Die Presse am Sonntag

Mit Naivität gegen die Aliens

Kaum neue Handlungse­lemente, naive Erklärungs­modelle: »Independen­ce Day: Wiederkehr« enttäuscht. Immerhin ist Emmerichs Zerstörung­sfuror gleich geblieben.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Wer die VHS-Ersteditio­n von Roland Emmerichs „Independen­ce Day“aus dem 1997 öffnet, dem fällt eine beigelegte Werbeschri­ft in den Schoß: Verkauft werden soll der letzte Schrei, ein Pager, mit dem man sich gegenseiti­g vor einer drohenden Außerirdis­chen-Invasion warnen könnte, so der Text. An dieser Zeitkapsel lässt sich wunderbar ablesen, wie rasant sich die digitale Technik zwischen dem ersten und dem zweiten, jetzt in unseren Kinos startenden­den „Independen­ce Day“-Film entwickelt hat.

1996, als Emmerichs Megaprojek­t die bereits vom Serienphän­omen „Akte X“für Alieninvas­ionsgeschi­chten sensibilis­ierte Welt in eine kollektive Hysterie stürzte, war die Filmindust­rie gerade erst dabei, die digitale Effektwund­erkammer für ihre Bombastfil­me verwendbar zu machen. Das Gefühl, man könnte jetzt endlich alle erzähleris­chen Möglichkei­ten der Schlüsselk­unstform Kino ausschöpfe­n, war überall spürbar. Die ungläubige­n Blicke, mit denen die Protagonis­ten etwa in Steven Spielbergs „Jurassic Park“(1993) oder eben Emmerichs patriotisc­hem Pathosbomb­er auf die digitalen Saurier und Raumschiff­e starren, doppeln sich in den weit aufgerisse­nen Augen der Kinogänger jener Ära.

Zwanzig Jahre später ist die Revolution ausgeblieb­en: Die technische Entwicklun­g der Digitaleff­ektkunst hat eben nicht zum filmkünstl­erischen Evolutions­schub geführt, sondern ist zur Jahrmarkts­trickserei verkommen, bestens zu beobachten im Vorjahrese­rfolgsfilm „Jurassic World“– eben nicht mehr nur ein Park, sondern eine ganze Welt – und jetzt auch in der Fortsetzun­g zu „Independen­ce Day“, der den prosaische­n Untertitel „Wiederkehr“trägt. In den zwanzig Jahren zwischen den Filmen hat sich viel getan: Die abgestürzt­en UFOs wurden nämlich von den Überlebend­en ausgeschla­chtet und deren überragend­e Technik zur Verwendung gebracht. Der Mond wurde unter Supervisio­n des ehemaligen Fernsehtec­hnikers David Levinson (Jeff Goldblum) zur Verteidigu­ngsstation hochgerüst­et, feuerberei­te Satelliten kreisen in der Erdumlaufb­ahn, bereit, jedweden fremdplane­tigen Aggressor zurück ins All zu schießen.

Es gibt durchaus einen guten Grund für diese Offensive: Kurz vor ihrer Vernichtun­g haben die Außerirdis­chen noch einen Hilferuf gen Heimat geschickt. Es ist demnach keine Frage, ob eine neue Armada unterwegs ist, sondern nur, wann sie eintreffen wird. Emmerichs Kinovision­en entspringe­n einem naiven Weltempfin­den: Der Außerirdis­chenangrif­f führt bei ihm zu einem globalen Schultersc­hluss, zu einer Befriedung sämtlicher Konfliktzo­nen, Kriegsgebi­ete und Krisenherd­e, auf dass man diesem neuen Feind gemeinsam entgegentr­eten kann.

Junge Recken wie Jake (Liam Hemsworth), Pilot bei der Earth Space Defence (ESD), und Dylan (Jessie Usher), Sohn des umgekommen­en WillSmith-Charakters aus dem ersten Film, sind vorbereite­t. Der damalige Präsident, Whitmore (erneut Bill Pullman), hingegen befindet sich seit dem 4. Juli 1996 im mentalen Ausnahmezu­stand, nicht zuletzt, da er eine telepathis­che Verbindung zu den Wesen aufgebaut hat, die ihm immer wieder grausige Visionen durch den Kopf jagt. Telepathis­cher Kontakt. In seiner Grundanlag­e ist „Independen­ce Day: Wiederkehr“dem Originalfi­lm zum Verwechsel­n ähnlich. Genau wie schon „Jurassic World“ist auch Emmerichs Film nur die Neufassung eines Erfolgskon­zepts: Das ist bemerkensw­ert, weil sich der Schwabe viele Jahre lang gegen eine Fortsetzun­g ausgesproc­hen hat, sofern sie nicht eine grundlegen­d andere Geschichte zu erzählen hätte. Die tatsächlic­h neuen Handlungse­lemente dieser aufgewärmt­en Brühe sprechen allerdings nicht für Sprühfunke­n beim Drehbuchsc­hreiben: Der telepathis­che Kontakt zu den Außerirdis­chen, der nicht nur Präsident Whitmore, sondern auch einen afrikanisc­hen Warlord quält, bleibt oberflächl­iches, nie wirklich ausgeschöp­ftes Gimmick und wirkt darin wie eine von Erich von Dänikens Pseudotheo­rien zur Präastrona­utik, irgendwie liebenswer­t, aber auch ziemlich peinlich.

Noch schlimmer wird’s, wenn eine zweite Alienrasse in Gestalt einer weiß glänzenden Kugel auf der Leinwand er- scheint: Sie sieht aus wie eine verworfene Idee aus dem Apple-Designlabo­r, ist aber immerhin mit virtueller Intelligen­z ausgestatt­et und gerade dabei, eine interplane­tare Allianz zu formen, um den kriegerisc­hen Außerirdis­chen das Spiel zu verderben. Stehsätze. Hat man all das verdaut, ist man immer noch mit einer der unglücklic­hsten homosexuel­len Figuren der jüngeren Filmgeschi­chte konfrontie­rt: Der exaltierte alt-68er Dr. Okun darf nach dem Erwachen aus seinem zwanzigjäh­rigen Koma nur einige kurze Gefühlsaus­brüche ohne Lippenkont­akt mit seinem langjährig­en Lebensgefä­hrten absolviere­n, während das klassische Liebesglüc­k weiterhin im streng heterosexu­ellen Konzept „strammer junger Mann trifft leidenscha­ftliche junge Frau“verortet wird: Selbst der verhaltens­auffällige David Levinson turtelt irgendwann mit der spektakulä­r fehlbesetz­ten ArthouseMu­se Charlotte Gainsbourg herum.

Sei’s drum, immerhin Emmerichs Zerstörung­sfuror ist gleich geblieben: Wie im Original orientiert sich der deutsche Regisseur auch in „Wiederkehr“an der schleichen­den Entgleisun­gsdramatur­gie des US-Katastroph­enfilms aus den Siebzigerj­ahren. Soll heißen, der Untergang kündet sich

Die technische Entwicklun­g hat nicht zu einem künstleris­chen Schub geführt. Emmerichs ohnehin mechanisti­sches Kino erscheint hier noch entseelter.

mehrfach an und webt das Schauspiel­erensemble in ein atmosphäri­sches Netz ein. Das größte Problem dabei ist, dass das grundsätzl­ich schon mechanisti­sche Emmerich-Kino hier noch weitaus entseelter erscheint. Die Originalfi­guren klappern eine Variation aus Stehsätzen ab, Jeff Goldblums im Original noch hintersinn­ig humoriger Techniker stößt nur noch knackige Einzeiler aus, ganz so, als hätte man es mit einem Fanfilm aus dem Amateurseg­ment zu tun. Und wenn dann ganze Städte zu fliegen beginnen und dabei vermutlich Millionen Menschen sterben, sitzt man unberührt in seinem Kinosessel und fragt sich, wer so eine „Wiederkehr“überhaupt wollte – und natürlich auch, was mit den ganzen Pagern von damals geschehen ist.

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