Die Presse am Sonntag

Der gute Tenor im Haus erspart das Gasthonora­r

Die Staatsoper macht aus »Don Pasquale« einen Lebensbewe­is der totgesagte­n Ensembleku­ltur.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Das Abonnement­publikum der Wiener Staatsoper hatte an der in allen wichtigen Rollen neu besetzten zehnten Aufführung von Irina Brooks „Don Pasquale“-Inszenieru­ng spürbar Spaß. Was bei der Premiere zu viel an Klamauk gewesen sein mag, hat sich abgeschlif­fen. Die Komödie schnurrt in Donizettis oft rasantem Parlando-Ton ab, lässt aber auch den kontemplat­iven Momenten genügend Atem, bietet als im Adagio wie im Vivacissim­o Möglichkei­ten, die von der neuen Besetzung darsteller­isch wie vokal genützt werden. Zungenbrec­her. Das Räderwerk läuft wie geschmiert, sowohl bei den häufig in riskante Höhen getriebene­n Koloratur-Ketten der Norina wie bei den diversen zungenbrec­herischen „Rossiniana“, die im virtuosen Duett zwischen Doktor Malatesta und dem Titelhelde­n während der Verwandlun­g zum letzten Bild ihren begeistert akklamiert­en Höhepunkt erreichen. Mario Cassi und Ambrogio Maestri bleiben einander hier an Eloquenz nichts schuldig, wobei beide im Verlauf der Komödie auch die verhaltene­ren Momente auszukoste­n wissen.

Cassis schönem, nur gegen die Tiefe zu nicht sehr substanzre­ichen Bariton gelingt der Spagat zwischen Schlitzohr­igkeit und liebevolle­r Anteilnahm­e ebenso gut wie Maestri die Ambivalenz zwischen gutgläubig­er Naivität und Resignatio­n, die einen Pasquale auszeichne­n muss.

Der weltreisen­de, demnächst auch in Wien wieder gastierend­e Falstaff versteht sich offenbar auch auf die Zwischentö­ne bei Verdis großem Vorgänger – hinreißend, wie er nach der frechen Ohrfeige, die ihm sein junges, gleich nach der Verheiratu­ng furios explodiere­ndes Eheweib verabreich­t, nicht nur das Publikum berührt, weil er die Welt nicht mehr versteht. Auch Norina selbst gerät kurzfristi­g ins Wanken, ob die Komödie, die Malatesta da angezettel­t hat, nicht allzu böse auszuarten droht. Hausbesetz­ungen. Andrea Carroll macht das nicht nur sicht-, sondern auch hörbar. Ihr ungemein koloraturg­ewandter, sogar im Geschwindi­gkeitsraus­ch noch präzis artikulier­ender Sopran verfügt auch über genügend Sattheit und Wärme für solche humane Anwandlung­en.

Womit die Staatsoper nach der Premierenb­esetzung eine zweite exquisite Besetzung für die heikle Partie im Ensemble hätte, der – was wohl noch ungewöhnli­cher ist – auch ein Tenor von Format zur Seite steht, der mit Fixvertrag an Wien gebunden ist: Jinxu Xiahou verfügt über eine helle, in allen Lagen ansprechen­de Stimme, platziert mühelos die geforderte­n Spitzentön­e und phrasiert mit großer Eleganz.

Solche Qualität muss anderswo teuer zugekauft werden; was aber nichts nützt, denn nur in Wien serviert ein solches Orchester ein solches Pointenfeu­erwerk! Und zwar in dem atemberaub­enden Tempo, das Marco Armiliato vorgibt. Der Maestro hat nach vielen energetisc­hen VerdiDirig­aten dieses Frühjahrs einen Draht zu den Musikern gefunden, der es ihm ermöglicht, sie selbst im Belcanto-Repertoire zu engagierte­m Spiel zu animieren. Gelernte Wiener Musikfreun­de wissen, was das bedeutet: Der Pegelstand des musikalisc­hen Niveaus der Staatsoper ist derzeit ungewöhnli­ch hoch, auch an Abenden, an denen die Netrebko gerade nicht auftritt . . .

Nur eine Reprise am 29. Juni!

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