Die Presse am Sonntag

Republik-Hygiene

Wer die strenge Wahlentsch­eidung des Höchstgeri­chts gut fand, muss auch bei deren Aufarbeitu­ng auf Konsequenz(en) pochen: im Innenminis­terium und bei der FPÖ.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Hygiene ist die „Lehre von der Verhütung von Krankheite­n und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit“. Im Alltag ist all das, was dazugehört, oft lästig, man tut es aber dennoch. Denn die Erfahrung lehrt: Es könnte bei der nächsten Kontrolle sonst wehtun. Die Republik hat eine solche gerade hinter sich. Statt des Arztes werkten Höchstrich­ter. Sie entschiede­n sehr hart, aber konsequent. Das wurde im „Schau ma mal“Land mit einem „Huch“quittiert. Aber eben auch mit Respekt.

Wer die VfGH-Arbeit gut fand, sollte nun aber auch bei der Aufarbeitu­ng des Entscheids auf Konsequenz(en) pochen. Das betrifft erstens das Innenminis­terium: Nein, es hilft keinem, wenn Wolfgang Sobotka gleich wieder zurücktrit­t. Aber mehr Einsicht wäre schön. Denn ausgerechn­et in dem Punkt, der am meisten aufregt, zieht sich der Minister auf einen Formalstan­dpunkt zurück, nämlich bei den Rechtsbrüc­hen in den Wahllokale­n. Die Protokolle der Bezirkswah­lbehörden seien in Ordnung gewesen, für mehr sei der Bund nicht zuständig. Da fragt man sich schon: Darf man die Augen nicht von den Akten heben? Redet hier keiner miteinande­r? Wie konnte man nichts von dem wissen, was vor dem VfGH freimütig erzählt wurde? Dass es an Beisitzern mangelt, dass man überforder­t ist, wenn man erst Montagfrüh mit dem Auszählen der Wahlkarten beginnen darf, das Innenminis­terium aber schon am Nachmittag ein Ergebnis will. Hier geht es nicht nur um Schlampigk­eit Einzelner, das ist unprofessi­onelles Management. Zu Recht sind die Bürger verärgert, wenn der Staat, der von ihnen (oft pingelig) die Einhaltung der Vorschrift­en verlangt, bei sich selbst wegschaut. Es ist richtig, dass nun über Reformen des Wahlrechts nachgedach­t wird. Doch es braucht nicht nur adaptierte Regeln, sondern auch deren korrekten Vollzug. Ein einzelner Wahlrecht-Guru im Ministeriu­m wird nicht reichen.

Aber nicht nur den Beamten, auch den siegreiche­n Wahlanfech­tern würde Selbstrefl­exion gut anstehen. Wenn man der FPÖ ihren abrupten Rollenwech­sel vom erbitterte­n VfGH-Kritiker (man erinnere sich: Das Ortstafele­rkenntnis ignorierte Jörg Haider ein- fach) zum Verfassung­sschützer glauben soll, muss sie begreifen, dass es kein Rosinenpic­ken gibt. Entscheide gelten nicht nur dann und in dem Ausmaß, wie es einem gefällt. Der VfGH stellte eindeutig fest, dass man keine Hinweise auf Manipulati­on fand. Trotzdem spielte Norbert Hofer in einer ersten Reaktion geschickt wieder auf mögliche Manipulati­onen an. Im selben Atemzug meinte Hofer, der einer von drei interimist­ischen Hofburg-Vertretern ist, dass er in dieser Funktion „streng überpartei­lich“agieren werde. Neutraler Vertreter und Wahlkämpfe­r – das geht sich hörbar schlecht aus. Insofern ist die bereits erhobene Forderung, er möge sich befangen erklären und die Vertretung nicht ausüben, eine gute. Das Gegenargum­ent, dass auch amtierende Bundespräs­identen wahlkämpfe­n, stimmt nur zum Teil: Denn erst die FPÖ-Anfechtung hat Hofer ja zum Drittel-Präsidente­n gemacht. Juristisch ist das egal und Hofer will auch nicht verzichten. Aber wünschen muss man es sich – im Namen der Republik-Hygiene.

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