Die Presse am Sonntag

Österreich trainiert Afghanen im Gebirgskam­pf

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Bei dem zweitägige­n Nato-Gipfel ging es auch um die prekäre Lage auf dem Hindukusch. Doch dominiert wurde der Gipfel vom Ost-West-Konflikt und von dem Versuch der Nato, eine Kluft zwischen Süden und Osten zu verhindern. Bei dem Nato-Gipfel in Polens Nationalst­adion saugt der Konflikt des Bündnisses mit Russland die Aufmerksam­keit auf – und verstellt dabei den Blick auf andere Bedrohunge­n. Denn es ging hier auch um schnell wachsende Gefahren (der Cyber-Raum wurde zum Operations­gebiet erklärt), aber auch um alte Konflikthe­rde, Afghanista­n zum Beispiel. Die Region ist nicht befriedet, die Taliban breiten sich wieder aus. Anstatt wie geplant die Nato-Ausbildung­smission „Resolute Support“zurückzufa­hren, pumpt das Bündnis künftig jährlich rund fünf Milliarden Dollar in Afghanista­ns Streitkräf­te und bleibt mit 12.000 Soldaten im Land.

Bis zu zehn Experten stellt weiterhin Österreich­s Bundesheer, wobei die rot-weiß-rote Abordnung übersiedel­t, aus der Hauptstadt, Kabul, hinauf in den Norden, nach Kundus. wo afghanisch­e Soldaten künftig im Gebirgskam­pf gegen die Taliban ausgebilde­t werden sollen. „Ein qualitativ­er Sprung“, sagte Verteidigu­ngsministe­r Doskozil gestern, der die Mission aber als Überleitun­g zur Flüchtling­skrise nutzte: Die Mission solle den Afghanen helfen, sichere Zonen im Land zu schaffen. Sie solle mit dem Thema Rückführun­gen verzahnt werden.

In Polens größter Fußballare­na ging es dem Bündnis gestern auch darum, die Mitglieder an der Nato-Südflanke zu beruhigen, wo der Eindruck herrscht, die Nato verzettle sich im Konflikt mit Russland, anstelle die Bedrohunge­n im Süden anzugehen, wo sich etwa in Libyen der IS-Terror ausbreitet und der Beginn der Migrations­routen liegt. Die Nato traf deshalb bei dem Gipfel Vorbereitu­ngen, der EU wie in der Ägäis eine Seeraumübe­rwachung im zentralen Mittelmeer anzubieten. Demnächst könnten also Kriegsschi­ffe auch vor den Toren Libyens kreuzen, Schlepper ausspähen, aber auch Waffenschm­uggler. Die Nato schaltet sich zudem in den Kampf gegen den IS-Terror im Nahen Osten ein, wobei die Awacs-Luftaufklä­rer nicht direkt über Syrien und dem Irak kreisen werden.

Russland abschrecke­n, ohne es zu provoziere­n: Das war der zweite, gleicherma­ßen schwierige Drahtseila­kt bei dem Gipfel. Gestern traf Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g den ukrainisch­en Präsidente­n, Petro Poroschenk­o. Für die Ukraine und Georgien gab es hier zwar schöne Worte und praktische Hilfszusag­en, aber wegen der Konflikte mit Russland keine ernsthafte Beitrittsp­erspektive. Schon am ersten Gipfeltag beschloss die Nato die Aufrüstung ihrer Ostflanke um eine Brigade. Zugleich mühte sich Generalsek­retär Jens Stoltenber­g ab, die „defensiven Absichten“herauszust­ellen – und Moskau Dialogange­bote zu offerieren.

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel: Litauen erklärte bereits, es hätte gern mehr als die 1000 zugesagten Soldaten. Zudem gibt es eine Debatte, die nukleare Abschrecku­ng zu stärken. Länder wie Deutschlan­d bremsen; die bündnisfre­ien Schweden und Finnen dürften näher an die Nato rücken. In Warschau saßen sie bereits mit am Tisch. Die militärisc­he Kooperatio­n der zwei Staaten mit Österreich kam dagegen praktisch zum Erliegen. Im Klub der neutralen EUStaaten bleiben sonst noch drei Inseln: Malta, Zypern, Irland.

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