Freud trifft Münchhausen, Anna Haifisch zeichnet irre Künstler
Graphic Novels bitte nicht im Sand vergraben! Sie sind heute keine billigen »Heftln« mehr, sondern erfreuen Bibliophile. Der betagte Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, der sich 1938 mit knapper Not vor den Nationalsozialisten aus Wien ins englische Exil retten konnte, wird zu einem besonderen Patienten beordert: Die britischen Behörden, in Panik vor Spionen, haben einen Deutschen inhaftiert, der behauptet, er komme vom Erdbeerenpflücken auf dem Mond. Freud soll herausfinden, was es mit dem Verrückten auf sich hat, der immer wildere Storys auftischt. „Münchhausen – Die Wahrheit übers Lügen“von Flix/Kissel (Carlsen) ist eine witzige Graphic Novel, nobel ausgestattet, daher auch für Bibliophile geeignet. Das Buch hält auf jeder Seite eine Überraschung bereit. Flix alias Felix Görmann hat auch den „Faust“neu gezeichnet und getextet: „Ich bin kein Menschenfischer, im Gegenteil“, sagt der Teufel, der Faust „coachen“will. Reprodukt. Dieser 1991 gegründete Berliner Verlag hat amüsante und keineswegs banale Comics im Programm. „The Artist“, dieses Buch hat mit dem gleichnamigen Oscar-gekrönten Film nichts zu tun, sondern stammt von Anna Haifisch. Die Galerie Diana Lambert (Wien 5, Fendigasse 23) widmet dieser originellen Künstlerin noch bis 29. Juli eine Ausstellung. Die Leipzige- rin Anna Haifisch befasst sich auf heiter-skurrile Weise mit Künstlerproblemen zwischen Hybris und Frustration.
Ein vogelartiges Wesen plagt sich im Bett an seinem Laptop und versichert einem Anrufer: „Ich bin schon so gut wie fertig!“Dann kriecht es unter seine Decke. In „Von Spatz“, einem Rehab-Zentrum für Künstler, beschäftigt sich Walt Disney mit der Frage: Wie konnte der Vater einer Maus den Verstand verlieren? Sehr heiter (Rotopolpress). Eher gruselig als lustig und ebenfalls bei Reprodukt erschienen ist „Fräulein Rühr-mich-nicht-an“vom Team Hubert/Kerascoet.¨ Es handelt von Frauenmorden im Paris von 1930. Nachdem ihre Schwester getötet wurde, sucht die prüde Blanche als „Gouvernante“im Bordell nach ihr und erlebt eine teils brutale, teils kuriose Welt von Männerfantasien. Diese Graphic Novel bietet eine Art Kulturgeschichte der Sexualität in bewusst altmodischoriginalen Illustrationen der Zeit.
Entdeckung aus Wien. Dieses Buch müssen Sie lesen. Der junge Wiener Autor Elias Hirschl schenkt uns mit „Meine Freunde haben Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt“(Milena, 200 Seiten) eine amüsantskurrile Groteske. Eine Terrorgruppe verwüstet die Wiener Innenstadt, Zeitreisetouristen stürmen in Massen nach Braunau, um Adolf Hitler zu töten. Sehr lustig!
IHausfrau in der Krise. Der Roman der Amerikanerin Jill Alexander Essbaum wurde in den USA 2015 zum Überraschungserfolg. Darin schildert sie, wie die dreifache Mutter und ebenfalls Amerikanerin Anna aus ihrem idyllischen Leben in der Zürcher Vorstadt ausbricht und Ablenkung in einer Affäre sucht. „Hausfrau“(Eichborn, 335 Seiten) liefert ein nervöses Psychogramm einer Frau, die alles hat, aber gerade deshalb nicht glücklich ist.
IPathologe mit Charme. Dr. Siri, Colin Cotterills alternder laotischer Pathologe, ist ein feiner Urlaubsgenosse. Die Krimis der Dr.-Siri-Reihe sind witzig, intelligent, sehr menschlich und durch und durch skurril. Als Einstiegsdroge empfiehlt sich „Dr. Siri und seine Toten“(Goldmann, 320 Seiten).
IBekannte Erzählstimme. Fast 20 Jahre nach ihrem gefeierten Debüt „Sommerhaus, später“liefert die deutsche Autorin Judith Hermann wieder eine Handvoll behutsam gesponnener Erzählungen. Die Protagonisten in „Lettipark“(S. Fischer, 187 S.) stecken in der Mitte ihres Lebens und suchen nach dem beständigen Glück. Hermanns Stimme muss man mögen. Am besten zuerst „Sommerhaus“lesen, dann „Lettipark“.
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