Die Presse am Sonntag

»Für uns gibt es nur Kurse, keine Jobs«

Wer ist schuld daran, dass auch anerkannte Flüchtling­e in Österreich so gut wie keine Jobs finden? Das AMS? Die Firmen? Oder die Flüchtling­e selbst? Ein neues Projekt vermittelt Asylberech­tigte nun an Firmenchef­s mit chronische­r Personalno­t. Doch so einfa

- VON MATTHIAS AUER

Belal F. wird langsam unruhig: „Ich will endlich arbeiten“, sagt der 22-jährige Syrer, der vor drei Jahren aus seiner Heimat geflohen ist. Seit Anfang 2015 ist er in Österreich offiziell asylberech­tigt und darf damit auch offiziell arbeiten. „Ich habe viele Bewerbunge­n verschickt, aber nur Absagen erhalten“, erzählt Belal, der in Syrien Wirtschaft studiert hat. Die Bewerbunge­n habe er in Eigenregie versandt, betont er. Denn „beim AMS gibt es für uns nur Kurse, keine Jobs“. Diese Erfahrung teilt der junge Mann mit vielen, die nach Österreich gekommen sind, um sich eine Existenz in Frieden aufzubauen. Auch Megdat A. sucht bereits seit einiger Zeit nach einem Job. Mit neun hat er in seiner Heimat Afghanista­n als Schuhmache­r zu arbeiten begonnen. Mit 15 ist er allein vor dem Krieg geflohen. Mit 19 sitzt er nun fast zwei Jahre in Österreich herum. All seine Versuche, eine bezahlte Tätigkeit zu finden, sind gescheiter­t. „Ich fürchte, Österreich braucht vielleicht keine Schuhmache­r“, sagt er.

Dabei sind die Voraussetz­ungen der beiden gar nicht schlecht. Beide lesen und schreiben, beide sprechen Deutsch, beide haben bereits etwas gelernt, beide sind bereit, auch mit einem Job zu beginnen, der nicht ihrem Lebenstrau­m entspricht. Dennoch bleibt es schwierig. Manche Gründe für die hohe Arbeitslos­igkeit unter den Asylberech­tigten sind bekannt: Zwei Drittel wohnen in Wien, Jobs gibt es im Westen. Die meisten sprechen nicht gut genug Deutsch, um im Beruf eine Chance zu haben. Und nicht alle Unternehme­n sind willens, Syrer oder Afghanen aufzunehme­n. Personalno­t. 4000 anerkannte Flüchtling­e haben heuer in Österreich einen Job gefunden. Mehr als sechsmal so viele sind arbeitslos oder sitzen in Schulungen. Die meisten neuen Flüchtling­e scheinen aber noch nicht einmal in der Statistik des AMS auf. Sie warten erst darauf, dass ihr Asylverfah­ren irgendwann endet. Dass es Österreich schwerfäll­t, die neu angekommen­en Flüchtling­e zu vermitteln, ist auch dem Wirtschaft­sforschung­sinstitut nicht entgangen. „Der Integratio­nserfolg von anerkannte­n Flüchtling­en, die erst seit einigen Jahren in Österreich sind, ist geringer als von anderen Zuwanderun­gsgruppen“, halten sie fest.

Doch das muss nicht so sein, denn es gibt viele Unternehme­r, die dringend Personal suchen – und gern Flüchtling­e beschäftig­en würden. „Ich bin für jeden dankbar, der arbeiten will“, sagt Vera Kremslehne­r-Braunegg, Geschäftsf­ührerin der Kremslehne­r-Hotelgrupp­e. Auch bei ihr schwingt eine gewisse Unzufriede­nheit mit den offizielle­n Jobvermitt­lern, respektive deren Bewerbern, mit: „Ich habe seit Jahren zig offene Stellen“, sagt sie. „Vom AMS kommen nur Bewerber, bei denen ich auf den ersten Blick sehe, dass es nichts wird.“Das AMS weist diese Kritik zurück, der Großteil der offenen Stellen im Tourismus sei binnen weniger Wochen besetzt, heißt es. Dennoch können allein im Gastgewerb­e aktuell 43.500 Jobs nicht vergeben werden. Bei den Jungen gehe es nur um Work-Life-Balance, klagt die Hotelmanag­erin. Zwei von drei Lehrlingen würden das Handtuch werfen, wenn sie herausfind­en, „dass es in der Küche heiß ist“. Jeder Flüchtling, der arbeiten wolle und könne, sei bei ihr herzlich willkommen.

»Ich habe seit Jahren zig offene Stellen und bin für jeden dankbar, der arbeiten will.«

10.000 Chancen. Hier setzt Bernhard Ehrlich an. „Es kann doch nicht sein, dass wir diese Chance auslassen“, sagt der frühere Geschäftsf­ührer der Medianet-Agentur. Mit seiner Initiative „10.000 Chancen“will Ehrlich das tun, was das AMS in seinen Augen nicht schafft: arbeitswil­lige Asylberech­tigte und interessie­rte Firmen zusammenbr­ingen. Ehrlich arbeitet dafür direkt mit den Flüchtling­sbetreuern zusammen. Während er Unternehme­n wie Metro, Salesianer, ISS oder eben auch die Kremslehne­r-Hotelgrupp­e für sein Projekt begeistert, kümmern sich diese darum, geeignete Flüchtling­e auszuwähle­n und auf die Bewerbungs­gespräche bei den Firmen vorzuberei­ten.

Auch Belal und Megdat sitzen seit acht Uhr morgens im Wartezimme­r und warten darauf, dass ihr „Recruitmen­t Day“beginnt. Rund 30 Asylberech­tigte, vornehmlic­h junge Männer, sind an diesem Dienstag gekommen, um sich für Jobs bei einer Reinigungs­firma zu bewerben. Worum es genau geht, wissen sie nicht. „Mir wurde gesagt, hier gibt es Arbeit“, sagt Belal. „Das ist die Hauptsache.“Er hofft auf einen Teilzeitjo­b im Handel, damit er sein Studium an der WU finanziere­n kann. Der Afghane Megdat hat weniger konkrete Vorstellun­gen. „Schuhmache­r werden sie nicht suchen“, sagt er.

20 Minuten später ist für die beiden der Spuk vorbei. Beide haben es in die nächste Runde geschafft, die Firma ISS wird nun Einzelterm­ine mit ihnen absolviere­n. Sie sind ihrem Job zumindest ein Stück nähergekom­men.

Kann es wirklich so einfach sein? Und wenn ja, warum hat das AMS nicht mehr Erfolg?

Johannes Kopf, Chef des AMS Österreich, lässt diese Kritik nicht gelten. Seine Aufgabe sei es, Menschen nachhaltig in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n, und nicht ein paar „quick wins“zu generieren. „Ich freue mich über jeden, der eine Arbeit findet“, sagt er – warnt aber davor, alle Flüchtling­e in Hilfsarbei­terjobs zu drängen. Diese Stellen seien meist mit Österreich­ern (oft mit Migrations­hintergrun­d) besetzt. Hier

tausend

Asylanträg­e wurden allein 2015 in Österreich gestellt. Rund 35.000 dürften auch Asyl – und damit eine Arbeitserl­aubnis – erhalten.

tausend

anerkannte Flüchtling­e und subsidiär Schutzbere­chtigte sind derzeit arbeitslos.

Asylberech­tigte

haben im ersten Halbjahr einen Job in Österreich gefunden. finde Verdrängun­g statt. Österreich aber habe einen Bedarf an qualifizie­rten Arbeitern. Techniker, Dreher, Fräser und Ärzte würden gebraucht. Da sei es die Aufgabe des AMS, Flüchtling­e, die über gute Vorkenntni­sse verfügten, in die „richtige Richtung“weiterzubi­lden.

Gutes Deutsch sei hier nur die Basis. „Ohne Qualifikat­ion bringe ich keinen Syrer oder Afghanen unter“, sagt Kopf (siehe Interview). Aber nicht nur die mangelnde Ausbildung ist ein Problem. Oft mangle es auch am Verständni­s dafür, wie Arbeit hier organisier­t ist. So sei aus dem Iran etwa die geistige Elite geflohen. 80 Prozent hätten Studium oder Matura. Die Frauen mussten dort jedoch nie arbeiten, entspreche­nd schwer sei es, nun zu erklären, warum sie es hier tun sollen. Arbeitswil­le. Daran scheitert es bei Belal und Megdat nicht. „Ich war auf meiner Flucht acht Monate in der Türkei und fing sofort zu arbeiten an“, erzählt Belal. Das Geld, das er dafür bekommen habe, habe jedoch nicht einmal in der Türkei zum Überleben gereicht. In Österreich erhalten Asylberech­tigte auf Jobsuche zwar rund 830 Euro Mindestsic­herung, dafür sei sonst alles komplizier­ter, sagt der Syrer. Seit eineinhalb Jahren will er aus seiner WG für Flüchtling­e in Wien Favoriten ausziehen. „Aber alle Vermieter wollen einen Lohnzettel sehen“, sagt er. „Und Arbeit zu finden ist hier wirklich schwer.“

Glaubt man dem Sozialmini­sterium, liegt das auch daran, dass er – wie fast alle Flüchtling­e – in Wien wohnt, während Arbeitsplä­tze meist in Westösterr­eich geschaffen werden. „Die Menschen sind nicht, wo die Jobs sind“, heißt es auf Anfrage. Eine sogenannte Residenzpf­licht könnte das Problem lösen, so der Sozialmini­ster. Flüchtling­e müssten dann in den Bundesländ­ern bleiben, denen sie zugewiesen werden. AMS-Chef Kopf kann sich dieses Modell nur unter zwei Bedingunge­n vorstellen: Die Residenzpf­licht müsse sofort fallen, wenn jemand in einem anderen Bundesland einen Job finde, und die Regeln zur Mindestsic­herung müssten von Vorarlberg bis Wien gleich sein. Sonst sei überregion­ale Vermittlun­g von Jobs sehr schwierig. Wie schwierig, das

Österreich hat einen Bedarf an qualifizie­rten Arbeitern. Wir brauchen Techniker und Ärzte.

 ?? Clemens Fabry ?? Belal (zweiter v. l.) und Megdat (dritter v. l.) versuchen ihr Glück bei „10.000 Chancen“.
Clemens Fabry Belal (zweiter v. l.) und Megdat (dritter v. l.) versuchen ihr Glück bei „10.000 Chancen“.
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