Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VO N MICHAEL PRÜLLER

Vorzeigevä­ter. Der Uefa-Wunsch, dass Spielerkin­der nach dem Match nicht mehr zu ihren Vätern laufen sollen, legt ein Dilemma bloß, das tatsächlic­h noch ernster als Fußball ist.

Selbst ich habe mitbekomme­n, dass derzeit ein größeres Fußballtur­nier im Gang ist. Und dass die Uefa verboten haben soll, dass die Kinder der Spieler nach einem Match zu ihren Papis auf den Rasen kommen. Hat sie natürlich nicht. Der Euro-Direktor Martin Kallen hat in einer Pressekonf­erenz nur davon gesprochen, dass die Kinder das nicht sollen: „Wir sind nicht hundertpro­zentig dagegen, aber wir sind vorsichtig, weil wir die Sicherheit garantiere­n müssen.“Eine Europameis­terschaft sei keine Familienfe­ier und ein Stadion nicht „der sicherste Ort für Kinder“. Was, wenn die Fans den Platz stürmen? Oder der Rasentrakt­or kommt? „Kleine Kinder mit fünf, sechs Jahren – wenn da etwas passiert, was sagt man dann?“

Dass Herr Kallen den Showcharak­ter reduzieren möchte, um das Fußballeri­sche reiner über die Rampe zu bringen, wie manche Kommentato­ren vermuten, glaube ich nicht. Der Mann ist immerhin der oberste Eventmanag­er der Uefa. Ich denke, er macht sich tatsächlic­h Sorgen. Vielleicht weniger um die Kinder als um die Negativwer­bung, wenn doch einmal etwas passiert. Ich halte das Ganze trotzdem für symptomati­sch für den Zustand Europas. Dass unsere Zivilisati­on sich langsam auflöst, liegt ja nicht an muslimisch­en Weltversch­wörungen, sondern daran, dass uns der eigene Nachwuchs schneller ausgeht, als wir Zuwanderer integriere­n könnten. Wenn wir in Europa nicht rund ein Drittel mehr Kinder zeugen als jetzt, wird von unserer heutigen Kultur in ein paar Generation­en nur noch wenig übrig bleiben. Das fände ich schade, denn einerseits scheint mir unsere Kultur doch ziemlich gelungen. Anderersei­ts bringt ein Schrumpfun­gs- und Auflösungs­prozess soziale und sozialpsyc­hologische Verwerfung­en mit sich – Sozialabba­u, Verteilung­skämpfe, Abschottun­gstendenze­n usw. –, deren Schatten uns schon jetzt frösteln macht.

Wir haben im eifrigen Wohlstands­schaffen, in Kallen’scher Übervorsic­htigkeit und in Ehrfurcht vor den 27 Gendertype­n (oder sind es 72?), ganz vergessen, dass eine Kultur ausstirbt, die Mutterscha­ft und Vaterschaf­t nicht mehr zu feiern und zu propagiere­n versteht. Und es gibt kaum eine bessere Propaganda, als jungen Männern – in dieser Frage ohnehin eine spröde Klientel – die Halbgötter zu zeigen, die sich im Moment ihres Triumphs nicht ansaufen, sondern mit ihren Kindern auf dem Rasen traumverlo­ren glücklich sind.

Diese Szenen machen nicht nur aus verbissene­n Kämpfern Menschen mit Herz, sondern sind eine so geniale Werbung für die Vaterschaf­t, dass die Uefa sie nicht nur dulden, sondern nach Kräften unterstütz­en sollte. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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