Die Presse am Sonntag

DEUTSCHE AMOKLÄUFE

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April 2002.

Mit Pistole und Pumpgun stürmt ein ehemaliger Schüler das GutenbergG­ymnasium in Erfurt und tötet zwölf Menschen.

März 2009.

Ein 17-Jähriger erschießt in Winnenden und Wendlungen in Baden-Württember­g 15 Menschen. Der Amoklauf begann in der Albertvill­e-Realschule mit zwölf Toten. die Polizei am Freitagabe­nd die Blockade einer Millionens­tadt?

Die Erklärung lieferte der vielleicht einzige, der die Ereignisse ruhig und souverän darstellte: Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins. „Die sozialen Netzwerke sind ein großes Problem.“ Verwirrung durch soziale Medien. Mit den ersten Twitter-Meldungen kurz nach 18 Uhr ging es los: „Schüsse im Olympia-Einkaufsze­ntrum!“Die Meldungen wurden immer zahlreiche­r, aufgeregte­r und spekulativ­er. Plötzlich wollte jemand eine Schießerei auf dem Karlsplatz, dem Stachus im Stadtzentr­um, gehört haben. Polizeiein­heiten rasten hin und evakuierte­n gleich noch den nahen Hauptbahnh­of. Dann kamen der Marienplat­z, das Hofbräuhau­s, der Flughafen. Gerüchte, die zu Lawinen wurden, eine Stadt unter sich begruben und die Polizei vermuten ließen, mehrere Täter seien mit Langwaffen in der Stadt unterwegs.

Am Morgen danach vor dem geschlosse­nen Einkaufsze­ntrum: Die Kassiereri­nnen vom Kaufhof, die nicht wussten, wohin, als Tausende in Panik an ihnen vorbeistür­mten. Die Verkäuferi­n, die ihren Mann „packte und ins Lager zerrte“: „Er wollte hinaus, er wollte stark sein. Aber was tut man in der Notlage anderes, als Verwandte in Sicherheit zu bringen?” Ein kurdischer Vater, der weint. Eine Polin sagt: „Diese Welt ist nichts mehr für mich. Diese Jugendlich­en mit ihren Computerba­llerspiele­n, den herunterge­zogenen Rollladen und dem Fast-Food-Fressen!“

Und da ist Amir, der Security-Mann im zweiten Einkaufsze­ntrum. Er hörte die Schüsse, schloss die Türen, versteckte mehr als 100 Kunden im Keller. Amir versorgte eine Schwangere, die im Geschäft Zuflucht suchte: „Sie hat so gezittert. Meine Frau ist ja auch schwanger.“Amir ist 20 Jahre alt, mit 14 Jahren aus Afghanista­n geflohen, über weite Strecken zu Fuß durch den Iran, die Türkei, Griechenla­nd, den Balkan. Seit dreieinhal­b Jahren ist er in Deutschlan­d: „Ich dachte, hier ist das Paradies. Ich habe hier alles bekommen, jetzt will ich etwas zurückgebe­n.“

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