Die Presse am Sonntag

»Wir stehen der Nato näher als Russland«

Österreich sei neutral, aber nicht äquidistan­t, sagt Verteidigu­ngsministe­r Doskozil am Rand des Nato-Gipfels. Im Ost-West-Konflikt sieht er beidseitig­e Maßnahmen, die zur Eskalation führen können. In der Flüchtling­skrise geht er auf Ungarn zu.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Hier, beim Nato-Gipfel, ist es Konsens, dass man Russland an der Ostflanke abschrecke­n muss. Sehen Sie das auch so? Hans Peter Doskozil: Das Vorgehen der Nato im Baltikum und in Polen, die Stationier­ung der Brigade, würde ich nicht als Abschrecku­ng definieren. Der Hintergrun­d ist ein anderer: Die Nato will den Partnern im Osten in deren Ängsten beistehen. Das ist verständli­ch. Aber der wichtige Punkt ist, auf der anderen Seite sensibel zu sein und den Dialog zu forcieren. Ein sicheres Europa gibt es nicht ohne Russland. Davon bin ich überzeugt. Und ein sicheres Europa gibt es auch nicht durch gegenseiti­ges Aufrüsten. Aber halten Sie die Ängste vor Russland im Baltikum für berechtigt? Die Ängste sind zu einem guten Teil historisch bedingt. Das muss man respektier­en. Es darf aber keineswegs dazu führen, dass es jetzt einen Rüstungswe­ttlauf gibt. Was ich aber schon verstehe, ist, dass man die Aktivitäte­n Russlands im hybriden Bedrohungs­bereich erkennt. Ich halte es für wichtig, sich bei der Bekämpfung hybrider Bedrohunge­n zu verbessern und mit den Szenarien auseinande­rzusetzen. Da haben die Nato und die EU Nachholbed­arf. Auf der anderen Seite wirft der Kreml der Nato vor, Russland durch seine Osterweite­rung einzukreis­en. Das ist ein wechselsei­tiges Zuwerfen von Argumenten. Die Wahrheit liegt wie immer im Leben in der Mitte. Das Thema dreht sich im Kreis. Jeder versucht, seine Positionen zu festigen. Sie sagen: „Die Wahrheit liegt in der Mitte.“Bedeutet das, beide Seiten sind zu gleichen Teilen schuld? Die Schuldfrag­e hilft nicht weiter. Auf Nato-Seite gibt es die Stationier­ung einer Brigade, auf der anderen Seite die Manöver der russischen Armee: Das sind wechselsei­tige Maßnahmen, die zu einer Eskalation führen können, die niemand von uns wollen kann. Das ist beiderseit­s der falsche Weg. Die Aufnahme von Gesprächen, der NatoRussla­nd-Rat nächste Woche, das ist ein ganz wesentlich­er Schritt. Ich denke, dass auch von Russland aus Dialogbere­itschaft besteht. Wenn das Gespräch nicht mehr möglich wäre: Wo bewegen wir uns dann hin? Und wo steht Österreich – Äquidistan­z zu Nato und Russland aufgrund der Neutralitä­t? Sicherlich nicht in der Mitte. Österreich ist politisch Teil der Europäisch­en Union. Dazu kommen auf dem militärisc­hen Sektor Kooperatio­nen, die wir auch mit der Nato bei Trainingsp­rojekten und Missionen wie im Kosovo haben, wenn wir sie sicherheit­spolitisch für sinnvoll halten. Wir stehen also der Nato in der täglichen militärisc­hen Arbeit mit Sicherheit näher als Russland. Zugleich ist die Neutralitä­t für uns zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht ein wichtigere­s Instrument, als wir glauben. Es gibt Stimmen, die sagen, die Nato solle sich mehr auf ihre Südflanke verlegen. Ich hoffe das. Das ist auch eine Erwartungs­haltung in Österreich, wenn man das Wort Nato hört. Wenn man auf die Rolle der Nato zwischen Türkei und Griechenla­nd in der Ägäis blickt, erwartet man sich das auch im zentralen Mittelmeer, im Bereich der Schlepperb­ekämpfung, aber auch in einem grundsätzl­ichen Ansatz im Bereich des Terrorismu­s. Das wäre eine ganz wichtige Rolle für die Nato. Beim Gipfel ist auch der Brexit Thema. Schwächt er die EU in Verteidigu­ngsfragen? Zunächst bedeutet es eine Schwächung, ja. Großbritan­nien war ein starker und verlässlic­her Partner. Zugleich öffnet sich die Chance eines psychologi­schen Neustarts für eine gemeinsame Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik. Das würde ich durchaus begrüßen. Österreich selbst will nun die EU-Außengrenz­e in Ungarn schützen. Wann werden die ersten Soldaten oder Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze stehen? Das wird sich zeigen. Wir haben nächsten Donnerstag ein Treffen der Innenund Verteidigu­ngsministe­r an der serbisch-ungarische­n Grenze. Im Kern geht es darum: Machen wir eine gemeinsame Außengrenz­sicherung? Ich

1970

wird Hans Peter Doskozil im steirische­n Vorau geboren. Beruflich beginnt er als Streifenpo­lizist im Südburgenl­and.

2010

wird der Exekutivbe­amte nach einem Jusstudium und Tätigkeit als Fremdenrec­htsexperte im Innenminis­terium Büroleiter des burgenländ­ischen Landeshaup­tmanns, Hans Niessl (SPÖ).

2012

wird er Landespoli­zeidirekto­r.

2015

Seit Ende Jänner ist er Verteidigu­ngsund Sportminis­ter in der SPÖ-ÖVP-Bundesregi­erung. denke, dass regionale Kooperatio­nen zum Schutz der EU-Außengrenz­e zielführen­d sind, solange es noch keinen effektiven gemeinscha­ftlich organisier­ten EU-Außengrenz­schutz gibt. Anderersei­ts muss man mit Ungarn auch eine Lösung finden, wie man die Dublin-Regelung aktiviert und Rückstellu­ngen nach Ungarn möglich sein können. Das heißt, Sie verknüpfen das: Wenn Ungarn keine Flüchtling­e aus Österreich zurücknimm­t, gibt es auch keine Unterstütz­ung an der ungarische­n Außengrenz­e? Ich würde es anders formuliere­n: Ich sehe keinen Sinn darin, wenn wir mit österreich­ischen Polizisten und Soldaten nach Ungarn an die europäisch­e Außengrenz­e gehen und dann 200 Kilometer dahinter unsere eigene Grenze ebenfalls sichern müssen, weil das Zusammensp­iel nicht passt. Es kann aber durchaus sein, dass es nächste Woche zu einer Annäherung kommt. Es gibt Kritik an Haftstrafe­n für illegale Grenzgänge­r in Ungarn und nun auch Berichte über Abschiebun­gen ohne Verfahren nach Serbien. Soll sich Österreich an so einem Grenzregim­e beteiligen? Erstens: Wenn die Türkei laut EUKommissi­on ein sicherer Drittstaat ist, EU-Mitglieder wie Griechenla­nd oder Ungarn jedoch nicht, würde das doch niemand verstehen. Zweitens gibt es ein europäisch­es Asyl- und Fremdenrec­htssystem, das sehr stark von Verordnung­en geprägt ist. Ungarn muss sich wie alle anderen Länder an die EU-weit vorgegeben­en Standards halten. Aber unterstütz­en Sie Haftstrafe­n für illegale Grenzgänge­r? Ungarn hat sich entschiede­n, die Grenzverle­tzungen unter Strafrecht zu stellen. Das war eine nationale Entscheidu­ng. Die habe ich nicht zu kommentier­en. Aber Sie können sich aussuchen, mit wem Sie zusammenar­beiten. Ja, und in der Flüchtling­sthematik müssen wir auch mit Ungarn zusammenar­beiten. Das ist eine regionale Herausford­erung, die ohne Ungarn nicht lösbar ist. Ich glaube, Ungarn hat das Vertrauen in die Europäisch­e Union verloren, als 175.000 Flüchtling­e in sieben Monaten gekommen sind und sich in der Europäisch­en Kommission niemand darum gekümmert hat. Das zeigt sich jetzt, wenn in Ungarn mit der Flüchtling­sfrage Politik gemacht wird, die Volksbefra­gung zur Verteilung von Asylwerber­n sehe ich in diesem Zusammenha­ng. Aber wenn man den Ungarn bei Themen wie Rückführun­gen und Außengrenz­schutz zeigt, dass Zusammenar­beit auf Augenhöhe möglich ist, dann bin ich überzeugt, dass im nächsten Schritt Kernpunkte einer europäisch­en Lösung, wie die Verteilung von Flüchtling­en und gemeinsame Verfahren, auch gemeinsam mit Ungarn machbar sein könnten.

 ?? HBF/Pusch ?? Verteidigu­ngsministe­r Doskozil vor dem Austragung­sort des Nato-Gipfels, dem Nationalst­adion in Warschau.
HBF/Pusch Verteidigu­ngsministe­r Doskozil vor dem Austragung­sort des Nato-Gipfels, dem Nationalst­adion in Warschau.

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