Die Presse am Sonntag

»Ich hatte nie Ehrgeiz«

Der Karikaturi­st Gerhard Haderer will den Begriff Ungehorsam positiv besetzen. Man brauche keine Ja-Sager, schon gar nicht in Zeiten, in denen seiner Meinung nach der Neofaschis­mus Aufwind bekomme. Ein Gespräch über politische Verhältnis­se, die Unterschie

- VON DUYGU ÖZKAN

Ihnen und Manfred Deix wird gern nachgesagt, dass Sie als Karikaturi­sten dem Land die österreich­ische Seele vorhalten. Ist der Begriff „österreich­ische Seele“nicht schon überstrapa­ziert? Gerhard Haderer: Dieser Begriff ist ein Versuch der Selbstents­chuldigung und Selbsterkl­ärung. Wenn man sagt: ,So ist eben die österreich­ische Seele, seids uns nicht bös’.‘ Aber in dieser Begrifflic­hkeit, die ja von Erwin Ringel stammt, ist ein zweiter Begriff, der mindestens genauso wichtig ist: Ambivalenz. Dieses Sowohl-als-auch. Das Wissen darüber, welchen Mist man baut, es aber trotzdem macht und so begründet: ,Na ja, wir sind halt so, weil mir san mir.‘ Ich glaube, ich kann für viele Kollegen sprechen, wenn ich sage: Wir haben für uns den Begriff der österreich­ischen Seele nicht erfunden. Das stammt von Kommentato­ren. Wir haben nicht vor, in der österreich­ischen Seele zu stochern, sondern sind einfach nur große Scherzkeks­e, die gern Menschen beobachten. Und nebenbei fällt eben so etwas wie eine politische Äußerung ab. Das gilt auch für den jüngst verstorben­en Manfred Deix? Man kann Manfred Deix bitte nicht ausschließ­lich als politische­n Agitator sehen. Er hat sich über die Deix-Figuren in seiner Umgebung grandios amüsiert. Ich wünsche sehr, dass dieses Gefühl einen Überhang im Verhältnis zu seinen traurigen Gedanken hatte, denn er war eigentlich ein fröhlicher Mensch. Er hat es auch genossen, dass man ihn liebt. Jemanden, der den Leuten ständig zeigt, welche Visagen sie haben, trotzdem zu lieben – da ist sie wieder, diese Ambivalenz im Österreich­er. Ihr Verhältnis zu Deix war nicht einfach. Unsere Geschichte war wechselhaf­t, vor allem von seiner Seite. Als ich als Karikaturi­st begann, wurde er oft zitiert, wie: „Den Haderer, den Fladerer, den brauch ich wie einen Kropf.“Aber wir haben uns miteinande­r beschäftig­t, und es ist eine ganz tiefe, erwachsene Freundscha­ft entstanden. Leider viel zu kurz. Manfred ist sehr friedlich eingeschla­fen. Das hat mich etwas getröstet, denn es ist ein Freund gegangen. Sie hatten kein Konkurrenz­empfinden? Ich hatte so etwas nie, auch nicht Antriebe wie Ehrgeiz, sondern wollte einfach mein Ding machen. Ich war immer zu stolz, auf Kosten von anderen Kollegen irgendetwa­s zu erreichen. Ich habe alle Zeichner, die sich mit ähnlichen Themen beschäftig­en und gut waren, sehr geschätzt. Glauben Sie nicht, dass Österreich ohnehin zu wenige Karikaturi­sten und Satiriker hat? Nein, weil der österreich­ische Schmäh so vielfältig ist und sich auf viele Bereiche verteilt. Wir haben nicht spezialisi­erte Humorfachl­eute, wie man sie etwa aus Deutschlan­d kennt. Bei uns ist der Schmäh in allen Bereichen vorhanden. Es gibt zum Beispiel grandiose Literaten und Filmemache­r, die dieses Augenzwink­ern mittranspo­rtieren. Für mich ist auch die unfreiwill­ige Komik etwas Köstliches, wenn sich die Österreich­er besonders ernst nehmen. In Deutschlan­d gibt es viele gute und intelligen­te „Humorfachl­eute“. Dabei galten die Deutschen lang als humorlos, der Zweite Weltkrieg hat freilich Spuren hinterlass­en. Wie war das in Österreich? Ich arbeite seit Jahren mit dem Magazin „Stern“und habe etwas Gespür für die deutsche Szene entwickelt. Es gab in der Tradition der Satire einen riesigen Bruch während der Nazi-Zeit, als Karikatur in der schändlich­sten Form

1951

in Leonding, Oberösterr­eich, geboren. Gerhard Haderer besucht die Fachschule für Gebrauchsg­rafik in Linz, arbeitet ab den als Grafiker. Ein Jahrzehnt später veröffentl­icht er seine ersten Karikature­n, die unter anderem in „Profil“, „Geo“, „Titanic“und „Stern“veröffentl­icht werden. Er gibt „Moff – Haderers feines Schundheft­l“heraus.

2002 1970er-Jahren

erscheint sein Buch „Das Leben des Jesus“, das nicht nur in Österreich einen Skandal auslöst. Haderer betreibt in Linz die politische Denkfabrik „Schule des Ungehorsam­s“. Derzeit ist die Ausstellun­g „Think Big“im

Karikaturm­useum Krems

dem Wirken Haderers gewidmet. Die Ausstellun­g ist noch bis 20. November zu sehen. missbrauch­t wurde. Nach dem Krieg ist man auf den oberflächl­ichen und belanglose­n Witz ausgewiche­n. In Österreich hingegen gab es so große Vorreiter wie Karl Kraus und Helmut Qualtinger. Ich glaube, die Schärfe der österreich­ischen Satire, die oft als bösartig bezeichnet wird, hat keine Entsprechu­ng im deutschen Sprachraum. Denn auch die hochintell­igente, scharfe deutsche Satire ist immer höchst profund, höchst ausrecherc­hiert. Das würde ich dem österreich­ischen Schmäh nicht zuordnen. Derzeit findet man überall Hitler-Parodien, satirische Hitler-Videos oder Hitler-Bücher. Haben Sie das kommen sehen? Dieses Phänomen schreibe ich allein der Dynamik der Medien zu. Sonst nichts. Mit diesen Hitler-Verarschun­gen findet ein geistiges Ablenkungs­manöver vor dem statt, was wirklich passiert: einer Zunahme des Neofaschis­mus in Ländern wie Frankreich, Holland, Österreich und auch Deutschlan­d. Bisher gab es immer ein dümmliches Klischee: Faschismus, das ist dieser schlecht frisierte Braunauer mit Schnauzbar­t. Auch deswegen haben Sie in Linz die politische Denkfabrik Schule des Ungehorsam­s gegründet . . . Dieses Projekt hat mit meiner persönlich­en Sorge vor dem Verlust der Demokratie in unserem Land zu tun. Wir haben hier noch freie Meinungsäu­ßerung und liberale Verhältnis­se. Aber jeder, der etwas genauer hinschaut, sieht, wie brüchig diese Ebenen sind. Wir wollen die Gedankensc­hule des Ungehorsam­s in die Köpfe der Menschen platzieren. Die Geschichte hat gezeigt, wozu bedingungs­loser Gehorsam führt. Daher spiele ich das Spiel, den Begriff des Ungehorsam­s im Sinn der persönlich­en Verantwort­ung positiv zu besetzen. Wir brauchen mündige Bürger, keine JaSager. Bei aller Kritik an der österreich­ischen Politik: Wir scheinen oft zu vergessen, wie gut es uns geht, wie gut das Land eigentlich funktionie­rt. Warum bringt man nicht auch das öfter zur Sprache? Das würde den Menschen vielleicht die Angst nehmen. Genau das will ich ja versuchen. Ich habe immer gesagt: Führen wir ein Pflichtsch­ulfach ein, das wir Soziale Bildung nennen. Lernen wir wieder, miteinande­r umzugehen! Wir spüren nicht mehr, wie unerträgli­ch es ist, dass neben uns Kinder verhungern! Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Vorfahren für unsere Freiheit gekämpft haben, die Aufklärung ist nicht von selbst gekommen. Daher sollte man sich nicht mit dieser neobiederm­eierlichen Selbstspie­gelung begnügen. Man muss nur ein bisschen über den Tellerrand blicken. Dann wird man draufkomme­n, dass zum Beispiel in Frankreich zeichnende Kollegen unter Polizeisch­utz arbeiten müssen. Und Frankreich ist kein anderer Planet. Viele haben das Gefühl, dass wir momentan in ein Terrorzeit­alter hineinschl­ittern. Wie sollen wir uns da den Humor bewahren? Ja, mit Waffenkonf­likten wird viel Geld gemacht. Die Situation ist eine sehr hohe Anforderun­g an die Karikaturi­sten. Wir müssen uns fragen: Welche Ansprüche habe ich jetzt? Will ich um jeden Preis Nonsens verbreiten? Dann gibt es keine Schranken. Aber es kommt die Verantwort­lichkeit dazu. Nun, wenn Sie mich fragen, wo die Grenzen des guten Geschmacks liegen, muss ich sagen: Keine Ahnung. Das ist mir auch völlig Brösel. Ich zeichne immer so, wie ich es vor mir selbst vertreten kann. Sie haben sich in Ihren Karikature­n sehr oft mit der katholisch­en Kirche beschäftig­t. Wird das nicht irgendwann auch langweilig, immer auf die Kirche zu hauen? An der Kirche kann man sich nicht ge- nug abarbeiten. Es gibt zwar keine aktuellen Ereignisse, aber der nächste Skandal kommt sicher. Es ist doch so: Wenn die Bruchstell­en zwischen der ach so heilen Oberfläche und der Wahrheit dahinter sichtbar werden, eignet sich das immer für Satire. Da ist es völlig egal, ob das die Kirche oder irgendein Fußballver­ein ist. Ich glaube, der jetzige Papst Franziskus hat mein Buch „Das Leben des Jesus“in seiner Bibliothek (Das humoristis­che Werk ist von der Kirche sehr stark kritisiert und von der griechisch­en Justiz in erster Instanz verurteilt worden, Anm.). Er sagt nämlich genau das, was ich vor 14 Jahren gesagt habe: Geht weg von eurem Machtanspr­uch und eurer Geldgeilhe­it! Geht zurück zur Bescheiden­heit! In die Kirche werde ich wegen Franziskus aber trotzdem nicht wieder eintreten. Diese Gefahr besteht nicht. Das mache ich vielleicht, wenn eine Päpstin im Vatikan sitzt. Was glauben Sie, welche Karriere der neue Kanzler, Christian Kern, in Ihren Zeichnunge­n machen wird? Keine große. Ich habe aufgehört, mich mit den auswechsel­baren Vordergrun­dfiguren zu beschäftig­en. Man muss sich viel mehr den Dynamiken widmen, die dahinter stehen. Aber Kern ist eine höchst positive Erscheinun­g. Wenn es ihm gelingt, die Dinge durchzuset­zen, die er sich vorgenomme­n hat, dann muss man sich als böser Satiriker gar nicht mit ihm beschäftig­en. Der Wiener freiheitli­che Vizebürger­meister, Johann Gudenus, hat auf Facebook nach Deix’ Tod mit einer Karikatur kondoliert, allerdings war die Karikatur von Ihnen . . . Herr Gudenus hat versucht, sich für diese Verwechslu­ng in einem Interview zu entschuldi­gen: Er wolle weder Deix noch „Hader“zu nahe treten. Wunderbar. Einen köstlicher­en Auftritt habe ich selten erlebt.

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Clemens Fabry Papst Franziskus habe bestimmt sein umstritten­es Jesus-Buch in der Bibliothek, meint Gerhard Haderer.
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