Die Presse am Sonntag

»Das ist ja alles nicht zu derspielen«

Der österreich­ische Pianist Rudolf Buchbinder mag es nicht, freie Tage in einem Hotel zu verbringen. Lieber spielt er viele Konzerte en bloc. Mit welchen Orchestern und Dirigenten er Konzerte gibt, überlegt er sich gut, denn »wenn es nicht funktionie­rt, h

- VON JUDITH HECHT

Verfolgen Sie die Fußball-Europameis­terschaft? Rudolf Buchbinder: Ja, ich bin sogar am 10. Juli beim Finale in Paris. Welches Finale wünschen Sie sich? Ich hätte mir Österreich im Finale gewünscht. Der Traum ist ja nun geplatzt. Jetzt hoffe ich auf die Spanier. Sie spielen den schönsten Fußball. Schade finde ich nur, dass bisher Fernando Torres nicht zum Einsatz kam. Ich habe mir angesehen, in wie vielen Städten der Welt Sie dieses Jahr schon Konzerte gegeben haben. Es sind weit über 30. Strengt Sie das viele Reisen durch alle Zeitzonen sehr an? Überhaupt nicht. Im Flugzeug entspanne ich mich, das ist Erholung. Darum fliege ich auch, wann immer es nur möglich ist, nach Hause. Einmal sogar von Montreal, als ich zwischen zwei Konzerten drei Tage Pause hatte. Da muss das Heimweh ja groß gewesen sein. Ich bin einfach sehr gern zu Hause. Wissen Sie, meine Karriere verläuft – Gott sei Dank – wie ein Crescendo. Aber die Anzahl der Konzerte ist all die Jahre immer gleich geblieben. Ich bin kein Vielspiele­r. Und was ich gar nicht gern mache, ist, in 14 Tagen sieben Konzerte zu spielen. Ich will in sieben Tagen sieben Konzerte spielen. Aha? Ich mag die freien Tage dazwischen nicht, die sind ein Problem. In irgendwelc­hen Städten im Hotel herumsitze­n, das ist schlimm. Das drückt auf die Stimmung. Sie wohnen doch sicher in guten Hotels. Ja, die sind alle fantastisc­h. Ich habe zwei Prinzipien: Man muss so bequem wie möglich fliegen und so schön wie möglich wohnen. Erst dann können wir überhaupt über ein Konzert sprechen. Klingt, als wären Sie ein zäher Verhandler. Ich verhandle nie. Das macht meine Managerin. Und sie kennt mich genau und weiß, welche Konzerte sie ungefragt ablehnen, welche sie zusagen kann und über welche wir diskutiere­n sollten. Welche Konzerte sagt Ihre Managerin ohne Rücksprach­e ab? Na ja, es gibt Orchester und Dirigenten, mit denen ich nicht spielen will. Weil die Chemie nicht stimmt? Ob die Zusammenar­beit funktionie­rt oder nicht, merke ich sehr schnell. Man muss dieselbe Musik atmen. Entweder es stimmt sofort, oder es funktionie­rt nie. Man könnte sich auch zusammenra­ufen. Nein, da helfen auch 20 Proben nicht. Wenn es hingegen mit einem Dirigenten funktionie­rt, dann ist das eine wunderbare Partnersch­aft. Man schaut sich an, steht wortlos im Zwiegesprä­ch, wirft einander die Bälle zu und kann improvisie­ren. Das heißt, vor allem bei Mozart-Konzerten, bei Beethoven ist es ja nicht erlaubt. Wieso? Beethoven wollte das nicht. Carl Czerny (Anm.: österreich­ischer Komponist und Pianist, 1791–1857) hat einmal bei einer Beethoven-Sonate etwas ein bisschen anders gespielt, und Beethoven war daraufhin fuchsteufe­lswild. Bei Mozart hingegen war Improvisat­ion

1946

wurde Rudolf Buchbinder in Litomˇeˇri­ce in der Tschechosl­owakei geboren. Schon als Neunjährig­er gab er seine ersten Konzerte.

1958

wurde er an der Musikhochs­chule Wien in die Meisterkla­sse von Bruno Seidlhofer aufgenomme­n. Ihr gehörte auch Friedrich Gulda an.

Seit 2007

ist er künstleris­cher Leiter des neuen Musikfesti­vals Grafenegg.

Im Dezember 2016

feiert er seinen 70. Geburtstag. In seiner Freizeit beschäftig­t sich Buchbinder mit Literatur und Malerei. geradezu erwünscht, er hat kein Stück zweimal gleich gespielt. Es gibt einige wenige Dokumente von Mozart, anhand derer wir sehen, wie gut er improvisie­ren konnte. Er hat die Improvisat­ionen für seine Schüler niedergesc­hrieben. Aber auch Beethoven konnte stundenlan­g an seinem Klavier spielen und fantasiere­n – wie es damals geheißen hat. Der Unterschie­d ist nur, dass Beethoven das nur im privaten Kreise machte, nie bei einem Konzert. Lässt er dem Interprete­n auch Spielräume? Ja, man hat sehr viele Freiheiten bezüglich des Tempos. In seinem Opus 90 im zweiten Satz, da wechselt er immer wieder das Tempo. Es ist eine sehr romantisch­e Sonate. Überhaupt ist Beethoven der größte Romantiker für mich. Sie haben zu Beethoven ein sehr liebevolle­s Verhältnis. Ja, er hat mich schon in meinen Jugendjahr­en fasziniert. Es wäre ein Traum, einmal bei ihm in seinem Zimmer in einem Eck zu sitzen, nur um ihm ganz still zuzuhören. Vielleicht wären Ihnen dabei auch ein paar Illusionen genommen worden. Kann sein. Schauen Sie, ob Mozart oder Beethoven, appetitlic­h waren die damals alle nicht. Ober er eine Zwiderwurz­en war, das weiß ich nicht. Franz Schubert war eine, der hat am Ende seines Lebens sogar seine besten Freunde vertrieben. Beethoven hat sein schlechtes Gehör unglaublic­h misstrauis­ch gemacht. Ja, das ist wohl der Grund. Das „Heiligenst­ädter Testament“( Anm.: Brief von Beethoven von 1802 an seine beiden Brüder) ist eine der niederschm­etterndste­n Schriften, die ich kenne. Er schreibt als 30-Jähriger, dass er sich das Leben nehmen will. Das ist ja furcht- bar. Gott sei Dank hat er es nicht gemacht. Letztlich war er ein Mensch, der sich sein ganzes Leben nach Wärme und Liebe gesehnt hat. Er hat sie nie bekommen. Er hat sich immer in die falschen Frauen verliebt. Er hatte seine Unsterblic­he Geliebte. Und wer damit gemeint war, weiß niemand, auch wenn es manche behaupten. Wissen Sie, wie er sie in seinen Briefen angesproch­en hat? Nein. Ich zeige es Ihnen. (Buchbinder sucht in seiner Bibliothek nach einem kleinen Büchlein.) Schauen Sie hier: „Mein Engel, mein alles, mein Ich.“Stellen Sie sich vor, Sie bekommen heute so einen Liebesbrie­f. Wer schreibt heut noch so einen Brief und schließt ihn mit „Ewig dein, ewig mein, ewig uns“? Das ist doch unglaublic­h. Seine tiefen Emotionen spürt man in seiner Musik. Und wie. Es gibt Sonaten, da kommen mir die Tränen, vor allem bei jenen in Es-Dur. Sehr schön sind aber auch die Myrthen, ein Liederkrei­s von Robert Schumann. Er hat sie seiner Frau, Clara, zur Hochzeit geschenkt: „Du meine Seele, du mein Herz, du meine Wonn, o du mein Schmerz.“Wunderbar. Franz Liszt hat sie für das Klavier bearbeitet. Ich spiele das Stück gern als Zugabe. Reizt es Sie eigentlich, einmal etwas ganz Neues, Modernes einzustudi­eren? Ja, das eine oder andere. Es gibt schon immer wieder etwas. Auch für Zugaben suche ich Neues. Zugaben sollte man nie unterschät­zen, da hat man den größten Spielraum. Ich mache mir über die Zugaben sehr viel Gedanken und versuche immer, einen Bogen zu spannen. (Pause.) Aber schauen Sie sich mal diese vielen, vielen Noten an. . . . warum Sie so ungern Urlaub machen? Wo soll ich denn hinfahren? Hier ist meine Arbeitsstä­tte, hier habe ich alles, was ich brauche. Ich genieße mein Zuhause, das ist mein Urlaub. Einmal wollte meine Frau mit meinen Kindern und mir im Sommer nach Frankreich fahren. Zwei Tage vor der Abreise rief ich Gerhard Bronner an und sagte: „Du, gerade ist es mir gelungen, den Urlaub abzusagen.“Und Bronner sagte: „Hast recht, so eine Strapaz!“Er verstand mich. Meine Frau ist natürlich arm. Sie würde immer so gern in den Süden fahren. . . . ob Ihre Frau auch bei Berufliche­m etwas mitzureden hat? Meine Frau ist nicht meine Managerin, sie kümmert sich überhaupt nicht um das Geschäftli­che. Das war nie ein Thema. Aber wir sprechen über mein Repertoire und über die Musik. Das ist sehr angenehm. (Zeigt auf die Bücherwänd­e.) Was für uns alles geschriebe­n wurde – das ist ja alles nicht zu derspielen. Interessie­ren Sie sich eigentlich für Politik? Ja, sehr. Ich komme auch gern mit Politikern zusammen und diskutiere mit ihnen. Irgendwie tun sie mir immer ein bisschen leid. Weshalb? Sie sind alle so abhängig von ihrer Partei. Das ist das Schwierige. Solche Abhängigke­iten kenne ich nicht, ich führe ein ganz anderes Leben. Meine Unabhängig­keit ist für die anderen oft nicht einfach. Mich kann man nur verstehen, wenn man wirklich mit mir 24 Stunden zusammenle­bt. Sie halten sich sehr viel im Ausland auf. Wie wird Österreich dort derzeit wahrgenomm­en? Im Ausland hat man doch Jahrzehnte lang einen Neid entwickelt, dass dieses Land in manchen Bereichen eben doch nicht so unbedeuten­d ist. Sei es in der Kultur, in der Musik, früher hatten wir auch in der Diplomatie und Außenpolit­ik ein gewichtige­s Wort mitzureden. Und es geht uns auch wirtschaft­lich recht gut. Das ist wohl der Grund, weshalb man uns gern etwas anhängt. Ich spüre immer wieder so eine Schadenfre­ude bei den ausländisc­hen Medien, wenn irgendetwa­s in Österreich nicht funktionie­rt. Und wir werden auch schnell in ein falsches Eck gestellt. Ich hoffe, Sie machen auch positive Erfahrunge­n. Ich erlebe immer wieder sehr Positives. Wenn Sie in Tokio in ein Taxi steigen, dann hat der Taxifahrer nicht nur weiße Handschuhe, sondern hört einen Walzer von Johann Strauß. Das ist ein erhebendes Gefühl. Musik ist eben unser größtes Potenzial und Kapital.

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Miriam Reither Rudolf Buchbinder: „Es gibt Orchester und Dirigenten, mit denen ich nicht spielen will.“
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