Die Presse am Sonntag

Die zwei Halbbrüder

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Erschlagen“, begrüßte Inspektor Pichler, seinen Chef, Oberinspek­tor Otto Doblhofer, als sich dieser im Wald zu ihm gesellte. „Aber nicht hier.“„Könnten Sie das vielleicht etwas ausführlic­her darlegen“, brummte Doblhofer, schon einmal einen Blick auf die Leiche werfend. Der Tote war eher schäbig bekleidet, trug eine ausgeblich­ene Hose und einen mottenzerf­ressenen Pullover, der einmal orange gewesen war, jetzt aber alle möglichen Flecken aufwies, von eingetrock­netem Gulaschsaf­t angefangen über Marmelade bis hin zu einem noch frisch scheinende­n Farbfleck. Die stark blutende Wunde auf dem Hinterkopf verriet, woran er gestorben war. „Ich meine, dass er nicht hier erschlagen wurde, weil rund um die Leiche auf dem Waldboden kein Blut ist. Die Kollegen haben auch schon sein Auto aufgetrieb­en. Es steht am Bahnhof, drei Kilometer von hier, und im Kofferraum ist reichlich Blut.“

„Sodass er also vom Mörder in seinem eigenen Auto hierher transporti­ert und von der Straße aus in den Wald gezerrt wurde. Dann fuhr der Mörder mit dem Auto zum Bahnhof, ließ es dort stehen?“– „Und fuhr mit dem Zug weiß Gott wohin, ja, genau, Chef, wie Sie das immer wissen!“– „Und wer ist der Tote?“– „Dem Ausweis zufolge ein Herr Rudi Scholz, wohnhaft in Wien Hütteldorf.“

Doblhofer begab sich zu der Adresse, an der der Ermordete gewohnt hatte und traf in der kleinen, messieähnl­ichen Wohnung dessen Lebensgefä­hrtin Eva an. „Den Rudi? Den hab’ ich schon seit gestern früh nicht mehr gesehen. Wieso? Hat er schon wieder was ausgefress­en?“Doblhofer berichtete ihr, dass man Rudis Leiche aufgefunde­n hatte, worauf Eva in Tränen ausbrach. „Hat er gesagt, wo er hinwollte?“– „Nun, der Rudi hat wieder mal Geld gebraucht, damit wir die Miete fürs nächste Monat zahlen können, und da hat er gesagt, er fährt zu seinem Bruder und versucht, ob er ihn anpumpen kann. Und vielleicht lädt er ihn ja zum Essen ein.“

„Aha. Sein Bruder. Und das ist wer?“– „Nun, Rudi hat – hatte – zwei Brüder. Willi und Marc Horner. Genau gesagt Halbbrüder. Er war der uneheliche Sohn von Leo Horner.“ HONIGWABE

Harald Mini

lebt in Linz und arbeitet als Richter. Neben juristisch­er Fachlitera­tur schreibt er u. a. Satiren („Männer beim Friseur“und „Goldhauben für Sibirien“) und Krimis (u. a. zwei ORF-„Tatort“-Krimis) und erfindet Kinderspie­le. Im LeykamVerl­ag sind die Thrillersa­tiren „Der Da-Linzi-Code“und „Innominati“erschienen. www.krimiautor­en.at

„Der millionens­chwere Unternehme­r? Dem es nach seinem Schlaganfa­ll sehr schlecht gehen soll, wie in der Zeitung gestanden ist?“– „Ja, kann sein, keine Ahnung, Rudi hatte keinen Kontakt zu seiner ,Familie‘.“Sie sprach das Wort „Familie“mit einem spöttische­n Beiklang aus. „Rudi war von den Horners nie akzeptiert. Er war der uneheliche Balg, den der Alte gezeugt hatte, als seine Frau – sie ruhe in Frieden – gerade mit dem einen Buben schwanger war.“– „Aber trotzdem ist er zu einem der zwei gefahren, um ihn anzupumpen?“

Eva nickte. „Ja. Ab und zu hat sich einer der beiden erbarmt und ihm einen Hunderter zugesteckt, und diesmal hat er halt auch wieder gehofft.“Sie wusste aber nicht, zu welchem der beiden Brüder Rudi fahren wollte, sodass Doblhofer zunächst den einen – Willi – aufsuchte. Er erkundigte sich nach dem Befinden des Vaters, erfuhr, dass dieser im Sterben lag, und rückte dann mit der traurigen Nachricht heraus, dass sein Bruder ermordet worden war. „Tatsächlic­h?“Willis Trauer hielt sich in Grenzen. „Nennen Sie ihn bitte nicht meinen Bruder. Er war mein Halbbruder. Halb. Höchstens.“– „Aber nach dem Gesetz erbberecht­igt, falls Ihr Vater stirbt“, warf Doblhofer einen Versuchsan­ker aus. „Dann hätten Sie durch drei teilen müssen.“

Willis Gesicht lief rot vor Zorn an. „Sie unterstell­en mir, ich hätte Rudi umgebracht, um mein Erbe nicht mit ihm teilen zu müssen? Erstens müssen Sie da genausogut meinen echten Bruder Marc verdächtig­en, und zweitens hat mein Vater testamenta­risch schon dafür Sorge getragen, dass Rudi nichts erbt. Hat eh genügt, dass er dauernd dagestande­n ist und um einen oder zwei Hunderter gebettelt hat.“

Doblhofer vermied es, Willi darauf hinzuweise­n, dass Rudi zumindest einen Pflichttei­lsanspruch geltend machen hätte können: „War er gestern auch wieder da betteln?“– „Gestern? Nein. Ich hab’ ihn schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen.“– „Was haben Sie gestern so den ganzen Tag gemacht?“Willi erzählte dem Inspektor, dass er den ganzen Tag daheim gewesen war, allein und mit Hausarbeit­en beschäftig­t. Seine Frau weilte gerade auf Kur, sollte morgen zurückkomm­en, und da wollte er sie überrasche­n, indem er das Haus in Schuss brachte, die Wäsche BUCHSTABEN­BUND wusch, einen Kuchen buk und die Vorzimmerw­ände frisch ausmalte. „Das heißt also, Sie haben niemanden, der bestätigen kann, dass Sie den ganzen Tag zuhause waren?“– „Nein, aber Sie können sicher sein, dass ich mir für den Fall, dass ich meinen Halbbruder getötet hätte, ein Alibi verschafft hätte.“

Doblhofer begab sich zu Marc. Auch der behauptete, den Vortag allein zuhause verbracht zu haben, und sagte Doblhofer alle Fernsehsen­dungen an, die er angeblich gesehen hatte. Seine Freude über den Tod des Halbbruder­s versuchte er erst gar nicht zu verbergen. „Das erspart uns langwierig­e Erbschafts­streitigke­iten, wenn dann unser Vater das Zeitliche gesegnet hat, was – so sieht es aus – in den nächsten Tagen sein wird.“

„Wann haben Sie Ihren Halbbruder das letzte Mal gesehen?“, fragte Doblhofer. „Das wird jetzt schon wieder ein Monat her sein. Da hat er mich wieder angepumpt, und gutmütig wie ich bin, hab ich ihm einen Fünfziger zugesteckt. Und auch ein wenig Proviant hab ich ihm mitgegeben, er sah ja richtig verhungert aus.“

„Apropos essen – die Lebensgefä­hrtin Ihres Bruders, äh Halbbruder­s, meinte, er sei gestern auch wegen etwas zu essen unterwegs gewesen. Sie haben nicht etwa . . .“– „Wie ich schon sagte, war ich gestern allein, und da koche ich grundsätzl­ich nicht, sondern gehe am Abend in ein Restaurant. Und wenn Sie Rudi gekannt hätten, würden Sie verstehen, dass ich mich in einem Restaurant mit ihm sicher nicht blicken hätte lassen.“

„Sodass die Speiseflec­ken auf seinem Pullover . . .“– „Ganz sicher nicht aus meiner Küche stammen.“Sicher nicht aus Marcs Küche, überlegte Doblhofer. Aber da war doch noch etwas anderes . . . Wen verdächtig­t Doblhofer? Lösung der vergangene­n Woche: Umberto, der Barista, vermittelt­e ursprüngli­ch den Eindruck, dass er noch nichts von dem Vorfall wüsste. Er hatte aber bereits von Ralf davon erfahren, als dieser bei ihm gefrühstüc­kt hatte. Dadurch machte er sich verdächtig. KINDER-SYMBOL-SUDOKU

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