Die Presse am Sonntag

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Die Geschlecht­eridentitä­t, ihre Grenzen und Überschrei­tungen ziehen sich durch das ganze Buch: Wenn wir nicht mehr sicher sein können, ob wir Mann oder Frau sind, wessen können wir uns dann überhaupt sicher sein? Ebenso zieht sich das Spiel zwischen Betrachter (Subjekt) und Gegenstand (Objekt) durch den Roman. Gekonnt verschiebt Smith die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit: Was an der Geschichte des (oder der) Francesco del Cossa ist wahr? Wem soll oder darf der Leser vertrauen?

Das Buch hat zwei Teile, die beide mit der Ziffer 1 betitelt sind. Ob man als Leser ein Exemplar in die Hand bekommt, das mit der Geschichte von George oder mit jener von Francesco beginnt, ist reiner Zufall. „Haec te unum“, du und sie sind eins, steht auf der Münze, die Francesco als Lohn für seine Arbeit in Ferrara erhält (daraus entwickelt sich jede Menge Ärger), und das ist auch die Idee hinter dem Buch. Ist der Teil über George konvention­ell erzählt, wagt sich Smith in dem Teil Ali Smith „Beides sein“ Übersetzt von Silvia Morawetz Luchterhan­d 320 Seiten 23,70 Euro über del Cossa sehr weit in experiment­elles Gebiet vor. Manches ist dabei nicht leicht zu verstehen.

Andere Teile hingegen sind überaus berührend, insbesonde­re die Geschichte Francescos und das Ringen um Anerkennun­g, Ehre und Liebe. Aus dem Umstand, ein anderer zu sein, als es den Anschein hat, erlaubt die Autorin der Hauptfigur eine Direktheit im Umgang mit anderen, die nicht immer auf Sympathie stößt.

Es ist aber auch die Geschichte, von jemandem, der unermüdlic­h nach Gerechtigk­eit sucht (etwa wenn es um den Lohn in Ferrara geht) und allein dafür Bewunderun­g verdient, dass er/ sie sich nie unterkrieg­en lässt: „. . . als es heller Morgen geworden war und ich die erste Erhebung der Landstraße erreicht und die Ebene unten ganz hinter mir gelassen hatte, hielt ich an. Überschlug meine Verluste. Meine Taschen waren so gut wie leer. Ich musste auf Arbeit hoffen. Ein Vogel sang über mir, als ich das dachte. Ich kam schon zurecht.“

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