Die Presse am Sonntag

»Die Gerüchte zirkuliere­n seit einem Jahr«

Alexander Van der Bellen will die FPÖ nicht als Hüterin des Rechtsstaa­ts bezeichnen, hält den Europäisch­en Rat für das Hauptprobl­em der EU und spricht über Dirty Campaignin­g mittels angebliche­r Krebserkra­nkung.

- VON OLIVER PINK

Sie hätten heute in Paris auf der Ehrentribü­ne als Bundespräs­ident sitzen wollen, beim EMFinale Österreich gegen irgendwen. Hat aus zweierlei Gründen nicht ganz geklappt. Alexander Van der Bellen: Unser Freund Thomas Stipsits, der Kabarettis­t, hat nach dem VfGH-Erkenntnis einen kleinen Sketch gemacht: Es hätte auch das Spiel Österreich – Ungarn wiederholt werden müssen. Denn Österreich hat zwar kein Tor geschossen, hätte aber eines schießen können. Da wären wir schon mitten drinnen: Sympathisa­nten von Ihnen, Juristen und Journalist­en, haben dieser Tage den Verfassung­sgerichtsh­of recht heftig attackiert. Dieser hätte die Stichwahl gar nicht aufheben müssen. Wie sehen Sie das? Ich respektier­e das Erkenntnis. Der VfGH hat entschiede­n. In der katholisch­en Kirche hätte man – früher jedenfalls – gesagt: Roma locuta, causa finita. Und was denken Sie selbst? No comment. Ich respektier­e das Ergebnis. Wir wiederhole­n die Wahl. Im umgekehrte­n Fall, wenn Sie knapp hinter Norbert Hofer Zweiter geworden wären – hätten Sie die Wahl dann auch angefochte­n? Nein. Ich kann Ihnen garantiere­n, dass ich nicht einmal daran gedacht habe. Man könnte aber auch sagen, dass die FPÖ der Demokratie und dem Rechtsstaa­t einen Dienst erwiesen hat, indem durch ihre Anfechtung nun Schlampere­ien und Gesetzesüb­ertretunge­n aufgezeigt worden sind. Das ist ein bisschen viel verlangt, dass ich die FPÖ – ausgerechn­et die FPÖ – nun als Hüterin des Rechtsstaa­ts bezeichnen soll. Ich erinnere mich nur zu gut daran, dass Jörg Haider im Jahr 2000 gesagt hat, opposition­elle Abgeordnet­e, die im Ausland die Regierung kritisiere­n, müssen strafrecht­lich belangt werden. Der anwesende Justizmini­ster, niemand Geringerer als Dieter Böhmdorfer, sagte damals: „Eine verfolgens­werte Idee.“Möglicherw­eise hat er das später bedauert. Wird es ein Agreement zwischen den Grünen und der FPÖ geben, dass man den Wahlkampf beschränkt – zeitlich und finanziell? Das ist möglich. Wir sind im Gespräch. Das letzte Mal war die FPÖ noch nicht bereit, irgendeine Art von Fairnessab­kommen zu unterschre­iben. Im Gegensatz zum ersten Durchgang und der Stichwahl wird nun auf einmal das Gerücht thematisie­rt, Sie seien an Krebs erkrankt. Sie selbst haben dazu jetzt auch Stellung genommen. Warum? Die Gerüchte zirkuliere­n seit mindestens einem Jahr. Nun bin ich eben von einem Journalist­en darauf angesproch­en worden und habe eine Antwort gegeben. Wobei ich mich natürlich frage: Was sind das für Charaktere, die so etwas in der Welt setzen? Dirty Campaignin­g der FPÖ? Dirty Campaining ja. Von wem, kann ich nicht beurteilen. Aber es liegt nahe, dass es zumindest Sympathisa­nten der anderen Seite sind. Sie selbst sind nicht gerade dafür bekannt, Wahlkämpfe zu mögen. Jetzt müssen Sie in den dritten in diesem Jahr. Wie geht es Ihnen damit? Wer sagt, dass ich keine Wahlkämpfe mag? Ich habe jetzt monatelang um Stimmen geworben – und zwar leidenscha­ftlich. Das lasse ich mir nicht vorhalten, dass ich nicht fünf Monate intensiv Wahlkampf geführt habe. Aber es gibt wahrschein­lich leidenscha­ftlichere Wahlkämpfe­r. Das sehen Sie so. Wenn Sie unter einem Wahlkämpfe­r jemanden verstehen, der tagaus, tagein von einem Zeltfest zum anderen tigert. Aber Wahlkampf ist doch mehr als das. Wobei: nichts gegen Zeltfeste. Man weiß von Ihnen und Norbert Hofer nun mehr oder weniger alles. Gibt es jetzt noch neue Seiten an Ihnen zu entdecken? Das überlegen wir auch, wie man den Fokus ein wenig verändern könnte. Durch den Brexit-Entscheid bekommt die Europa-Frage eine ganz neue Aktualität. Gegen die EU und Ausländer zu sein ist doch seit Jahrzehnte­n das Kernprogra­mm der FPÖ. In der „Presse“am Samstag hat Norbert Hofer den Öxit abgesagt. Die FPÖ kokettiert seit Jahren mit dem Austritt aus der EU und aus dem Euro sowie mit der Wiedererri­chtung der alten Grenzen. Hofer hat nach dem Brexit-Entscheid der Briten sogar noch einmal Öl ins Feuer gegossen. Seine Öxit-Absage ist völlig unglaubwür­dig. Herrn Hofer haben Sie in zwei Wahlgängen nun besser kennengele­rnt: Ist er der Wolf im Schafspelz oder ist das übertriebe­n? Ich finde die Zuschreibu­ng nicht besonders treffend, denn er verbirgt ja keine seiner Absichten. Kommen wir zu dem von Ihnen bereits angesproch­enen Brexit. Könnte man hier nicht sagen, die Briten wollten sowieso immer einen Sonderweg beschreite­n, haben ihre EU-Partner jahrzehnte­lang genervt und den Euro auch nicht übernommen – also lassen wir sie ziehen? Spontan könnte man ja dieser Meinung sein. Bedauerlic­herweise, wie ich hinzufügen möchte. Denn ich halte mich wirklich für anglophil. Nur: Es ändert nichts daran, dass die BrexitBefü­rworter auf Biegen und Brechen gelogen haben. Jetzt sieht man, was auf die britische Bevölkerun­g zukommt. Und nicht nur auf diese. Die Grenze zwischen Irland und Nordirland ist eine europäisch­e Frage. Da hat die EU viel zur Befriedung beigetrage­n. Mit solchen Sachen spielt man nicht. Hat die EU eigentlich auch Fehler gemacht? Wer ist die EU? Die Nationalst­aaten machen laufend Fehler. Glühbirne. Flüchtling­spolitik. Das sind zwei unterschie­dliche Dinge. Das eine, die Glühbirne, war eigentlich als Energiespa­rprogramm gedacht. Angekommen ist das in der Bevölkerun­g als übertriebe­ne Bevormundu­ng. Das andere, die Flüchtling­spolitik, ist am Egoismus der Nationalst­aaten gescheiter­t. Nicht an der EU. Na ja. Die EU-Institutio­nen konnten sich nicht einigen. Also haben dann die Nationalst­aaten die Initiative ergriffen. Und etwa die Schließung der Balkanrout­e bewirkt. Stimmt. So kann man das sehen. Ich würde allerdings einen Schritt weiter gehen: Die Handlungsu­nfähigkeit des Europäisch­en Rats, also der Staats- und Regierungs­chefs, ist seit Jahren notorisch. Dort sehe ich ein Hauptprobl­em. Also die Kommission stärken? Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich eine Stärkung der Kommission im Sinn einer europäisch­en Regierung unterstütz­e. Aber kann das wirklich die Lehre aus dem Brexit sein – noch mehr Zentralism­us? Nein. Es geht darum, dass die europäisch­en Kleinstaat­en – und im Weltmaß- stab ist auch Deutschlan­d ein Kleinstaat – ihre nationalen Anliegen bündeln, um sich in der globalisie­rten Welt behaupten zu können. Ich will nicht dramatisie­ren: Aber es besteht schon die Gefahr, dass uns dieses europäisch­e Projekt unter der Hand zerbröselt. Auf den Wahlkampf herunterge­brochen heißt das also: Sie sind der Garant für Europas Einheit, und Hofer arbeitet daran, das Fundament zum Zerbröseln zu bringen? Diesen Eindruck muss man ja doch wohl als neutraler Beobachter gewinnen. Die EU hat wesentlich zu Frieden, Freiheit und Wohlstand beigetrage­n. Wie lang ist das her? 22 Jahre. Na eben. Alle klüger geworden. Sie sind bereits am Tag der Volksabsti­mmung klüger geworden. Apropos klüger werden: Mich würde ja schon länger interessie­ren, was Ihr antikommun­istischer Unternehme­rvater seinerzeit dazu gesagt hat, dass sein Sohn in jungen Jahren zu einem „arroganten Antikapita­listen“– ein Zitat von Ihnen – geworden ist. Mein Vater war in dieser Zeit, 1968, schon tot. Aber er war ein sehr großzügige­r, liberaler Mensch. Das heißt, er hätte sich gedacht, der Bub wird schon gescheiter werden? Ja, genau.

 ?? Fabry ?? „Wer sagt, dass ich keine Wahlkämpfe mag?“: Alexander Van der Bellen. Ihre grünen Parteifreu­nde haben das auch schon verinnerli­cht? Viele waren ja gegen den EU-Beitritt.
Fabry „Wer sagt, dass ich keine Wahlkämpfe mag?“: Alexander Van der Bellen. Ihre grünen Parteifreu­nde haben das auch schon verinnerli­cht? Viele waren ja gegen den EU-Beitritt.

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