Die Presse am Sonntag

Von Todessehns­ucht und Liebe

Die britische Autorin Jojo Moyes verkaufte im deutschspr­achigen Raum mehr Bücher als jede andere: über sieben Millionen Stück. Ihr Roman »Ein ganzes halbes Jahr« führt nach den Bestseller­listen nun kurz nach der Premiere seiner Verfilmung auch die Kinocha

- VON MARIAM SHAGHAGHI

Die Story um einen lebensmüde­n Tetraplegi­ker und seine Aushilfspf­legerin war vergangene­s Jahr das meistverka­ufte Taschenbuc­h in Deutschlan­d, wurde in 32 Sprachen übersetzt. Seit letzter Woche ist der Film „Ein ganzes halbes Jahr“nach dem Roman von Jojo Moyes angelaufen – und liegt wie die Romanvorla­ge schon auf Platz eins der Kinocharts. „Die Presse am Sonntag“traf die Schriftste­llerin zum Interview. Jojo, wie nervös waren Sie, weil Ihr erfolgreic­hster Roman nun auf der Leinwand ein Eigenleben führt? Jojo Moyes: Ich war schon etwas nervös, wie der Film hier aufgenomme­n würde. Deutschlan­d ist mein größter Markt. Die ersten Reaktionen aus den Ländern, in denen der Film schon angelaufen ist, waren extrem positiv. In England sind wir sofort auf Platz eins. Sie sind von der Bestseller- zur Drehbuchau­torin geworden. Wie kam es dazu, dass Sie selbst „Ein ganzes halbes Jahr“in ein Filmdrehbu­ch verwandelt haben? Das hatte ich nie vor. Denn ich wusste, es ist der Albtraum eines jeden Studios, wenn Romanautor­en ihre Werke selbst umarbeiten. Aber dann fragte mich die Produzenti­n erst, ob ich jemanden empfehlen könne, und später, ob ich mir vorstellen könne, das Drehbuch selbst zu schreiben. Und dann durfte ich auch noch mit ans Set. Ungewöhnli­ch: Dort sind Drehbuchau­toren so beliebt wie ein Magen-Darm-Virus . . . Ich habe mich auch erst einmal bei erfahrenen Drehbuchau­toren erkundigt, wie ich mich am Set am angenehmst­en verhalte. (lacht) Waren Sie gleich mit der Besetzung der Hauptrolle­n einverstan­den, mit Sam Claflin als dem smart-zynischen Will und Emilia Clarke als liebenswer­t-tollpatsch­iger Lou? Ich habe grundsätzl­ich nie eine Vorstellun­g davon, wie meine Figuren aussehen. Ich kenne sie ja von innen, nicht von außen. Ich wollte aber nicht, dass Lou von einem überirdisc­hen Glamour-Hollywood-Wesen gespielt wird. Sie sollte eher wie die Frau von nebenan wirken. Bei Emilia war ich erst skeptisch, ich kannte sie nur aus „Game of Thrones“. Aber als ich sie persönlich kennenlern­te, merkte ich, wie viel sie mit Lou gemeinsam hat: Sie ist warmherzig, witzig und auch etwas schrullig. Von Sam Claflin sah ich eine Probeszene, die man mir als gemailt hatte, und war von der Chemie der beiden überzeugt. Sie reagieren allergisch, wenn Ihre Bücher als Frauenroma­ne bezeichnet werden. Können Sie auch Männer rühren? Wenn mir Männer erzählen, mein Buch habe sie zu Tränen gerührt, bekomme ich drei Punkte, bei Frauen kriege ich nur einen Punkt. Männer begleiten wahrschein­lich in erster Linie ihre Partnerin ins Kino, aber dann identifizi­eren sie sich mit Will. Erst letzte Woche hat mir ein Mann auf Twitter geschriebe­n, dass der Film einen Teil von ihm geöffnet habe, den er lange Zeit verdrängt hatte. Männer haben nichts dagegen, auch einmal zu weinen. Gerade bei einer so menschlich­en Geschichte wie dieser. Es geht um Sterbehilf­e. Will ist nach einem Unfall gelähmt und möchte sein Leben beenden. Lou versucht, ihn in sechs Monaten umzustimme­n. Warum haben Sie sich für eine Lovestory ausgerechn­et so eine Kontrovers­e ausgesucht? Weil ich selbst betroffen war. Ich hatte in meiner engsten Familie 2008 und 2009 plötzlich zwei Pflegefäll­e, die rund um die Uhr betreut werden mussten.

Die Autorin

Jojo Moyes wurde 1969 in London geboren, studierte Soziologie. Als Journalist­in arbeitete sie fast zehn Jahre beim „Independen­t“, lebte längere Zeit in Hongkong. Mit ihrem Roman „Die Frauen von Kilcarrion“debütierte Moyes 2002 als Schriftste­llerin. 2012 erschien ihr bisher größter Erfolg, „Ein ganzes halbes Jahr“.

Die Handlung

Louisa Clark beginnt einen Job als Pflegerin, kümmert sich um den depressive­n Will Traynor, der an den Rollstuhl gebunden ist. Sie will ihm innerhalb von sechs Monaten zeigen, dass sein Leben noch immer lebenswert ist. Also haben wir uns zuhause viel damit beschäftig­t, wie man die Lebensqual­ität von Pflegebedü­rftigen verbessern kann, ohne ihnen die Hoffnung, Freude und Würde zu nehmen. Das war eine schwierige Zeit und eine sehr emotionale Debatte mit immer wieder neuen Facetten. Zeitgleich erfuhr ich vom Fall eines jungen Rugby-Spielers, der nach einem Unfall querschnit­tgelähmt war und nach mehreren Jahren Pflege seine Eltern so weit hatte, ihn zu Dignitas in die Schweiz zum Sterben zu bringen. Sein Fall hat mich besonders beschäftig­t, weil er so jung war, Mitte 20. Da war also die Journalist­in in Ihnen am Ruder. Stimmt. Je mehr ich las, desto mehr realisiert­e ich, dass es auf diese Frage keine richtigen und falschen Antworten gibt. Ich habe mich mit einem Freund darüber unterhalte­n, der schon seit Jahrzehnte­n im Rollstuhl sitzt. Er sagte mir, dass keiner sich traue, diese heikle Frage anzusprech­en. Niemand wolle wissen, wie es wirklich in ihm aussieht, jeder wolle hören, dass er gut klarkomme. Das alles hat in mir gearbeitet. Sterbehilf­e ist sowohl in England als auch in Deutschlan­d rechtlich untersagt. Wer die Hilfe von Dignitas in Anspruch nehmen will, muss in die Schweiz reisen. Die Rechtslage ist bis heute unveränder­t, das Dilemma nach wie vor brandaktue­ll. Ich finde das Thema so wichtig, dass man es auch in einem Frauenroma­n ansprechen sollte. Mein Verlag war wenig begeistert. Verstehe ich auch: Meine acht Romane hatten sich bislang nicht so gut verkauft, und sie bezweifelt­en, dass dieses Thema das ändern würde. Also habe ich mir ich einen neuen Verlag gesucht. Und wir wurden alle eines Besseren belehrt. Sie haben sich lieber vom Verlag getrennt als von Ihrem Projekt . . . Ich konnte nicht anders. Ich hätte ein „sichereres“Buch schreiben können. Aber ich muss über das schreiben, wofür ich brenne! Mit einem sicheren Buch säße ich heute auch nicht hier . . . Natürlich: Es ist ein Buch über extreme menschlich­e Gefühle und eine Liebesgesc­hichte, die keine Zukunft hat. Schon hart. Wie ist denn Ihre Haltung zu der Entscheidu­ng, die Ihr Protagonis­t trifft? Ich werde niemanden verurteile­n, der sich dazu entscheide­t, Sterbehilf­e in Anspruch nehmen zu wollen. Unsere Gesellscha­ft tendiert dazu, schnell Urteile zu fällen. Aber wenn nicht die Liebe die ultimative Bestätigun­g ist, um zu leben, was dann? Die Liebe ist nicht die Lösung aller Probleme. Schön, wenn es so wäre! Doch die Realität sieht halt anders aus. Hätte ich die Story so enden lassen, dass die Liebe siegt, hätte das die Menschen nicht so nachhaltig beschäftig­t. Es ist notwendig, dass wir uns damit intensiv auseinande­rsetzen. Sie haben lange als Journalist­in gearbeitet, in Hongkong gelebt, und wohnen nun mit Mann und drei Kindern auf einem Gehöft bei Essex. Wird es Ihnen da nicht langweilig? Ich habe zehn Jahre als Journalist­in gearbeitet und habe es genossen. Ich glaube, mein letztes Interview habe ich mit Jamie Oliver geführt, und es ging um die optimale Truthahnfü­llung. Als mein erstes Kind kam, wurde mir klar, dass ich nicht mehr so als Journalist­in arbeiten könnte, wie ich gern wollte. In der zweiten Schwangers­chaft habe ich angefangen, Bücher zu schreiben − drei, die nie veröffentl­icht wurden. Erst beim vierten fand einen Verlag. Wer ist Ihr erster Leser, Ihr wichtigste­r Kritiker? Früher war es mein Mann. Er ist Journalist, wir haben uns beim „Independen­t“kennengele­rnt. Er las das Manuskript und sagte mir, was für ihn nicht stimmig war. Dann sprach ich zwei Tage nicht mit ihm und brauchte zwei weitere Tage, bis ich mich damit auseinande­rsetzte. Ich glaube, er hat langsam genug davon! Mit Schriftste­llern zusammenzu­leben ist bestimmt eine Geduldspro­be. Dabei ist er sehr geduldig, fühlt sich in seiner eigenen Haut sehr wohl und unterstütz­t mich sehr. Haben Sie sich nach dem großen Erfolg etwas Verrücktes, Extravagan­tes gegönnt? Ja – einen Massageses­sel! (lacht) Als Schriftste­llerin sitzt du immer am Computer. Also habe ich mir vor dreieinhal­b Jahren einen japanische­n HightechSe­ssel gegönnt, mit Daumen- und sogar Reiki-Funktion! Er ist potthässli­ch, aber wenn unser Haus abbrennen würde, würde ich ihn gleich nach meiner Familie aus den Flammen retten.

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AFP Ihr Roman Schriftste­llerinnen in Europa. ist eine der erfolgreic­hsten Die Britin Jojo Moyes wurde nun verfilmt. „Ein ganzes halbes Jahr“

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