Die Presse am Sonntag

Journalism­us als Widerstand: Der Kampf türkischer Medien

Auch Erdo˘gan-kritische Journalist­en traten gegen den Putsch ein – obwohl sie die Regierung mit Klageflute­n an den Rand des Abgrunds treibt.

- VON DUYGU ÖZKAN

Das Einsortier­en von Briefen und Bescheiden der Staatsanwa­ltschaft ist für Ibrahim Aydin so etwas wie Routine geworden. Aus dem Regal in seinem Istanbuler Büro mit Gittern an den Fenstern holt er mehrere randvoll gefüllte Mappen hervor und fragt nahezu scherzhaft: „Welches Verfahren soll ich zeigen?“Es sind zu viele gegen seine Zeitung „BirGün“, über 100, als dass er die Fälle eingehend beschreibe­n könnte. Fest steht zumindest: Knapp 40 der Verfahren sind wegen Beleidigun­g des türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ eingeleite­t worden. Weil zum Beispiel der Redakteur Berkant Gültekin in einem Artikel Demonstran­ten zitierte, die Erdogan˘ als „Räuber und Mörder“bezeichnet­en. Elf Monate hat Gültekin ausgefasst. Wenn er die „Tat“wiederholt, muss er ins Gefängnis.

Es sind dunkle Zeiten, die der leitende Redakteur Gültekin für die Medienland­schaft der Türkei aufkommen sieht – gerade nach den Ereignisse­n in der Nacht auf Samstag. „Nur weil der Putsch gescheiter­t ist“, sagt er, „heißt das nicht, dass jetzt die Demokratie einkehrt.“Die breite Bevölkerun­g und die meisten Parteien waren zwar gegen die Machtübern­ahme der Militärs, aber Erdogan˘ könne die Nacht instrument­alisieren, um noch mehr Macht an sich zu reißen. Und opposition­elle Medien noch mehr unter Druck zu setzen.

In den Räumen der „BirGün“-Redaktion herrscht reger Redaktions­alltag. Ein heller Raum, auf dem großen Tisch in der Mitte stapeln sich die Zeitungen, Kollegen rufen sich über die Schreibtis­che Anweisunge­n zu. „Dieser ganze Druck ist schon schwer“, sagt Gültekin, „aber es motiviert auch. Journalism­us ist eine Art von Widerstand geworden.“

Spätestens seit Beginn der Proteste rund um den Istanbuler Gezi-Park 2013 hat die AKP-Regierung den Druck auf die Medien massiv erhöht. Eine Reihe von auflagenst­arken Zeitungen hat einen regierungs­freundlich­en Kurs eingeschla­gen, während opposition­elle Medien mit Klageflute­n an den Abgrund gedrängt werden. Neben Einschücht­erungsvers­uchen berichten türkische Medienmach­er von ökonomisch­en Schwierigk­eiten, zumal die Anzeigenpo­litik staatliche­r Institutio­nen streng mit der Blattlinie verbunden sei. Und das wirke sich letztlich auch auf den Privatsekt­or aus.

Mit Anzeigenve­rlusten hat auch „BirGün“zu kämpfen. Die linke Zeitung wurde als Genossensc­haftsmodel­l vor elf Jahren gegründet, zu einer Zeit, als die Medien zunehmend von Großkonzer­nen verschluck­t wurden. Und trotz aller Hürden für Medienscha­ffende sagt Geschäftsf­ührer Aydin: „Bisher hatten wir keinen Fall, dass ein Kollege gesagt hat: ,Mir wird das zu viel, ich höre auf.‘“Je größer der Druck werde, desto größer auch der Wille, für die Meinungsfr­eiheit einzutrete­n. Wechselnde Kollegen. Erst vergangene Woche haben sich rund 20 Zeitungen, Nachrichte­nagenturen und TV-Stationen zusammenge­schlossen und eine Kampagne gestartet: Mehrere Tage lang prangte der Slogan „Journalism­us ist kein Verbrechen“auf den ersten Seiten der Publikatio­nen. Die Stimmung in den Redaktione­n wie „BirGün“ist kämpferisc­h, mit den Konkurrent­en ist man stetig in Kontakt, ja, man hilft einander. Als in der Redaktion der prokurdisc­hen Zeitung „Özgür Gündem“auf einen Schlag mehrere Journalist­en festgenomm­en wurden, sprangen die Kollegen von anderen Medien ein. Bisweilen stand die Zeitung ohne Chefredakt­eur da – seit knapp drei Monaten übernehmen auswärtige Redakteure freiwillig die Leitung von „Özgür Gündem“nach einem Rotationsp­rinzip.

„Wir sind in erster Linie eine Zeitung, die Menschenre­chte vertritt“, sagt Redaktions­leiter Zeki Erdem, „aber mit bestimmten Projekten von Abdullah Öcalan können wir uns identifizi­eren.“Der Zeitung wird eine Nähe zur verbotenen kurdischen PKK nachgesagt, die Redaktion selbst sagt, dass auch über die Kurdenfrag­e objektiv berichtet werde. Seit Herbst sind über 150 Verfahren gegen die Zeitung anhängig, die Redakteure hätten weder Zugang zu offizielle­n Presseausw­eisen noch zu der staatliche­n Nachrichte­nagentur.

„Wir sind Angriffe gewöhnt“, sagt Aydin Engin mit Blick auf mehrere Jahrzehnte Journalism­userfahrun­g. Der redaktione­lle Leiter der sozialdemo­kratisch-laizistisc­h orientiert­en Zeitung „Cumhuriyet“sitzt im Gesprächsr­aum mit den schweren Möbeln und AtatürkBil­dern an den Wänden. Von Selbstzens­ur oder gar Aufgabe will er trotz massiven Drucks entschiede­n nichts wissen, enttäuscht zeigt er sich hingegen von europäisch­en Politikern: „Es war für uns ein Schaden, dass Angela Merkel beim Flüchtling­sdeal die Pressefrei­heit in der Türkei ignoriert hat.“Engin denkt einen Moment nach. „Aber der Kampf für die Freiheit der Presse hat nicht mit uns begonnen und wird nicht mit uns aufhören.“

Metin Münir hat weder für Recep Tayyip Erdogan˘ noch für Staatsstre­iche viel übrig. Der Journalist und Autor der Nachrichte­nplattform T24 gehört an diesem Samstagmor­gen zu jenen Türken, für die der Umsturzver­such der vorangegan­genen Nacht aus vielen Gründen eine Katastroph­e gewesen ist. Mehr als 260 Menschen haben ihr Leben verloren, die Regierung in Ankara debattiert über die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e und hat mit einem Handstreic­h 3000 Richter abgesetzt – und der Präsident ist mächtiger als je zuvor.

„Die Soldaten, die Erdogan˘ stürzen wollten, haben ihn am Ende noch stärker gemacht“, schrieb Münir. Nach dem Motto „Was mich nicht umbringt, macht mich härter“gehe der Präsident als Sieger aus der Putschnach­t hervor. Die Türken hätten nicht auf die Armee gehört, sondern auf die Aufrufe des Staatschef­s und der Regierungs­partei.

Münir und andere erwarten, dass Erdogan˘ nun die Zügel weiter anzieht. Seit Monaten steigt in der Türkei der Druck auf Erdogan-˘Gegner in Politik und Medien. Kurdische Parlaments­abgeordnet­e sollen vor Gericht gestellt werden, Journalist­en finden sich bereits seit einiger Zeit vor dem Richter wieder, weil sie das Staatsober­haupt mit Enthüllung­en oder Kritik geärgert haben. Verschwöru­ngstheorie. Einige Gegner des Staatschef­s argwöhnen, dass der Umsturzver­such eine gigantisch­e In- szenierung der Regierung gewesen sein könnte, mit dem Ziel, die Macht des Präsidente­n weiter auszubauen. Für sie ist Erdogan˘ ein Diktator. „Das ist wie Hitlers Reichstags­brand“, schrieb der Journalist Ergun Babahan auf Twitter über den Putschvers­uch.

Zu mehr demokratis­cher Gemeinsamk­eit und innerer Einheit in der Türkei wird die Niederlage der Putschiste­n also nicht unbedingt beitragen. Es sei nicht zu erwarten, dass die Regierungs­partei AKP ab sofort pflegliche­r mit ihren Gegnern umgehe, betonte der Türkei-Experte Howard Eissenstat, ein US-Amerikaner.

Erdogan˘ tut nun alles, um seine Chance zu nutzen. Er machte die Bewegung des in den USA lebenden islamische­n Predigers Fethullah Gülen für den Umsturzver­such verantwort­lich und kündigte eine groß angelegte Säuberungs­welle bei den Streitkräf­ten an. Gülen gehörte lang zu den wichtigste­n Unterstütz­ern Erdogans.˘ Der 75-jährige Prediger steht an der Spitze eines Netzwerks, zu dem Unternehme­r, Medien und Bildungsei­nrichtunge­n gehören, und verbreitet seine islamisch-nationalis­tischen Lehren schon seit Jahrzehnte­n. Nach dem Ende des Kalten Kriegs unterstütz­te Ankara den Ausbau von Gülen-Schulen in Zentralasi­en, um den türkischen Einfluss dort zu fördern.

Die Anzeigenpo­litik des Staats sei mit der Blattlinie verbunden, sagen Journalist­en. Erdo˘gan-Gegner vermuten, der Präsident habe den Putsch selbst inszeniert.

Der Bruch mit Gülen. Gegen Ende der 1990er-Jahre fiel Gülen bei Justiz und Militär indes in Ungnade, und er floh in die USA, wo er bis heute lebt. In der Türkei stiegen Gülen-Gefolgsleu­te unterdesse­n nach dem Machtantri­tt der AKP im Jahr 2002 in staatliche­n Institutio­nen auf und wurden zu Verbündete­n von Erdogan˘ in der Auseinande­rsetzung mit säkularist­ischen Kräften.

Der Bruch zwischen Gülen und Erdogan˘ kam vor drei Jahren. Erdogan˘ fühlte sich durch Gülens wachsenden Einfluss bedrängt – vor allem, als Gülen-treue Staatsanwä­lte die Regierung der Korruption beschuldig­ten, schlug der Präsident mit voller Härte zurück. Tausende Richter, Staatsanwä­lte und Polizisten wurden gefeuert oder strafverse­tzt, die Korruption­sermittlun­gen wurden eingestell­t. Immer wie-

 ?? Reuters ?? Aus einem Freund Erdo˘gans wurde ein erbitterte­r Feind: Fethullah Gülen stritt im US-Exil jeden Anteil an der Revolte ab.
Reuters Aus einem Freund Erdo˘gans wurde ein erbitterte­r Feind: Fethullah Gülen stritt im US-Exil jeden Anteil an der Revolte ab.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria