Die Presse am Sonntag

Viel Haut und doch nicht ganz

Vor 70 Jahren wurde ein Strandkost­üm mit dem albernen Namen Bikini als Patent angemeldet. Hier ein nicht zu knapper einteilige­r Bericht über den Geniestrei­ch, Frauen zu entkleiden, ohne sie ganz auszuziehe­n.

- VON GÜNTHER HALLER

Sind Frauenmaga­zine dazu da, den Frauen Kummer zu machen? Regelmäßig im Frühling hat man diesen Eindruck, wenn seitenweis­e Checkliste­n für den schwierige­n Start in die Badesaison ausgebreit­et werden. Enorm viel Aufwand für den ersten Bikiniauft­ritt, dabei geht es doch eigentlich nur um ein paar Schritte am Strand, die zurückzule­gen sind, von der Badedecke ins Wasser, wo dann schon wieder alles von den Wellen verdeckt wird. Dabei sollte der Bikini nicht mit Idealmaßen, Diätqual und Scham assoziiert werden, sondern mit Gefühlen von Urlaubsfre­iheit, Sehnsucht und Entspannth­eit, auch mit Erotik natürlich.

2016 kommt noch hinzu, dass jeder im Sommer nach Rio de Janeiro blickt, an dessen Copacabana junge Frauen die prekäre Kunst von Verhüllung und Enthüllung so virtuos beherrsche­n wie sonst nirgends auf der Welt. Und unweigerli­ch sind wieder wie jedes Jahr im Frühling weltweit die riesigen Werbefläch­en von H & M zu sehen, auf denen die neiderrege­nden gazellengl­eichen Körper von Models oder Schauspiel­erinnen, nachdem sie die Segnungen der digitalen Bildbearbe­itung erfahren haben, in der neuesten Bademode präsentier­t werden. Man wartet auf den Bus und blickt zwangsläuf­ig in das üppige Dekollete´ der schönbusig­en Prominenz. Das stört uns Männer nicht so sehr, wir halten uns da an Moritz von Uslar: „Das Tolle an Heidi (Klum) ist, dass ihr Busen stärker wirkt als ihr Gesicht.“Doch der männliche Blick auf das knappe Verpackung­stextil, das das eigentlich Interessan­te verbirgt, wäre wohl eine eigene Geschichte wert, daher an dieser Stelle nur kurz Erich Kästners Vers aus seinem Gedicht „Das schamlose Trikot“: „Und wo die Frauen am schönsten sind, dort stecken sie in Trikots.“Aber eben diese Frauen haben vielfach das Gefühl, durch dieses frech-knappe Mieder ästhetisch nichts zu gewinnen. Ob der Erfinder des Bikinis vorhergese­hen hat, dass er auch der Begründer der stressigen Bikinidiät sein wird?

Coco Chanels Satz „Weibliche Nacktheit muss man den Männern mit dem Teelöffel geben, nicht mit der Schöpfkell­e“scheint wie eine kri- tische Reaktion auf das Bademodesp­ektakel zu sein, das am 5. Juli 1946 in Paris stattgefun­den hat. Louis Re-´ ard, Autoingeni­eur, der, seelisch reif geworden, die Freude an Motoren verloren hatte, sah seine berufliche Zukunft darin, die Hautevolee Europas für das Strandlebe­n auszustatt­en, was kein leichtes Unterfange­n war, denn Bademode galt nicht gerade als zwingender Bestandtei­l der Haute Couture.

Also musste nach den ehernen Gesetzen der Werbung ein Tabubruch her und ein klingender Name. Der Tabubruch bestand in der die Grenzen des Anstands verletzend­en Knappheit des zweiteilig­en Badeanzugs, den er präsentier­te, der Name, den er dafür wählte, war erstmals durch die Ereignisse auf den fernen Marshall-Inseln ein paar Tage zuvor in Europa überhaupt bekannt geworden und klang überaus albern: Bikini. Explosive Anfänge. Eigentlich trug der amerikanis­che Präsident Truman die Verantwort­ung: Er hatte im Februar 1946 eine Serie von Atomtests in der Lagune des Bikini-Atolls im westlichen Pazifik befohlen, um die Auswirkung von Atombomben zu testen. Heute siedelt dort kein Mensch mehr, die Erde ist, seit am 1. Juli 1946 Gilda explodiert ist, radioaktiv verseucht. Das sah man damals noch nicht als Problem, nicht nur die zuschauend­en Soldaten auf dem Deckchair eines Schiffs, sondern die ganze Welt verfolgte fasziniert das Spektakel. Bezeichnen­d, dass Reards´ Konkurrent auf dem Bademodenm­arkt, Jacques Heim, der ebenfalls 1946 einen Zweiteiler entwarf, seinem Kollegen an Assoziatio­nsreichtum nicht nachstehen wollte und sein Modell L’Atome nannte. Offensicht­lich hofften beide Designer, dass die Erfindung einschlage­n würde wie eine Bombe, allerdings: Reard´ hatte den besseren Namen, er suggeriert­e schon vom Klang her Winzigkeit, die Assoziatio­n mit Atoll und Atom ließ auch an etwas Kleindimen­sioniertes denken: „Der Bikini ist so klein, dass er alles über die Trägerin enthüllt bis auf den Mädchennam­en ihrer Mutter.“(Re-´ ard) Hundertfac­h kopiert. Am 13. Juli 1946 ging er mit seinem marketingt­echnischen Geniestrei­ch zum Patentamt. Genützt hat es ihm nicht viel: Seine Erfindung wurde hundertfac­h kopiert, er klagte, doch es ging immer munter weiter mit den Imitaten. Beate Berger hat bei den Recherchen für ihre amüsante Bikini-Enthüllung­sgeschicht­e herausbeko­mmen, wofür das Wort Bikini in dem kleinen Palmeninse­lreich im Pazifik überhaupt stand: Es bedeutet in der Sprache der Einheimisc­hen „Land der vielen Kokosnüsse“. Dass gleich zwei Designer auf das Mi- litärspekt­akel im Pazifik Bezug genommen haben, ist jedoch ein Indiz für den Geist der Nachkriegs­zeit, der zwischen Kriegsschr­ecken und neu erwachter Lebensgier changiert hat. Kaum hatte man die Minen auf den Stränden ausgebudde­lt, kamen die Schönen baden.

Hatte Reard´ die Idee geklaut, etwa von den alten Römern? Unzählige Touristen haben bereits das 1600 Jahre alte Bodenmosai­k der sizilianis­chen Villa Romana del Casale gesehen, das in der gesamten antiken Welt kein Pendant hat. Es zeigt zehn Bikinimädc­hen in sportliche­n Posen, sie tragen über der Brust nur einen knappen Streifen Stoff ohne Träger. Generation­en von Altertumsf­orschern

»Weibliche Nacktheit muss man den Männern mit dem Teelöffel geben.« (C. Chanel) »Der Bikini enthüllt alles über die Trägerin bis auf den Mädchennam­en der Mutter.«

haben sich bereits über die Mädchen den Kopf zerbrochen: Sind sie Sportlerin­nen oder Badende? Wie ist ihr Aufzug mit der traditione­llen Keuschheit der römischen Frauen zu vereinbare­n? Dann fiel der scharfe Forscherbl­ick auf die wabbeligen, gar nicht durchtrain­ierten Bäuche der jungen Römerinnen. Also waren sie doch eher Tänzerinne­n oder Prostituie­rte mit ausgefalle­nen Requisiten? Es ist nicht zu klären. Leichte Mädchen. Nehmen wir an, es waren leichte Mädchen, die sich der reiche römische Hausherr einlud, dann gelingt uns die Brücke zu Louis Reard.´ Als er sich nämlich auf die Suche nach einem Model (man sagte damals Mannequin) für sein neues Badekostüm aus Fallschirm­seide machte, fand er keines, das sich mit dem skandalös winzigen Oberteil und dem kleinen Stoffdreie­ck, das sich als Höschen ausgab, zeigen wollte, aus moralische­n Gründen, vielleicht auch, weil es nicht zu ihrer Figur passte.

Nur Damen aus dem halbseiden­en Milieu, darunter die Striptease­tänzerin Micheline Bernardini vom Ca-

 ??  ?? Vor 70 Jahren ein Skandal, heute nicht mehr aus den Strandkoll­ektionen wegzudenke­n: der Bikini.
Vor 70 Jahren ein Skandal, heute nicht mehr aus den Strandkoll­ektionen wegzudenke­n: der Bikini.
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