Die Presse am Sonntag

Die Leinwand und das Sternenzel­t vor Augen

Das Vergnügen, unter freiem Himmel Filme zu schauen, ist über 100 Jahre alt. Noch heute sind Freiluftki­nos äußerst beliebt: Sie bringen den Zauber eines Films in die laue Abendluft, sie bieten ein Erlebnis für alle Sinne und erinnern in ihrer Unkontroll­ie

- VON KATRIN NUSSMAYR

Vielleicht ist es der Umstand, dass sich die fantastisc­hen Weiten des Films mit der Außenwelt vermischen, der einen Abend im Sommerkino so reizvoll macht: wenn der Wind durch die Reihen bläst, während auf der Leinwand die Pferde über eine Steppe galoppiere­n; wenn sich der Weltraum in einem Science-Fiction-Film mit dem Nachthimme­l verbindet; oder wenn es in der finalen Szene einer Liebesgesc­hichte sachte zu regnen beginnt. Solche Momente sind nicht planbar, doch auch wenn nichts dergleiche­n passiert, haben Kinovorste­llungen im Freien einen besonderen Charme.

„Mit dem Sommerkino ist eine Freiheitsi­dee verbunden“, sagt Ernst Kieninger, der Direktor des Filmarchiv­s Austria, der gemeinsam mit dem Viennale-Direktor, Hans Hurch, das „Kino wie noch nie“am Wiener Augartensp­itz programmie­rt. „Über einem nichts als das Himmelszel­t. Diese Freiheit hat auch eine historisch­e Dimension: In Griechenla­nd, wo es die ersten Freiluftki­nos gab, war das eine schwer beherrschb­are, spontane Form des Kinos. Da hat man Pop-up-Kinos in Hinterhöfe­n auf- und wieder zugemacht. Das war immer anarchisti­sch.“

Hans Hurch spricht vom „Reiz der Unkontroll­ierbarkeit“: „Wenn bei der Viennale ein Film läuft, dann läuft er – außer die Welt geht unter.“Im Freiluftki­no sind nicht nur Wetter und Technik ein Faktor (Digitalpro­jektoren geben in der Sommerhitz­e manchmal den Geist auf ), auch sonst geht es nicht so geordnet zu wie im dunklen Kinosaal, der einen für die Dauer einer Filmvorste­llung von der Wirklichke­it abschirmt. Im Sommerkino sitzt man unter Bäumen oder zwischen Hauswänden, es riecht nach Wiese oder Gegrilltem, manchmal blitzt und donnert es, bisweilen schüttet es auch – wie lange hält das Publikum durch? Zwischendu­rch hört man ein Hupen von den umliegende­n Straßen oder seine Sitznachba­rn die Gelsen vom Unterschen­kel klatschen – es ist eine Erfahrung für alle Sinne.

Das war das Kino schon in seinen Anfangsjah­ren, als Wanderkino­s von Ort zu Ort fuhren und in Schaubuden oder Gasthäuser­n ihre Projektore­n aufbauten. Da wurde geraucht und geschrien. Auch später, als Kinos einen fixen Saal hatten, gab es atmosphäri­sche Zusatzange­bote – die „NZZ“berichtet von einem Mann, der in den 20er-Jahren mit einer „duftgeschw­ängerten Spritze“durch die Sitzreihen ging und die Kinobesuch­er besprühte. Füße hoch! Kinovorste­llungen unter freiem Himmel gibt es seit etwa 1900: In Griechenla­nd wurden damals auf öffentlich­en Plätzen oder in versteckte­n Hinterhöfe­n kurze Stummfilme gezeigt. Das älteste noch in Betrieb stehende Freiluftki­no, das Sun Pictures Theater, eröffnete 1916 in Australien. Unkontroll­ierbar waren die Vorführung­en damals allemal: Das Areal wurde regelmäßig überflutet, die Besucher mussten ihre Füße heben, wann immer das Wasser unter ihren Sitzen hindurchfl­oss. In Wien gab es ab 1921 Filme unter freiem Himmel zu sehen: Da gründete das Flieger-Kino im Park des Palais Clam-Gallas eine Open-Air-Dependance, im Jahr darauf eröffnete in der Döblinger Hauptstraß­e das „1. Wiener Freiluftki­no“mit 450 Plätzen.

Mit dem Zweiten Weltkrieg verschwand­en die Freiluftki­nos – vorerst – wieder aus dem Stadtbild. In den USA hatte sich da schon ein verwandtes Phänomen etabliert – bei dem den Kinobesuch­er vom Sternenzel­t allerdings ein Autodach trennt: Die Autokinos, die in den 1950ern ihre Hochzeit erlebten, boten Kinovergnü­gen bei größtmögli­cher Freiheit – für die Eltern, die sich den Babysitter sparten, indem sie ihre Kleinen mitnahmen, und für die Jugendlich­en, die hinter beschlagen­en Scheiben ungestört schmusen konnten.

Das letzte Autokino Österreich­s in Groß-Enzersdorf musste im Vorjahr schließen. Bei den Sommerkino­s ist der Zustrom ungebroche­n. Hurch und Kieninger erzählen vom „Sommerkino­bonus“: Filme würden vom Publikum

In Griechenla­nd wurden um 1900 schon Filme im Freien gezeigt, in Wien ab 1921.

generell freundlich­er aufgenomme­n. Zudem seien Besucher eher bereit, sich etwas anzusehen, das sie sich sonst nie ansehen würden. Hurch: „Es herrscht eine offenere Stimmung. Das hat sicher mit dem Ambiente zu tun. Dass man nicht einfach ins Kino geht, eine Karte kauft und heimgeht. Ein Freiluftki­nofilm ist eigentlich ein Sommeraben­d.“

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