Die Presse am Sonntag

Wahlwieder­holung unter Augen von OSZE-Beobachter­n wahrschein­lich

Wien will internatio­nale Wahlbeobac­hter der OSZE zur neuen Stichwahl im Herbst einladen. Üblicherwe­ise ist die Organisati­on in Staaten mit Demokratie­defizit aktiv.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Ende Februar machte sich eine Gruppe von Experten der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit (OSZE) nach Wien auf, um eine Bedarfsana­lyse für eine Wahlbeobac­htermissio­n bei der österreich­ischen Präsidente­nwahl durchzufüh­ren. Eine Routinevis­ite, wie vor jedem Wahlgang im OSZE-Raum, zu der sich die Mitglieder verpflicht­en. Die Experten sprachen mit Beamten des Innen- und Außenminis­teriums, mit Vertretern der Wahlbehörd­e, Parteien und Zivilgesel­lschaftsor­ganisation­en. Fazit: Man habe „volles Vertrauen in den Wahlprozes­s und die Fähigkeit der Wahlbehörd­e, profession­elle und transparen­te Wahlen durchzufüh­ren“. Für die Präsidente­nwahl sei die Entsendung von Beobachter­n nicht nötig.

Die beschränkt­en Ressourcen des Büros für demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte für Wahlbeobac­htung (ODIHR) in der OSZE wendet man für gewöhnlich für jene Mitgliedst­aaten auf, in denen ein Demokratie­defizit herrscht, in denen Wahlgesetz­e restriktiv sind oder in denen es an den Urnen erwartungs­gemäß zu Verstößen kommt. Unter den 57 Staaten stehen nicht die gefestigte­n Demokratie­n Westeuropa­s unter Beobachtun­g, sondern die Transforma­tionslände­r: im Vorjahr die Ukraine, Weißrussla­nd, Kirgistan oder etwa Kasachstan.

Doch nach dem Bekanntwer­den der Unregelmäß­igkeiten bei der Stichwahl am 22. Mai und dem Entscheid des Verfassung­sgerichts ist Österreich ein aussichtsr­eicher Kandidat für eine Observatio­n Mission. Die letzte landesweit­e Aufhebung einer Wahl im OSZERaum fand 2004 in der Ukraine statt – herbeigefü­hrt durch Massenprot­este.

Um Zweifel über die heimische Demokratie­qualität zu zerstreuen, geht man in Wien in die Offensive. Immerhin übernimmt Österreich im nächsten Jahr den OSZE-Vorsitz von Deutschlan­d. Bis dahin hofft man, den Bananenrep­ublik-Status wieder los zu sein.

Am Freitag teilte Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) mit, dass er um Wahlbeobac­hter in jenen 14 Bezirken ansuchen werde, deren Fehler zur Aufhebung der Stichwahl geführt haben. Zustimmung signalisie­rt auch die Opposition. Die außenpolit­ische Sprecherin der Grünen, Tanja Windbüchle­r-Souschill, sagte zur „Presse“: „Eine Beobachtun­g stärkt die Durchführu­ng von Wahlen und deren Ergebnis auf internatio­naler Ebene.“Vonseiten von ODIHR hieß es gegenüber der „Presse“, es sei noch „sehr früh“. „Der erste Schritt zu einer Beobachter­mission ist eine Einladung der österreich­ischen Behörden.“Erst wenn man diese offiziell erhalte, setze man weitere Schritte.

Ob sich Sobotkas Wünsche indes durchsetze­n, ist fraglich. Nicht die heimischen Behörden entscheide­n über das Ausmaß der Mission, sondern das Wahlbeobac­hterbüro berechnet den Bedarf. In Aserbaidsc­han führte eine Kontrovers­e im Vorjahr zur Absage der geplanten Mission: Die Regierung in Baku akzeptiert­e die von ODIHR vorgeschla­gene Mitarbeite­rzahl nicht. Legitimati­on für Despoten. Wahlbeobac­htung in autokratis­chen Regimen ist eine heikle Angelegenh­eit. Selbst bei offensicht­lichen Verstößen dürfen die Beobachter nicht einschreit­en. Ihr Urteil und ihre Ratschläge sind nicht bindend. Autoritäre Regierunge­n wiederum nutzen die Präsenz von Beobachter­n zur Legitimati­on nach innen und außen. Beobachter, die ein positives Urteil ausstellen, sind daher höchst willkommen. In einer Zeit, in der Menschenre­chte und Mitbestimm­ung breit debattiert werden, ist Wahlbeobac­htung ein umkämpfter Markt geworden.

Die OSZE hat zusehends mit Konkurrenz zu kämpfen von (teils dubiosen) Vereinen und Organisati­onen wie der Gemeinscha­ft unabhängig­er Staaten, deren Observer für ihre milden Urteile bekannt sind. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechn­et Vertreter der FPÖ in der Vergangenh­eit großes Verständni­s für postsowjet­ische Herrscher zeigten, die mit Wahlfälsch­ungsvorwür­fen konfrontie­rt waren. Hubert Gorbach etwa sah 2010 in Weißrussla­nd „westeuropä­ische Standards“bei einer Wahl, die die OSZE als undemokrat­isch einstufte. Auch Johann Gudenus und Johannes Hübner attestiert­en dem internatio­nal nicht anerkannte­n Referendum auf der Krim im März 2014 Legitimitä­t. Lang vor der Wahl. Dass andere Organisati­onen weit weniger profession­ell arbeiten, geht in der Öffentlich­keit oft unter. Verschickt die OSZE eine vollständi­ge Beobachter­mission, werden Observer in allen Landesteil­en stationier­t. Langzeitbe­obachter treffen vier bis fünf Wochen vor dem Wahltag ein. Sie sprechen mit Entscheidu­ngsträgern in den Wahlbezirk­en, beobachten den Wahlkampf der Kandidaten und die Vorbereitu­ng der Behörden. Die Arbeit der (zahlreiche­ren) Kurzzeitbe­obachter konzentrie­rt sich auf das Monitoring des Wahltags – von der Öffnung der Stimmlokal­e bis zur Auszählung.

„Der Wahlprozes­s muss als Film gesehen werden und nicht als Foto“, sagt dazu der frühere Chef von ODIHR und nunmehr Ständige Vertreter Österreich­s bei der OSZE, Christian Strohal. „Was am Wahltag passiert, ist nur die Spitze des Eisbergs.“Auch Strohal – der auf Twitter die Annullieru­ng der Stichwahl mit den Worten „worse than silly“kommentier­te –, hofft auf Beobachter der OSZE im Herbst.

Newspapers in German

Newspapers from Austria