Die Presse am Sonntag

Vom Urlaubs- in den Krisenmodu­s

Angela Merkel hielt sich lang bedeckt. Klima der Unsicherhe­it im Wahlkampf.

- VON THOMAS VIEREGGE

Vergessen waren die Spannungen zwischen Berlin und München, die Verstimmun­g zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, die gravierend­en Differenze­n zwischen der Kanzlerin und dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten, den Parteichef­s der Schwesterp­arteien CDU und CSU, in der Flüchtling­spolitik. Über Monate hatte Seehofer seine Parteifreu­ndin in Berlin immer vehementer kritisiert, und selbst von einem offenen Bruch war schon die Rede.

Am Samstag freilich trübte keine politische Unstimmigk­eit das Gedenken an die Opfer des Münchner Amoklaufs vom Freitagabe­nd. Fünf Tage nach dem Axtattenta­t eines 17-jährigen Afghanen in einem Regionalzu­g nahe Würzburg war Seehofer die tiefe Betroffenh­eit ins Gesicht geschriebe­n, als er zu Mittag in der Münchner Staatskanz­lei zu einer Erklärung anhob und danach am Tatort, vor dem OlympiaEin­kaufszentr­um, gemeinsam mit dem Münchner Oberbürger­meister Dieter Reiter einen Kranz niederlegt­e. Für das kommende Wochenende kündigte er einen offizielle­n Trauerakt im Bayerische­n Landtag an, zudem sagte der Ministerpr­äsident aus Pietätsgrü­nden alle Zelt- und Bierfeste im Land ab – und überdies einen Empfang zur Eröffnung der Wagner-Festspiele in Bayreuth.

Angela Merkel ist als Opernfan und „Wagneriane­rin“stets Stammgast in Bayreuth. Am Freitagabe­nd aber, als sich die Hiobsbotsc­haften aus München überschlug­en, blieb die Kanzlerin an ihrem ersten Urlaubsabe­nd merkwürdig stumm, was in den sozialen Medien unter dem Hashtag „Merkel schweigt“sogleich Kritik hervorrief. Schon beim Anschlag in Würzburg hatte sie sich lang bedeckt gehalten: Der Antrittsbe­such Theresa Mays, der neuen britischen Premiermin­isterin, in Berlin hatte Vorrang für Merkel. De Maizi`eres Rückkehr aus New York. Im Lauf der Nacht zum Samstag hatte US-Präsident Barack Obama als erster Politiker reagiert, und nach und nach schickten Wladimir Putin, Francois¸ Hollande und eine Reihe von Außenminis­tern – darunter auch Sebastian Kurz, Boris Johnson und ihr türkischer Amtskolleg­e – ihre Solidaritä­tsadressen an die deutsche Regierung. Als erster deutscher Repräsenta­nt nahm Präsident Joachim Gauck Stellung.

„So ein Abend, so eine Nacht ist schwer zu ertragen“, sagte schließlic­h Merkel nach einem Treffen des Sicherheit­skabinetts im Kanzleramt, an dem auch Innenminis­ter Thomas de Maiziere` teilnahm. Er war noch in der Nacht von seinem US-Urlaub aus New York nach Berlin zurückgeke­hrt. Am Samstagabe­nd wollte er sich in München ein Bild von der Lage machen. Die Regierung schaltete nur zögerlich vom Urlaubs- in den Krisenmodu­s um. Kanzleramt­sminister Peter Altmaier koordinier­te den Krisenstab.

Merkel kehrte dann doch die Pastorento­chter heraus: „Wir alle trauern mit schweren Herzen, um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehr­en werden. Wir teilen ihren Schmerz, wir leiden mit ihnen.“Sie erinnerte daran, dass die Anschläge in Nizza, Würzburg oder nun in München jeden hätten treffen können. Abschließe­nd war sie indes um eine positive Botschaft bemüht, als sie die Polizeiarb­eit in München pries.

Das Klima der Unsicherhe­it wird sich indessen über den Sommer ausbreiten, und es wird die Landtagswa­hlen in Mecklenbur­g-Vorpommern und Berlin im September bestimmen.

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