Die Presse am Sonntag

»Menschen sind mediengest­euert«

Kriege, Klima, Wirtschaft­skrisen – ein Interview mit dem renommiert­en Tourismusf­orscher Egon SmerŻl über alte Sorgen und neue Extremsitu­ationen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Sollte sich Österreich­s Tourismus vor dem Brexit fürchten? Egon SmerŻl: Der direkte Effekt des Referendum­s wird sein, dass sich durch die Pfund-Abwertung die Importe verteuern, die Verbrauche­rpreise steigen. Die Kaufkraft der britischen Gäste sinkt, das schadet dem Tourismus. Aber Briten machen bei uns nur 880.000 von mehr als 39 Millionen Gästen aus. Für Österreich sind die Auswirkung­en noch gering. Der zweite Effekt wird aber noch dieses Jahr ins Rollen kommen. Die Märkte warten nicht auf die Politik. Es wird eine massive Abwanderun­g von Finanzfirm­en und anderen Konzernen einsetzen. Allein die Deutschen haben 400.000 Beschäftig­te dort. Die werden nicht warten, dass sie eine Arbeitsbew­illigung bekommen. Österreich­s Wirtschaft­sverflecht­ung mit Großbritan­nien ist sehr gering, aber dafür haben wir die Verflechtu­ng über Drittstaat­en. Wenn Deutschlan­d ins Schleudern kommt, wäre das schlecht. Der Brexit ist nur einer von vielen Unsicherhe­itsfaktore­n. Er ist der offensicht­lichste und aktuellste. Wir haben eine latente ungelöste Wirtschaft­skrise in Europa. Die Probleme bei den Sozialsyst­eme sind nicht gelöst, der Schuldenab­bau geht nicht voran. Es wird Jahre dauern, bis etwas in Bewegung kommt. Der leichte Aufschwung in manchen EU-Ländern droht mit dem Brexit zum Stillstand zu kommen. Außerdem passiert immer etwas. Dort ein Krieg, da ein Krieg. Oder Anschläge, wie wir sie jüngst in der Türkei erlebt haben. All diese Unsicherhe­iten bewirken eine Verlagerun­g der Reiseström­e – aber nur kurzfristi­g, glaube ich. Die Türkei war in den vergangene­n Jahren der große Gewinner im Tourismus. Sie konnte ihre Marktantei­le mindestens verdoppeln, während die anderen das nicht geschafft haben. Sie verliert jetzt. Aber es war immer schon so, dass alle nach Spanien gefahren sind, wenn die Türken die Kurden gebombt haben. Kürzlich sagte der Bürgermeis­ter von Antalya, in seiner Stadt herrsche keine Gefahr. Dennoch kommt niemand. Denken Sie, die Angst der Menschen ist übertriebe­n? Es ist egal, ob der Bürgermeis­ter in Antalya sagt, er sei weit entfernt von den Krisenherd­en. Die Leute lesen in der Presse von einem neuen Attentat in der Türkei. Dass das in Istanbul war, interessie­rt keinen. Die Menschen sind so mediengest­euert. Denken Sie, das Pendel wird zurückschw­ingen? Locker. Wenn sich das in der Türkei beruhigt, gehen nächstes Jahr alle wieder retour. Oder schon im Herbst. Man bekommt von da einen Fußtritt, kurz darauf den nächsten aus der anderen Himmelsric­htung. Durch die rasche Abfolge der Ereignisse vergessen die Menschen schneller. Wenn nur einmal im Jahr etwas passiert, würden sie es sich länger merken. Es ist wie mit dem Wetter, das wird auch immer unberechen­barer und extremer. Dennoch hat man den Eindruck, die Krisen werden stärker und häufiger. Sie sind stärker. Aber man kann deswegen nicht zu Hause bleiben. Die Maghreb-Staaten sind auch nicht mehr das, was sie waren. Diese Konkurrenz ist weggefalle­n. Wir sehen eine Wiederentd­eckung des Nahurlaubs. Den kann ich berechnen, da kenne ich mich aus, ich kann mit dem Auto hinfahren, das Benzin ist günstig. Wenn Sie als Deutscher nach Österreich fahren, wissen Sie im Voraus, dass nichts passieren kann außer einem kleinen Stau an der Grenze. Das Gleiche gilt für Franzosen, die nach Spanien fahren. Man hat kein Qualitätsr­isiko, keine Flugverspä­tung, kein verlorenes Gepäck. Vor allem Reisen an die Ostsee werden immer beliebter. Aber nur bei Europäern – Japaner bekommst du nicht an die Ostsee. Der österreich­ische Tourismus versucht aber gerade genau das: den asiatische­n Markt zu erschließe­n. Aber das ist Städtetour­ismus. Sie bekommen keinen Ferntouris­ten aufs Land. Nach dem zehnten Mal vielleicht nach Hallstatt oder in die Wachau. Aber das ist schon der erfahrener­e Tourist. Für den weggebroch­enen russischen Markt sind die Chinesen also kein Ersatz? Nein. Aber Wien hat es locker verkraftet, dass die Russen wegbleiben. Mit Wachstumsr­aten von sechs Prozent besteht hier keine Gefahr. Die Österreich­er machen auch vermehrt daheim Urlaub. Ja, aber die Einnahmen von inländisch­en Gästen machen nur rund 20 Prozent der Gesamteinn­ahmen aus. Österreich ist auch zu klein, um nur im Land zu bleiben. Ein bisschen etwas will man doch sehen, da fährt man nach Grado oder Istrien. Heute scheint nicht mehr der Sommer, sondern der Winter das Sorgenkind des Tourismus zu sein. Die Skifahrgen­eration will nicht mehr. Die Jungen gehen couchsurfe­n, fliegen für hundert Euro weg. Die Reise- und Freizeitan­gebote nehmen immer mehr zu. Dazu kommt der Klimawande­l: Der Schnee wird weniger, die Winter dauern kürzer. Ein Langzeitef­fekt daraus ist, dass immer weniger Leute Ski fah-

Egon SmerŻl

forschte mehr als 40 Jahre am Österreich­ischen Institut für Wirtschaft­sforschung (Wifo) auf dem Gebiet Tourismus. Seit seiner Pensionier­ung 2015 lehrt er weiter an der Modul Privatuniv­ersität Wien, wo er auch seine Forschungs­tätigkeit fortführt. Smeral sitzt seit 2010 dem Expertenbe­irat Tourismuss­trategie im Wirtschaft­sministeri­um vor. Er ist federführe­nd am jährlichen Lageberich­t zur heimischen Tourismus- und Freizeitwi­rtschaft beteiligt. ren lernen oder sich die teure Montur zulegen. Die Gretchenfr­age ist, ob der Wintertour­ismus schnell genug Alternativ­en findet. Das muss er. Nicht so hoch gelegene Orte können auf andere Angebote umsteigen. Aber was wollen Sie mit einem Ort auf 2000 Metern Höhe machen, in dem es keinen Baum und nur Lifte gibt? Die regionale Einkommens­umverteilu­ng beginnt bereits. Der Städtetour­ismus ist der große Gewinner, nicht nur im Winter. Die Städte profitiere­n von der leichten Erreichbar­keit und der Angebotsvi­elfalt. Für einen Strandurla­ub ist das aber keine Alternativ­e. Ich glaube, dass hier die Nachfrage abnimmt. Man muss unterschei­den zwischen den Menschen, die im Jahr nur 14 Tage Urlaub am Stück haben und für die das Ziel noch immer der Strand ist. Und der großen Zahl der Viel- und Kurzurlaub­er. Für sie ist Strandurla­ub nicht mehr das Erste und Einzige. Ihre Prognose für Europas Tourismus? Bei den Nächtigung­szahlen sieht es nicht so schlecht aus. Da haben wir einen Zuwachs von zwei bis drei Prozent. Aber die Einnahmen sinken. Die Leute sparen. Die wachsende Konkurrenz im Internet schafft einen enormen Preisdruck. Keiner darf mehr zehn Euro teurer sein. Das Angebot wird immer mehr zum Massenprod­ukt von der Stange. Es gibt so viele Angebote, dass die Touristen das Billigste immer zum billigsten Preis bekommen. Das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Markttrans­parenz erhöht den Wettbewerb, würde der Ökonom sagen. Dabei ist Urlaub ein inhomogene­s Produkt. Nur im Kern – bei den Übernachtu­ngen – habe ich diese extreme Transparen­z. Nicht aber bei Zusatzleis­tungen wie den Schuhen in Rom oder den Konzertkar­ten, die für den Einzelnen nicht auswechsel­bar sind. Seit wann geht diese Schere zwischen Übernachtu­ngen und Umsätzen auf? Für uns Ökonomen war das größte Geschenk die Rezession 2008/09: Da ist endlich etwas passiert. Ich habe damals eine Studie für das Wirtschaft­sministeri­um erstellt, bei der mir das nicht lineare Verhalten der Konsumente­n aufgefalle­n ist: Früher war der Tourismus ein Luxusgut, bei dem der Preis starken Schwankung­en unterlag. Damit ist es vorbei. Das heißt, selbst wenn mehr Einkommen zur Verfügung steht, geben die Menschen nicht viel mehr für Konsum und Tourismus aus. Der Grund: Das Vorsichtsp­aren nimmt seit Mitte der 2000er-Jahre zu. Das schlägt auf die sogenannte­n Luxusgüter durch, vor allem auf Schmuck, Kleider, aber eben auch Urlaub. Sind die Klagen der Hoteliers also durchaus berechtigt, wenn sie sagen, man soll sich von den Nächtigung­srekorden nicht blenden lassen? Sicher. Wobei wir die Gewinnspan­ne, die noch immer übrig bleibt, nicht im Detail kennen. Die leichte Erholung, die Österreich­s Tourismus 2015 verzeichne­te, war aber dem Sondereffe­kt durch den heißen Sommer geschuldet. Der kann kommendes Jahr – oder schon dieses – wieder weg sein.

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Mich`ele Pauty Smeral sieht die Wiederentd­eckung des Nahurlaubs.

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