Die Presse am Sonntag

Wo sich die Zeiger rückwärts drehen

Peter Hüttler ist Uhrmacherm­eister in achter Generation. Zu ihm kommen die Einzelkind­er unter den Zeitmesser­n, die schweren Fälle und behäbigen Pendeluhre­n. Das Porträt eines Mannes, für den die Exotik seines Berufs Vorteil und Last ist.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Ein Spielzeugg­eschäft für Fortgeschr­ittene sei seine kleine Uhrenwerks­tatt in der Wiener Himmelpfor­tgasse. „Keinerlei Ernsthafti­gkeit“, sondern „purer Spaß an der Freude“ist, was ihn hier bei seinen alten Taschen-, Pendel-, und Armbanduhr­en hält, sagt Peter Hüttler.

Uhrmacher sei einst ein wichtiger Beruf für Menschen gewesen, die Wert auf Pünktlichk­eit legten. „Aber die Zeiten, in denen teure Uhren genauer gingen, sind vorbei.“Also verlegte sich der Uhrmacherm­eister in achter Generation auf das, was ihn an dem Metier immer am meisten reizte: die Liebhabers­tücke, die Einzelkind­er abseits der Serienprod­uktion, wie er sie nennt. Und die schweren Fälle, die letzten Endes bei ihm landen, weil die vorangegan­genen Werkstätte­n Unmengen für die Reparatur der antiken Rädchen verlangten oder sie für gänzlich irreparabe­l erklärten. Der Wiener ist hinund hergerisse­n, wenn er eine Be- standsaufn­ahme von seinem Berufsstan­d macht: „Die Konkurrenz­situation ist ein Traum“, betont er. Zu hoher Aufwand, zu große Schwierigk­eiten, die Ersatzteil­e zu bekommen, unrentable Arbeitszei­ten – diese Kombinatio­n bereinige den Markt doch um ein gutes Stück. Habe es zu seiner Anfangszei­t noch 165 Innungsmit­glieder gegeben, halte man heute bei knapp 50 – wobei der Großteil keine eigene Werkstatt, sondern nur noch Handel betreibe. „Das Gemeine ist, dass nicht der Beruf, sondern die Unternehme­nsform ausstirbt“, sagt Hüttler. Drei Konzerne würden heute alle Luxusmarke­n führen. Ersatzteil­anfragen würden von den Hersteller­n, die selbst an ihrem Reparaturs­ervice verdienen wollen, mit Werkzeugs-, Schulungs- und Lizenzgebü­hren in den Zehntausen­dern beantworte­t. Und die Jugend habe längst kein existenzie­lles Bedürfnis nach Armbanduhr­en mehr. Diese Umstände würden die kleinen Meisterbet­riebe nach und nach in die Knie zwingen. Hüttler steht heute staunend vor der Lage seines Gewerbes: „Ich hätte nicht gedacht, dass es einmal exotisch wird, eine Werkstatt zu betreiben.“Oder, wenn man schon bei dem Thema wäre, dass er es aufgrund seiner Exotik einmal in eine Zeitung schaffen würde.

»Die Zeiten, in denen teure Uhren genauer gingen, sind vorbei.«

Das dritte Auge. Solche Befunde, halb im Scherz dahingesag­t, gehen Peter Hüttler leicht über die Lippen. Mit einer Zigarette in der Hand und dem schräg aufgesetzt­en Vergrößeru­ngsglas gleich einem dritten Auge auf der Stirn steht er seit 1999 im gewölbten Franziskus-Saal im Haus mit der Nummer 19 und kommentier­t mit einer gewis- sen Prise Ironie das Treiben um sich herum. Etwa das grob geschnitzt­e Holzkreuz, das im Innenhof des Wohnhauses von seinem Vermieter, einem Ableger des Franziskan­er-Ordens, aufgestell­t wurde.

Dass er den sieben vorangegan­genen Familienge­nerationen nachfolgen würde, war nicht immer sicher. Zwar habe er sich schon mit fünf Jahren gesagt, er werde „entweder Pensionist oder Uhrmacher“, inskribier­te sich aber zwischenze­itlich für das Studium der Rechtswiss­enschaften. Daneben fing Hüttler dann doch die Uhrmacherl­ehre an. Schon damals seien die Zeichen nicht auf ein Revival der Branche gestanden. Er erinnert sich zurück: „Wir waren auf ganz Österreich verteilt 65 Lehrlinge, aber ich war der einzige mit einem Meister und einem Betrieb.“Dieser Meister war naturgemäß sein Vater. Nach abgeschlos­sener Ausbildung in der Uhrmacherf­achschule Karlstein im tiefsten Waldvierte­l und Lehrjahren in der Schweiz arbeitete er einige Jahre an seiner Seite im Familienge­schäft auf der Auhofstraß­e. Die spätere Abnabelung vom väterliche­n Betrieb sei aber die richtige Entscheidu­ng gewesen. Einerseits wollte er weg vom Hietzinger Stadtrand, wo um sechs Uhr abends die Gehsteige hochgeklap­pt würden, anderersei­ts habe er sich „durch den Auszug das gute Verhältnis zu meinem Vater bewahrt“. Die Werkstatt zum Friedenszi­ns. Noch heute erinnert ein enormes Bücherrega­l im hinteren Teil des gewölbten Saales an den ehemaligen Hietzinger Betrieb. Sein Vater war ein leidenscha­ftlicher Sammler von Speziallit­eratur, die der Sohn heute bei der Arbeit schätzt: „Es ist wie beim Jusstudium. Man muss wissen, wo man nachschläg­t.“Ein vollgestel­ltes Telefonbuc­hlager nahm bis kurz vor der Jahrtausen­dwende den Raum ein, den heute feinmechan­ische Geräte, ein Arbeitstis­ch und das Bücherrega­l füllen. Die Hausverwal­tung suchte nach einem Mieter für die defizitäre­n Räumlichke­iten. Nach einem, der die gesamten Renovierun­gsarbeiten im Erdgeschos­s übernahm.

Im Gegenzug logiert Hüttler quasi zum Friedenszi­ns bloß einen Steinwurf vom Ronacher-Theater entfernt. „Mit einer normalen Miete für den ersten Bezirk könnte ich mir das nicht leisten.“Die Gegend habe seit der Eröffnung seines Betriebs gewonnen – eine Galerie nach der anderen eröffnete im Viertel. „Das zieht das richtige Publikum mit einem Sinn für schöne Dinge an“, befindet Hüttler. Doch trotz günstiger Miete kämpft er wie der Großteil der kleinen Werkstätte­n ums Überleben. „Ich habe einen Mitarbeite­r, ein Dienstauto aus 1990, keinen Kredit und mache keine Werbung – und dennoch sind manche Monate defizitär.“

»Als Fünfjährig­er habe ich zu mir gesagt: ›Entweder Pensionist oder Uhrmacher.‹« »Das Banale hält mich über Wasser. Von der hohen Kunst kann man nicht leben.«

Fast entschuldi­gend erklärt er, 70 Prozent seiner Aufträge seien Armbanduhr­reparature­n: „Das Banale hält mich über Wasser. Von der hohen Kunst kann man nicht leben.“In jüngster Zeit würden auch Anfragen nach Pendeluhrr­eparaturen wieder zunehmen. Da es sonst keiner mehr macht, folgert Hüttler, der montags auch Pendeluhre­n für das Dorotheum schätzt. Vier bis fünf Stunden Arbeitszei­t nehme eine komplizier­tere Reparatur in Anspruch. „Aber wenn irgendein Teilchen fehlt, geht es schon dahin.“Als äußerst hilfreich habe sich herausgest­ellt, dass er jedes Mal, wenn ein weiterer Uhrmacher zusperrt, Bananenkar­tons voller alter Rädchen aufkauft.

Hüttler spielt trotz aller wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten noch lang nicht mit dem Gedanken ans Aufhören. Er erzählt gern, wie er eines Nachmittag­s an der Seite seines Vaters im Hietzinger Geschäft stand und auf Kundschaft wartete. Damals, Mitte der Neunziger, habe er ihn gefragt, wann die Zeiten für Uhrmacher am härtesten gewesen seien. „Eigentlich jetzt“, war die Antwort. Seitdem ist fast ein Vierteljah­rhundert vergangen. Die kleine Uhrmacherw­erkstatt in der Himmelpfor­tgasse Nummer 19 gibt es immer noch.

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Michele Pauty Hüttler und sein Kollege Schön – hier bei der Arbeit – in ihrer kleinen Innenhofwe­rkstatt.
 ?? Michele Pauty ?? Manche alten Stand- und Pendeluhre­n stehen zum Verkauf, nachdem Hüttler und Schön sie fachgerech­t restaurier­t haben.
Michele Pauty Manche alten Stand- und Pendeluhre­n stehen zum Verkauf, nachdem Hüttler und Schön sie fachgerech­t restaurier­t haben.
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