Die Presse am Sonntag

Die Angst sitzt allen noch in den Knochen

München am Tag nach dem Amoklauf: Die Stadt wacht nur mühsam aus dem Albtraum auf.

- VON PAUL KREINER (MÜNCHEN)

Trüb und schleppend beginnt der Morgen danach in München. Ungewöhnli­che Stille liegt über der Stadt. Die Polizei hat nicht nur das riesige Olympia-Einkaufsze­ntrum, sondern den gesamten Industrie- und Shoppingko­mplex im Norden der Stadt weiträumig abgeriegel­t; die U-Bahn fährt hier ohne Halt durch, Busse und Straßenbah­nen sind umgeleitet. Allein oder in kleinen Gruppen kommen Menschen vorbei, Familien mit kleinen Kindern, um Blumen abzulegen. Sie irren herum, sie suchen geeignete Plätze, aber der Ort des Massakers selbst ist unzugängli­ch, und so liegen die Rosen, die Nelken, die Gerbera schier überall. Einen Mann lässt die Polizei kurz hinter das Absperrban­d. Rote Rosen hat er dabei und ein groß ausgedruck­tes Porträtfot­o. Er weint.

Die Nacht des Chaos, der Angst, der öffentlich­en Hysterie ist erst seit wenigen Stunden vorbei. So etwas steckt man nicht weg, es sitzt in den Knochen. Besonders bei jenen Tausenden, die an diesem Schreckens­abend nicht mehr nach Hause kamen, die Unterschlu­pf bei fremden Mitbürgern in Anspruch nehmen mussten, weil der gesamte Nahverkehr blockiert war und die Polizei bis Mitternach­t dringend riet, sich nicht auf öffentlich­en Straßen sehen zu lassen.

Zwischen zwei und drei Uhr früh haben die Behörden den Alarm abgeblasen. Es habe sich, beruhigt Münchens Polizeiprä­sident Hubertus Andrä, definitiv um die Attacke eines Einzeltä- ters gehandelt, des 18-jährigen DeutschIra­ners Ali David S. Am Samstag Vormittag liefern Andrä und die Ermittler Details nach – in einer zweiten Stufe der Entwarnung: „Keinerlei Anhaltspun­kte“, versichert Andrä, gebe es für Verbindung­en des Täters zur Terrorgrup­pe Islamische­r Staat. Außerdem hätten „Tat und Täter zum Thema Flüchtling­e überhaupt keinen Bezug.“Damit stellt sich das Massaker in München gänzlich anders dar als das Axtattenta­t eines 17-jährigen afghanisch­en Flüchtling­s im Regionalzu­g bei Würzburg.

Es gibt ein zunächst rätselhaft­es Video. Auf dem Parkdeck des Einkaufs- zentrums liefern sich der Attentäter und ein Anwohner ein Schreiduel­l, nachdem Ali David S. schon mehrere Menschen im McDonald’s erschossen hat. „Was machst du denn für einen Scheiß?“, brüllt der Anwohner, „ein Wichser bist du!“S. schreit zurück: „Ich bin Deutscher, ich bin geboren in dieser Hartz-IV-Gegend hier. Ich war in stationäre­r Behandlung!“

Warum aber wurde bis nachts um zwei die höchste Gefährdung­sstufe aufrechter­halten, die akute Terrorlage, wenn der Attentäter sich doch bereits um 20.30 Uhr mit einem Kopfschuss selbst gerichtet hatte? Warum verfügte

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