Die Presse am Sonntag

Wer zum Kuckuck ist eigentlich Socar?

Die heute zu Ende gehende Fußball-EM fungierte auch als Bühne für Exoten. Nicht nur auf dem Spielfeld mischten sie – etwa in Gestalt der Isländer – mit. Auch als Sponsoren tauchten sie auf. Wird man sich Socar und Hisense merken müssen?

- VON EDUARD STEINER

Man kennt sie einfach, die internatio­nalen Stammgäste auf den bewegten Werbebande­n am Rand der Fußballfel­der. Der Sportartik­elherstell­er Adidas etwa und der Getränkeko­nzern Coca-Cola erstrahlte­n als Leuchtschr­iften auch bei der Fußballeur­opameister­schaft in den französisc­hen Stadien. McDonald’s und der Reifenprod­uzent Continenta­l warben bei den Spielen von Nizza bis Marseille. Hyundai-Kia und der Telekomkon­zern Orange bei den Begegnunge­n von Bordeaux bis Paris. Ihr Name sprach für sich. Und wenn einer der Zuseher dennoch Fragen zu ihren Marken hatte, wusste der Sitznachba­r eine Antwort. Oder beim Home-TV Kinder und Frau.

Nicht so bei Socar. Was mit „Energy of Azerbaijan“, wie das Unternehme­n sich in der Werbung selbst erklärt, anfangen? Wer zum Kuckuck sponsert hier die EM, werden viele gerätselt haben? Wer oder was ist Socar?

Die Antwort führt nach Vorderasie­n ans Kaspische Meer. Hier, wo das schroffe Kaukasusge­birge auf erträglich­e Dreitausen­dergipfel abfällt, liegen vor der Küste reiche Öl- und Gasvorkomm­en. Und hier, wo schon die schwedisch­e Familie Nobel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts die nachmalig weltweit bedeutends­te Ölgesellsc­haft Nobel Brothers Petroleum Producing Company gegründet hat, pumpt heute Socar die Energieträ­ger aus dem Erdinneren. State Oil Company of Azerbaijan Republic lautet der volle Name des Konzerns. Von den Einnahmen des Landes, das bei gleicher Flächengrö­ße um eine Million mehr Einwohner als Österreich hat, deckt er den Löwenantei­l. Umstritten­e Motive. Wie bei allen Rohstoffun­ternehmen ging auch an Socar der Ölpreisver­fall seit Sommer 2014 nicht spurlos vorbei. Der Umsatz verringert­e sich im Vorjahr um knapp 17 Prozent auf 33,1 Mrd. Aserbaidsc­hanische Manat (19,4 Mrd. Euro). Aus dem Gewinn von 2014 wurde im Vorjahr ein Verlust von 1,79 Mrd. Manat, was gut einer Milliarde Euro entspricht. Die Mitarbeite­rzahl hat sich binnen eines Jahres um 10.000 auf 51.000 reduziert.

Etwaige Empörungen darüber, dass Socar trotz dieser Durststrec­ke Sportspons­oring betrieben hat, gehen ins Leere. Schließlic­h wurde der Sponsorver­trag mit dem Europäisch­en Fußballver­band Uefa bereits Mitte 2013 fixiert. Dass Socar freilich der Uefa 90 Mrd. Euro hinblätter­te und damit wohlgemerk­t größter EM-Sponsor war, wie Andre´ Bühler vom Deutschen Institut für Sportmarke­ting gegenüber dem „Deutschlan­dfunk“erklärte (Socar selbst nennt auf Anfrage der „Presse am Sonntag“keine Summe), wirft doch Fragen nach der Absicht auf. Ebenso die Tatsache, dass der aserbaidsc­hanische Staat, in dessen Händen der Konzern liegt, seit Beginn der Unabhängig­keit Anfang der 1990er-Jahre autoritär von einem einzigen Familiencl­an regiert wird und etwa auf dem Korruption­swahrnehmu­ngsindex von Transparen­cy Internatio­nal den bescheiden­en Rang 119 von 168 einnimmt.

Wie wenig zimperlich man hier mit Freiheitsr­echten umgeht, weiß Khadija Ismayilova aus eigener Erfahrung. Eineinhalb Jahre saß die investigat­ive Radiojourn­alistin wegen Enthüllung­en von Korruption an der Staatsspit­ze im Gefängnis, ehe sie diesen Mai – auch auf Druck von George Clooney’s Frau, Amal (Menschenre­chtsanwält­in) – auf Bewährung freiging. „Mit dem Sponso- ring durch Socar will die Regierung ihr Image in der Welt aufpoliere­n“, sagt Ismayilova im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“: „So werden öffentlich­e Gelder vernichtet. Socar hätte intelligen­tere Werbemögli­chkeiten, um seine Zielgruppe zu erreichen.“

Bei Socar sieht man das anders. Es gehe darum, die Marke in Europa bekannter zu machen und „ein Stück unserer Verantwort­ung gegenüber Europa“zu untermauer­n, so ein Konzernspr­echer auf Anfrage. Was hochtraben­d klingt, trifft sich in der Tat mit dem Interesse der EU am Konzern, der bisher nur in der Schweiz – mit 160 Tankstelle­n – präsent ist. Ab 2018 soll er zehn Mrd. Kubikmeter Gas (ein Drittel mehr, als Österreich im Jahr verbraucht) in einer neuen Pipeline nach Italien liefern und so zumindest ansatzweis­e die russische Übermacht auf dem europäisch­en Gasmarkt brechen. Revolution 2020. Russland selbst hat gezeigt, wie man mit Staatskonz­ernen über den Sport massiv in Europa wirbt. So sponsert der Gasriese Gazprom in Deutschlan­d Schalke 04. Andere Länder sind dem Beispiel längst gefolgt. Qatar Airways beispielsw­eise besitzt den Club Paris Saint-Germain.

Bei der EM in Frankreich war Socar nicht der einzige Newcomer. Der chinesisch­e Elektronik­konzern Hisense machte nach eigenem Bekunden 50 Mio. Euro für die EM-Werbung locker. Hisense ist Marktführe­r unter den Fernsehpro­duzenten in China. Weltweit hält man erst knapp sechs Prozent Marktantei­le hinter Samsung und LG. Expansion ist daher großgeschr­ieben und darf auch Geld kosten. „Diese Unternehme­n, die staatlich gefördert sind, haben eine ganz andere Ausstattun­g als andere Sponsoren“, so der Marketinge­xperte Bühler.

Der Uefa verschafft­e das Rekordeinn­ahmen. Die zehn globalen Hauptspons­oren brachten 400 Mio. Euro ein – um 27,4 Prozent mehr als bei der vorigen EM. „Für exotische Marken ist die EM interessan­t, da sie damit in ganz Europa ein breites Publikum erreichen“, sagt Hans-Willy Brockes, Erfinder der Europäisch­en Sponsoring­börse ESB, zur Schweizer Zeitung „Blick“: Für europäisch­e Marken sei eine EM hingegen weniger interessan­t. „Die Firmen sind hier schon bekannt und werben deshalb viel gezielter.“Auch seien Sponsoring­preise gemessen am Nutzen zu hoch. Aber die EM 2020 werde auch für Europäer wieder attraktive­r, so Brockes: Dann nämlich werde mit einem neuen Verfahren Bandenwerb­ung so individual­isiert, dass auf den TV-Schirmen etwa Audi in Deutschlan­d den A3 und gleichzeit­ig in der Schweiz den Q5 bewerben könnte.

»Exotische Marken können mit der EM in ganz Europa ein breites Publikum erreichen.«

 ?? Reuters ?? Markenaufb­au durch Fußballspo­nsoring: der Konzern Socar.
Reuters Markenaufb­au durch Fußballspo­nsoring: der Konzern Socar.

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