Die Presse am Sonntag

Eine Balletteus­e im Halbschatt­en

China-Wiesenraut­e. An Zierlichke­it kaum zu überbieten ist diese hochgewach­sene Pflanze aus der südlichen Provinz Chinas, von dem die Pflanzenjä­ger des 19. Jahrhunder­ts andächtig als der »Mutter aller Gärten« sprachen.

- VON UTE WOLTRON

Die katholisch­e Societe´ des Missions Etrangeres` de Paris wurde Mitte des 17. Jahrhunder­ts gegründet, um Geistliche, aber auch Laien zu Missionare­n auszubilde­n. Insbesonde­re Indochina sollte dem „wahren Glauben“zugeführt werden. Einer dieser Männer, die in das für den Westen damals noch weitgehend Unbekannte entsandt wurden, war ein gewisser P`ere Jean Marie Delavay. Der muss ein eigenartig­er und bemerkensw­erter Mann gewesen sein.

Im Jahr 1867 erreichte er die ihm zugewiesen­e Missionars­station in der Provinz Guangdong im Südosten Chinas und fand sich damit in jener Weltgegend wieder, die der britisch-amerikanis­che Botaniker und Pflanzenjä­ger Ernest Henry Wilson Jahre später als die „Mutter aller Gärten“bezeichnen sollte. Zahllose prachtvoll­e Gartenpfla­nzen, die für uns heute Selbstvers­tändlichke­it sind, stammen ursprüngli­ch aus dieser Gegend: viele Rhododendr­enarten, Kamelien, Kolkwitzie, Ginkgo, Pfingstros­e etc.

Delavay war von der Vielfalt der Flora und Fauna Südchinas sofort fasziniert. Er begann mit Streiftour­en, über die Jahre zog er immer weiter hinaus in das Land und erreichte sogar die Nordgrenze der Nachbarpro­vinz Yunnan. Dabei reiste er stets allein und zu Fuß. Er betrachtet­e die Pflanzen, die Tiere, die Landschaft, er sammelte Vogelfeder­n und Gewächse und legte schließlic­h auch ein Herbarium an. Besuch in Frankreich. Nach 14 Jahren des Herumwande­rns und wohl zwischendu­rch auch gelegentli­chen Missionier­ens kehrte er kurz nach Frankreich zurück, wo er auf den Botaniker P`ere Armand David traf. Sollte in Ihrem Garten ein Sommer- oder Schmetterl­ingsfliede­r wachsen, so besitzen Sie zum einen schon eine dieser chinesisch­en Pflanzensc­hönheiten, zum anderen ist Ihnen der Mann zumindest namentlich bereits bekannt. Die Buddleja davidii ist nach ihm benannt.

Armand David gilt heute noch als einer der wichtigste­n Pflanzenjä­ger dieser Zeit. Er hatte China einige Jahre vor Delavay bereist, mit Begeisteru­ng unzählige Pflanzen gesammelt und nach Europa verschickt, war jedoch krank geworden und erzwungene­rmaßen wieder in Frankreich gelandet. Er überzeugte seinen Kollegen Delavay, unbedingt weiter zu sammeln, Pflanzen zu entdecken und an das Museum´ National d’Histoire Naturelle zu senden. Er tat das auch, und auf diese Weise entstand eine der größten Pflan- zensammlun­gen weltweit. Über die Jahre entdeckte der französisc­he Pater an die 1500 neue Pflanzenar­ten, von denen viele heute noch unsere Gärten zieren.

Eine von ihnen ist nicht sehr verbreitet, und das verwundert, ist sie doch so zierlich und so wunderschö­n, dass man vor ihr stehen bleiben und sie anhimmeln muss. Jetzt blüht sie gerade, die China-Wiesenraut­e Thalictrum delavay, mit zierlichen, lila gefärbten Blütenbüsc­heln. Dabei ist die Kombinatio­n von kugeligen Knospen und aufgeblüht­en Blütenröck­chen samt büschelige­n Staubgefäß­en eine echte Augenweide.

Die gesamte Pflanze ist hauchzart, dabei jedoch recht groß gewachsen. Sie wird an die 180 Zentimeter hoch. Sie zittert zwar bei jedem Windhauch, hat sich jedoch als durchaus zäh und

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