Die Presse am Sonntag

ZEIT UND RAUM

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Eniss Agrebi verschöner­t mit seinem (noch) fünfköpfig­en Team der „Wiener Friseure“seit rund eineinhalb Jahren die Häupter der Stadt in der

Seilerstät­te 22, 1010 Wien.

Das Besondere am Salon ist die Betonung des Nachhaltig­keitsgedan­kens. Er ist Österreich­s erster Fairtrade-Friseursal­on, ein CO2zertifi­ziertes klimaneutr­ales Unternehme­n und Partner der Naturkosme­tiklinie Aveda. Geöffnet: Dienstag bis Samstag. www. diewienerf­riseure.at lerstätte verschlug es Agrebi aber nicht. Zwischen dem Amsterdame­r und dem Wiener Nobelviert­el lagen einige weitere Lehr- und Wanderjahr­e in angesehene­n Salons der österreich­ischen Hauptstadt, seine Meisterprü­fung und ein weiterer nächtliche­r Lehrgang am Wifi, diesmal im Fach Unternehme­nsführung. „Ich habe mir schon immer den steinigen Weg ausgesucht“, sagt Arebi halb kopfschütt­elnd, halb lachend.

Steinig war auch die Suche nach dem passenden Lokal, als er schlussend­lich den Sprung in die Selbststän­digkeit wagte. „Dabei waren die zweieinhal­b Jahre Suche gar nicht so schlecht, weil in der Zeit das Konzept entstand.“Zudem waren gerade alle in der nahen Umgebung des Friseurs dabei, sich neu zu orientiere­n: Als der Fairtrade-Salon vor eineinhalb Jahren schließlic­h eröffnete, tauschte Eniss’ Schwester ihre PR-Agentur gegen das Unternehme­nsmanageme­nt, sein Freund Christian die Karriere in der Luxusmodeb­ranche gegen den Friseurund Barbierber­uf ein. Heute stehen die drei gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen und ihrem „Zauberlehr­ling“hinter den Waschbecke­n und Schneidest­ühlen.

Agrebi war auf der Suche nach dem gewesen, was WU-Studenten gern unter dem Schlagwort USP eingebläut wird. Sprich einem Alleinstel­lungsmerkm­al für seinen Laden, wegen dessen die Wiener bei ihm und niemand anderem ihre Haare schneiden lassen wollen. Man will die Kundschaft hier in der Seilerstät­te Nummer 22 nicht nur mit beigefarbe­nen Lederinsel­n, meterhohen Spiegeln, Jazzmusik und Fairtrade-Kaffee überzeugen. Mit dem natürlich auch. Aber: „Ich wollte das ins Arbeitsleb­en hineinhole­n, was ich privat lebe.“Da sei der Nachhaltig­keitsgedan­ke nahegelege­n, sagt Agrebi. „Verantwort­ung gegenüber der Umwelt übernehmen – aber trotzdem am Puls der Zeit sein, ohne Ökopatsche­n“, umreißt er das Konzept. „Birkenstoc­k mit Lifestyle“nennt es seine Schwester lachend. Dass die Geschwiste­r und ihre Mitarbeite­r zur uncoolen Ökopatsche­nfraktion gehören könnten, fällt einem sowieso recht schwer zu glauben. Dagegen sprechen schon die lässigen, stilsicher inszeniert­en Fotos der „Wiener Friseure“, die im hinteren Teil des Ladens an der Wand hängen. Auf ihnen durchschre­itet die Mannschaft angetan mit Abendroben und Fackeln den Park des Wiener Belvederes oder entsteigt einem Teich im Stadtpark. Als Teil ihrer Vier-Elemente-Kampagne bringen die Bilder ihr selbst kreiertes Image zwischen Coolness und Nachhaltig­keit auf den Punkt.

Zu Ende gedacht bedeutet der Nachhaltig­keitsgedan­ke aber mehr als schwarz-weiße Fotostreck­en: etwa ein längeres Prozedere bei der TÜV-Zertifizie­rungsstell­e, bis man sich als CO2neutral­er Friseurbet­rieb bezeichnen durfte. Daneben die zeit- und kosteninte­nsiven Auszeichnu­ngen zum Fairtrade- und Aveda-Friseur. Was in wei- terer Folge bedeutet: Agrebi bezieht ausschließ­lich Ökoenergie. Er benützt rein organische Haarproduk­te – selbst die Färbe- und Tönungspro­dukte müssen einen möglichst hohen Prozentsat­z an natürliche­n Inhaltssto­ffen haben. Er schenkt seiner Kundschaft nur Fairtrade-Kaffee, Sekt und Saft aus. Und ärgert sich, dass es noch keine nachhaltig­en, abbaubaren Färbemänte­l gibt – zumindest seien sie bei den „Wiener Friseuren“aber waschbar, betont der Chef.

»Ich habe mir schon immer den steinigen Weg ausgesucht.«

Ein Korsett für die Coolness. Daneben will man mit Unterstütz­ung von Steuerbera­tern, Wirtschaft­sprüfern und Anwälten demnächst bei gleichem Gehalt auf eine viertägige Arbeitswoc­he umsteigen. Den Nachhaltig­keitsgedan­ken wollen die Geschwiste­r auch im Umgang mit ihrer kleinen Mannschaft leben. Dennoch betont Feten Agrebi: „Wir wirken natürlich alle so locker, aber wir haben strikte Regeln. Das Make-up muss sitzen, Zuspätkomm­en geht nicht, Teammeetin­gs sind alle zwei Wochen Pflicht.“Ihr Bruder ergänzt: „Das Wohl des Unternehme­ns steht über allem.“Erst wenn dieses auf einem wirtschaft­lich soliden Fundament steht und alle Zahlen im schwarzen Bereich sind, ließe sich der Nachhaltig­keitsgedan­ke gegenüber Umwelt und Angestellt­en voll leben.

»Wir wirken natürlich alle so locker, aber wir haben strikte Regeln.«

Führt er aus – und ist bereits wieder verschwund­en, um seinen Mitarbeite­rn beim ersten Kundenanst­urm dieses Julivormit­tags zu helfen. Agrebi hat nicht nur einen Bauchladen an Erfahrunge­n vorzuweise­n, vor allem hat er Disziplin. Dennoch sagt er bescheiden – und ganz der Tunesier mit Hang zum Traumdeute­n: „Ich verdanke meine ganze Laufbahn dem Bus, der mich nach Holland gebracht hat.“

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