Wie aus dem Bilderbuch
von der emanzipatorischen Kraft der Träume bis hin zum existenziellen Wert von Freundschaft, sind enthalten, ein Durchlauf für den mittlerweile 69-Jährigen also aufgelegt.
Umso höher ist es Spielberg anzurechnen, dass er sich nicht zu einem handelsüblichen, familienfreundlichen Spektakel hat hinreißen lassen: Sein „BFG“ist trotz moderner Computertechnik ein wenig aus der Zeit gefallen in seinem tiefenentspannten Vertrauen in eine der ältesten Kulturtechniken überhaupt, das Erzählen einer guten Geschichte. Spielbergs Romanze mit der alten Welt und ihren besonderen Talenten kommt schon in den ersten Momenten zum Ausdruck, in denen Janusz Kamin´skis Kamera in eleganten Zügen durch ein schmutzbereinigtes, aber dennoch düsteres London hin zu einem Waisenhaus fährt. Durch dessen Gänge schleicht Sophie, tankt ihren Kopf noch um drei Uhr nachts mit Geschichten voll, wie etwa Charles Dickens’ „Nicholas Nickleby“. Sie ist, genauso wie der BFG, eine Außenseiterin: Der Riese wird von seinen rüpelhaften Artgenossen aufgrund seiner kleineren Größe häufig traktiert, etwas, was Sophie nur allzu gut versteht. Hier fliegen die Träume. Spielberg hat hier zum ersten Mal mit einer Digitalkamera gearbeitet, vor allem, um die aufgrund des massiven Größenunterschieds zwischen seinen Hauptfiguren äußerst komplexen Dreharbeiten überhaupt bewältigen zu können. Angeblich habe sich der sehr erfahrene Regisseur bei der Ankunft auf dem Set zum ersten Mal seit „Der weiße Hai“(1974) wieder überfordert gefühlt. Davon ist im Film nichts mehr zu spüren: Er ist idealtypisch in seinem Einsatz von analoger und digitaler Trickeffektkunst, die in keinem Moment die Geschichte überragt oder gar begräbt, nie chaotischer Ausfluss, sondern immer künstlerischer Ausdruck ist. Die visuelle Opulenz ist berauschend, aber nicht selbstzweckhaft: In der Sequenz, in der Sophie mit dem Riesen Träume fangen geht, die wie Irrlichter als bunte Funken um einen gewaltigen Baum herumfliegen, entwickelt Spielbergs Fantasy eine bil- derbuchhafte Qualität. Später, als die bösen Riesen (gespielt u. a. von Jemaine Clement und Bill Hader) in die Höhle des BFG eindringen, um Sophie zu erschnüffeln, erweist sich Spielberg als routinierter Spektakelregisseur und arrangiert die Sequenz einer Achterbahnfahrt gleich, allerdings ohne seine Figuren aus den Augen zu verlieren.
Dahls Geschichte wird in Mathisons Bearbeitung deutlich heller und freundlicher, bleibt ihr aber in den meisten Details treu, bis hin zur vergnüglichen Kunstsprache Gobblefunk, die der Autor in mehreren Büchern verwendet hat: aus „human beings“werden „human beans“, in der deutschen Übersetzung isst der BFG als überzeugter Nichtmenschenfresser und Vegetarier ausschließlich Kotzgur-
Spielberg veranstaltet kein Spektakel, er vertraut auf die Kraft des Erzählens. Ein vorlautes Waisenmädchen trifft einen Riesen – zum Glück einen Nichtmenschenfresser.
ken und trinkt am liebsten Blubberwasser: ein sprudelndes Getränk, dessen Blasen nicht auf-, sondern absteigen und daher auch nicht zu Rülpsern, sondern Furzelbäumen führen.
Dargestellt wird der BFG vom Briten Mark Rylance, Spielbergs aktuellem Lieblingsschauspieler, der auch in seinen beiden nächsten Projekten mitwirken wird. Er verleiht seiner überlebensgroßen Figur durch das Performance-Capture-Verfahren außerordentlich viel Charakter und Ausdruck. Ihm gegenüber steht Ruby Barnhill, deren natürliches, warmes Spiel wohl nicht zuletzt auf Spielberg zurückgeht, dessen Talent im Umgang mit Kinderdarstellern unbestritten ist. Der gereifte Spielberg. „BFG – Big Friendly Giant“stellt neben den Historienfilmen „Lincoln“und „Bridge of Spies“Steven Spielberg als einen rundum gereiften Regisseur unter Beweis: Die unaufgeregte Eleganz seiner Filme, die durchdringende humanistische Wärme (oft als Kitsch missverstanden) seiner Erzählhaltung und das künstlerische Selbstbewusstsein, mit dem er ohne Pomp und Tamtam Spektakuläres errichtet, all das steht für einen Filmemacher, der sich selbst und der Welt nichts mehr beweisen muss, der nichts weiter will, als eine gute Geschichte zu erzählen. Mit „BFG – Big Friendly Giant“ist ihm das bravourös gelungen.