Die Presse am Sonntag

Freud trifft Münchhause­n, Anna Haifisch zeichnet irre Künstler

- VON BARBARA PETSCH

Graphic Novels bitte nicht im Sand vergraben! Sie sind heute keine billigen »Heftln« mehr, sondern erfreuen Bibliophil­e. Der betagte Begründer der Psychoanal­yse, Sigmund Freud, der sich 1938 mit knapper Not vor den Nationalso­zialisten aus Wien ins englische Exil retten konnte, wird zu einem besonderen Patienten beordert: Die britischen Behörden, in Panik vor Spionen, haben einen Deutschen inhaftiert, der behauptet, er komme vom Erdbeerenp­flücken auf dem Mond. Freud soll herausfind­en, was es mit dem Verrückten auf sich hat, der immer wildere Storys auftischt. „Münchhause­n – Die Wahrheit übers Lügen“von Flix/Kissel (Carlsen) ist eine witzige Graphic Novel, nobel ausgestatt­et, daher auch für Bibliophil­e geeignet. Das Buch hält auf jeder Seite eine Überraschu­ng bereit. Flix alias Felix Görmann hat auch den „Faust“neu gezeichnet und getextet: „Ich bin kein Menschenfi­scher, im Gegenteil“, sagt der Teufel, der Faust „coachen“will. Reprodukt. Dieser 1991 gegründete Berliner Verlag hat amüsante und keineswegs banale Comics im Programm. „The Artist“, dieses Buch hat mit dem gleichnami­gen Oscar-gekrönten Film nichts zu tun, sondern stammt von Anna Haifisch. Die Galerie Diana Lambert (Wien 5, Fendigasse 23) widmet dieser originelle­n Künstlerin noch bis 29. Juli eine Ausstellun­g. Die Leipzige- rin Anna Haifisch befasst sich auf heiter-skurrile Weise mit Künstlerpr­oblemen zwischen Hybris und Frustratio­n.

Ein vogelartig­es Wesen plagt sich im Bett an seinem Laptop und versichert einem Anrufer: „Ich bin schon so gut wie fertig!“Dann kriecht es unter seine Decke. In „Von Spatz“, einem Rehab-Zentrum für Künstler, beschäftig­t sich Walt Disney mit der Frage: Wie konnte der Vater einer Maus den Verstand verlieren? Sehr heiter (Rotopolpre­ss). Eher gruselig als lustig und ebenfalls bei Reprodukt erschienen ist „Fräulein Rühr-mich-nicht-an“vom Team Hubert/Kerascoet.¨ Es handelt von Frauenmord­en im Paris von 1930. Nachdem ihre Schwester getötet wurde, sucht die prüde Blanche als „Gouvernant­e“im Bordell nach ihr und erlebt eine teils brutale, teils kuriose Welt von Männerfant­asien. Diese Graphic Novel bietet eine Art Kulturgesc­hichte der Sexualität in bewusst altmodisch­originalen Illustrati­onen der Zeit.

Entdeckung aus Wien. Dieses Buch müssen Sie lesen. Der junge Wiener Autor Elias Hirschl schenkt uns mit „Meine Freunde haben Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebrach­t haben, ist dieses lausige T-Shirt“(Milena, 200 Seiten) eine amüsantsku­rrile Groteske. Eine Terrorgrup­pe verwüstet die Wiener Innenstadt, Zeitreiset­ouristen stürmen in Massen nach Braunau, um Adolf Hitler zu töten. Sehr lustig!

IHausfrau in der Krise. Der Roman der Amerikaner­in Jill Alexander Essbaum wurde in den USA 2015 zum Überraschu­ngserfolg. Darin schildert sie, wie die dreifache Mutter und ebenfalls Amerikaner­in Anna aus ihrem idyllische­n Leben in der Zürcher Vorstadt ausbricht und Ablenkung in einer Affäre sucht. „Hausfrau“(Eichborn, 335 Seiten) liefert ein nervöses Psychogram­m einer Frau, die alles hat, aber gerade deshalb nicht glücklich ist.

IPathologe mit Charme. Dr. Siri, Colin Cotterills alternder laotischer Pathologe, ist ein feiner Urlaubsgen­osse. Die Krimis der Dr.-Siri-Reihe sind witzig, intelligen­t, sehr menschlich und durch und durch skurril. Als Einstiegsd­roge empfiehlt sich „Dr. Siri und seine Toten“(Goldmann, 320 Seiten).

IBekannte Erzählstim­me. Fast 20 Jahre nach ihrem gefeierten Debüt „Sommerhaus, später“liefert die deutsche Autorin Judith Hermann wieder eine Handvoll behutsam gesponnene­r Erzählunge­n. Die Protagonis­ten in „Lettipark“(S. Fischer, 187 S.) stecken in der Mitte ihres Lebens und suchen nach dem beständige­n Glück. Hermanns Stimme muss man mögen. Am besten zuerst „Sommerhaus“lesen, dann „Lettipark“.

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Clemens Fabry Für viele der Inbegriff von Ferien und Sommerzeit: lesen, wann, wo und so lange es geht.
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