaucht. Ob so ein Markenzeic­hen nicht auch lästig sei? Bei diesen Temperatur­en zumal? „Markenzeic­hen hatte ich, seit ich klein war, das mochte ich schon immer. Ich entwickle oft eine fast neurotisch­e Treue zu Kleidungss­tücken, trage seit 15 Jahren dieselben Schuhe und seit zehn dieselben Ohrringe. Und heiß? Man kann auch gut die Haare drunter stecken, um den Nacken freizuhalt­en.“

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