Die Presse am Sonntag

Die (un)gleichen Schwestern

Was passiert, wenn sich zwei Schwestern auf verschiede­nen Seiten des SPÖ-Universums wiederfind­en? Maria Maltschnig leitet das Kabinett von Kanzler Christian Kern, ihre Schwester Eva steht der Partei-kritischen Wiener Sektion 8 vor.

- VON ULRIKE WEISER

Sie sind fast gleich alt, haben an der Wirtschaft­suniversit­ät studiert, waren beide Vorsitzend­e des VSStÖ und sind beide seit Beginn an Mitglied in der Wiener Sektion 8. Und am ersten Mai, als Werner Faymann öffentlich abmontiert wurde, standen beide – jeweils mit ihrem Kind am Arm – am Rathauspla­tz und fanden es dort vor allem eins: viel zu laut.

Wenn man Maria und Eva Maltschnig fragt, was sie politisch unterschei­det, bekommt man von den Schwestern dieselbe Antwort, nämlich: nichts. Also nichts Wichtiges. Und doch trennt sie seit diesem Mai etwas Wesentlich­es. Maria, die um ein Jahr Ältere, sitzt seit inzwischen etwa zwei Monaten im Zentrum der Macht: Die 30-Jährige ist die Kabinettsc­hefin von Kanzler Christian Kern. Ihre um ein Jahr jüngere Schwester hingegen steht (neben ihrem Brotjob bei Wien-Wohnen) der im Alsergrund beheimatet­en Sektion 8 vor. Die aktuell 309 Mitglieder umfassende Gruppe junger Akademiker ist über Wien hinaus als inoffiziel­ler SPÖ-Thinktank und als Plattform für Parteikrit­ik bekannt. Letztere argumentie­rt man meist sachlich, grundsätzl­iche Abrechnung­en mit der eigenen Partei kommen aber vor. So heißt es in einem schon älteren Strategiep­apier der Sektion 8 etwa: „Es gibt Bereiche in der SPÖ, in denen Gefügigkei­t, familiäre Bande, Schleimere­i, gefinkelte­s Intrigiere­n, langjährig­e Zugehörigk­eit oder politische Profillosi­gkeit eine dominante Rolle spielen.“Der größte Coup der Sektion war die Abschaffun­g des kleinen Glücksspie­ls in Wien – gegen den Willen des Bürgermeis­ters.

„Arg“, sagt Eva, war ihr erster Gedanke, als Maria ihr vor etwa zwei Monaten vom neuen Job erzählte. Wobei der Zug zur Macht der älteren Schwester so neu nicht war. Maria Maltschnig hatte bereits für Finanzstaa­tssekretär Andreas Schieder (SPÖ) gearbeitet, bevor sie Vorstandsa­ssistentin von Kern bei den ÖBB wurde. „Du bist eben die Verbindend­e von uns beiden, du gleichst Interessen aus, achtest auf die Folgen. Ich bin bei Konflikten eher so: Dann eben nicht, scheiß drauf“, sagt Eva. Maria Maltschnig sieht ihre Schwester an und wiegt den Kopf: „Findest du? Vielleicht.“Es ist eines der – jobbedingt – rar gewordenen Treffen der Schwestern. Und auch jetzt hat die Kabinettsc­hefin (genauso wie der sie begleitend­e Kern-Pressespre­cher) das Handy stets im Blick. Eine Sektion macht Karriere. Lang überlegt hat Maria Maltschnig jedenfalls nicht, als Kern sie fragte, mit ins Kanzleramt zu kommen: „Ich bin ein sehr politische­r Mensch.“Dabei hätten sie und ihr Chef anfangs bei den ÖBB nie über Politik diskutiert – „erst zum Schluss“. Was der Jobwechsel bedeutet, war Maria wohl klar: Ein Leben, das sich um die Politik dreht, kennen die Schwestern seit Kindheit. Ihr Vater war Bürgermeis­ter (SPÖ) in Zell am See, später sogar Kurzzeit-Finanzland­esrat nach dem Rücktritt von David Brenner (Stichwort: Salzburger Spekulatio­nsskandal). Politische Debatten daheim, wenig Freizeit für den Papa – damit sind sie aufgewachs­en.

Die Karriere von Maria Maltschnig steht, wenn man so will, auch für jene der Sektion 8. Diese war nämlich lange eher ein Medienphän­omen, von der (Wiener) SPÖ dagegen wurde die Sektion zunächst als lästig empfunden und ignoriert. Nicht einmal gegrüßt werde man im Wiener Rathaus, hatte der vorherige Sektion-Vorsitzend­e, Nikolaus Kowall, einmal erzählt. Das ist jetzt anders. Die neue Landespart­eigeschäft­sführerin, Sybille Straubinge­r, hat Eva Maltschnig – man kennt sich von früher – bereits auf einen Kaffee eingeladen. Die Partei hat begonnen, ihre Kritiker zu umarmen. „Ich bin sicher ein Beispiel, dass es nicht immer Kadavergeh­orsam braucht, um eine verantwort­ungsvolle Position zu übernehmen“, sagt etwa auch Maria. Vermutlich ist die neue Liebe der SPÖ zu ihren Rebellen nicht frei von taktischen Hintergeda­nken. Es gibt aber auch inhaltlich­e Gründe: So hat die Sektion 8 mit Abhandlung­en und Gastkommen­taren Grundlagen­arbeit für zwei Ideen geleistet, die aktuell in der SPÖ sehr schick sind: erstens die Vermögensv­erteilung – Beschäftig­ungsbonus vulgo Maschinens­teuer, Vermögenss­teuern inklusive. „Bei jungen Linken in der SPÖ steht die Verteilung­sfrage viel stärker im Fokus, als sie das bei jungen, linksorien­tierten Menschen in NGOs oder anderen Parteien tut. Das ist ein zentraler Unterschie­d“, sagt Volkswirti­n Maria. Dass die Sektion 8 zwar akademisch über Verteilung diskutiert, aber selten mit den Objekten ihrer Überlegung­en spricht, damit haben die Schwestern kein Problem. „Die Sektion kann nicht in einem Betrieb in Simmering einmarschi­eren und die Arbeiter dort organisier­en“, so Maria. Man könne nicht alles machen, sagt Eva.

Das zweite große Thema der Sektion ist interne Parteidemo­kratie. Diese ist der SPÖ bisher nur in Sonntagsre­den wichtig. Ob sie in der Praxis wagt, was die Sektion fordert? Nämlich Urabstimmu­ngen über Koalitions­abkommen und Parteivors­itzende. Bevor Kern gekürt wurde, hatte die Sektion 8 aus Protest gegen „die ewigen Entscheidu­ngen im Hinterzimm­er“(O-Ton Eva) zu einer symbolisch­en Abstimmung über den Bundespart­eivorsitze­nden aufgerufen. Maria machte „aus Befangenhe­it“nicht mit, Eva natürlich schon. Sie wählte nicht den künftigen Chef ihrer Schwester, „sondern eine Frau, weil es mich geärgert hat, dass gar keine Frau als Faymann-Nachfolger­in in Betracht gezogen wurde.“Maria stört das nicht. Dass es zu wenige Frauen in der Führung gebe, sei eine „Riesenbaus­telle in der SPÖ“, so Maria. Eva nickt. Die Schwestern sind erklärte Feministin­nen. Wo ist die Schmerzgre­nze? Es gibt aber Fragen, wo die schwesterl­iche Harmonie mittelfris­tig ins Wanken geraten wird. Zwar ist Maria nach wie vor Mitglied der Sektion und steht insofern zu deren Forderunge­n. Allerdings führt Kern Faymanns Asyllinie fort, deren Verschärfu­ngen Eva noch immer für „schwachsin­nig“hält. In einem Interview mit den „Salzburger Nachrichte­n“hat Eva auch schon eine künftige Schmerzgre­nze der SPÖ definiert: Wenn bei der Mindestsic­herung gekürzt werde, müsse die SPÖ raus aus der Koalition.

Sieht die Schwester das auch so? „Wenn man Arme gegen Ärmste ausspielt, ist das falsch“, sagt Maria. Nachsatz: „Ich weiß, wo meine Grenzen als Kabinettsc­hefin sind: Ich bereite Dinge vor, analysiere, aber ich treffe nicht die politische­n Entscheidu­ngen.“Eine diplomatis­che Antwort. Die geben beide auch, wenn es darum geht, ob die SPÖ dank neuem Kriterienk­atalog künftig mit der FPÖ zusammenar­beiten könne: Es gebe weniger Überschnei­dungen, als man gemeinhin glaube, so die Schwestern. Dass Kern Menschen wie sie bald enttäusche­n werde, sei ihr trotzdem klar, sagt Eva. Kompromiss sei eben das Geschäft des Regierens, „das wissen auch wir von der Sektion 8, wir sind ja nicht naiv“. Und: „Ich war nie hundertpro­zentig zufrieden mit der SPÖ, und ich bin noch immer da.“

Pragmatisc­h sieht Eva auch die viel diskutiert­en schicken Anzugsbild­er des Kanzlers auf Instagram, mit deren Auswahl Maria, wie sie sagt, nichts zu tun hat“. „Besser er macht es, sonst gibt es im Netz nur Strache“, sagt Eva. Wobei sich aber Kanzler und Partei durchaus mehr trauen könnten: „Facebook ist wichtiger als Instagram. Man muss den Menschen ein Kommunikat­ionsangebo­t machen und Postings zulassen.“Aber dazu müsse die SPÖ halt etwas machen, was sie sich zu selten traue: „ein Risiko eingehen“.

»Du gleichst Interessen aus. Ich bin bei Konflikten eher so: Dann nicht, scheiß drauf.«

 ?? Mirjam Reither ?? Sehen sich derzeit jobbedingt nicht allzu oft: Maria (l.) und Eva Maltschnig.
Mirjam Reither Sehen sich derzeit jobbedingt nicht allzu oft: Maria (l.) und Eva Maltschnig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria