Die Leinwand und das Sternenzelt vor Augen
Das Vergnügen, unter freiem Himmel Filme zu schauen, ist über 100 Jahre alt. Noch heute sind Freiluftkinos äußerst beliebt: Sie bringen den Zauber eines Films in die laue Abendluft, sie bieten ein Erlebnis für alle Sinne und erinnern in ihrer Unkontrollie
Vielleicht ist es der Umstand, dass sich die fantastischen Weiten des Films mit der Außenwelt vermischen, der einen Abend im Sommerkino so reizvoll macht: wenn der Wind durch die Reihen bläst, während auf der Leinwand die Pferde über eine Steppe galoppieren; wenn sich der Weltraum in einem Science-Fiction-Film mit dem Nachthimmel verbindet; oder wenn es in der finalen Szene einer Liebesgeschichte sachte zu regnen beginnt. Solche Momente sind nicht planbar, doch auch wenn nichts dergleichen passiert, haben Kinovorstellungen im Freien einen besonderen Charme.
„Mit dem Sommerkino ist eine Freiheitsidee verbunden“, sagt Ernst Kieninger, der Direktor des Filmarchivs Austria, der gemeinsam mit dem Viennale-Direktor, Hans Hurch, das „Kino wie noch nie“am Wiener Augartenspitz programmiert. „Über einem nichts als das Himmelszelt. Diese Freiheit hat auch eine historische Dimension: In Griechenland, wo es die ersten Freiluftkinos gab, war das eine schwer beherrschbare, spontane Form des Kinos. Da hat man Pop-up-Kinos in Hinterhöfen auf- und wieder zugemacht. Das war immer anarchistisch.“
Hans Hurch spricht vom „Reiz der Unkontrollierbarkeit“: „Wenn bei der Viennale ein Film läuft, dann läuft er – außer die Welt geht unter.“Im Freiluftkino sind nicht nur Wetter und Technik ein Faktor (Digitalprojektoren geben in der Sommerhitze manchmal den Geist auf ), auch sonst geht es nicht so geordnet zu wie im dunklen Kinosaal, der einen für die Dauer einer Filmvorstellung von der Wirklichkeit abschirmt. Im Sommerkino sitzt man unter Bäumen oder zwischen Hauswänden, es riecht nach Wiese oder Gegrilltem, manchmal blitzt und donnert es, bisweilen schüttet es auch – wie lange hält das Publikum durch? Zwischendurch hört man ein Hupen von den umliegenden Straßen oder seine Sitznachbarn die Gelsen vom Unterschenkel klatschen – es ist eine Erfahrung für alle Sinne.
Das war das Kino schon in seinen Anfangsjahren, als Wanderkinos von Ort zu Ort fuhren und in Schaubuden oder Gasthäusern ihre Projektoren aufbauten. Da wurde geraucht und geschrien. Auch später, als Kinos einen fixen Saal hatten, gab es atmosphärische Zusatzangebote – die „NZZ“berichtet von einem Mann, der in den 20er-Jahren mit einer „duftgeschwängerten Spritze“durch die Sitzreihen ging und die Kinobesucher besprühte. Füße hoch! Kinovorstellungen unter freiem Himmel gibt es seit etwa 1900: In Griechenland wurden damals auf öffentlichen Plätzen oder in versteckten Hinterhöfen kurze Stummfilme gezeigt. Das älteste noch in Betrieb stehende Freiluftkino, das Sun Pictures Theater, eröffnete 1916 in Australien. Unkontrollierbar waren die Vorführungen damals allemal: Das Areal wurde regelmäßig überflutet, die Besucher mussten ihre Füße heben, wann immer das Wasser unter ihren Sitzen hindurchfloss. In Wien gab es ab 1921 Filme unter freiem Himmel zu sehen: Da gründete das Flieger-Kino im Park des Palais Clam-Gallas eine Open-Air-Dependance, im Jahr darauf eröffnete in der Döblinger Hauptstraße das „1. Wiener Freiluftkino“mit 450 Plätzen.
Mit dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die Freiluftkinos – vorerst – wieder aus dem Stadtbild. In den USA hatte sich da schon ein verwandtes Phänomen etabliert – bei dem den Kinobesucher vom Sternenzelt allerdings ein Autodach trennt: Die Autokinos, die in den 1950ern ihre Hochzeit erlebten, boten Kinovergnügen bei größtmöglicher Freiheit – für die Eltern, die sich den Babysitter sparten, indem sie ihre Kleinen mitnahmen, und für die Jugendlichen, die hinter beschlagenen Scheiben ungestört schmusen konnten.
Das letzte Autokino Österreichs in Groß-Enzersdorf musste im Vorjahr schließen. Bei den Sommerkinos ist der Zustrom ungebrochen. Hurch und Kieninger erzählen vom „Sommerkinobonus“: Filme würden vom Publikum
In Griechenland wurden um 1900 schon Filme im Freien gezeigt, in Wien ab 1921.
generell freundlicher aufgenommen. Zudem seien Besucher eher bereit, sich etwas anzusehen, das sie sich sonst nie ansehen würden. Hurch: „Es herrscht eine offenere Stimmung. Das hat sicher mit dem Ambiente zu tun. Dass man nicht einfach ins Kino geht, eine Karte kauft und heimgeht. Ein Freiluftkinofilm ist eigentlich ein Sommerabend.“