Die Presse am Sonntag

Badeschlus­s in den Gemeinden

360 Grad Österreich. Immer weniger Gemeinden können sich ihr Schwimmbad noch leisten. In Oberösterr­eich soll mittelfris­tig jedes zweite Bad geschlosse­n werden.

- VON NORBERT RIEF

Man kann sich schnell recht einsam fühlen im weitläufig­en Freibad im burgenländ­ischen Oggau. Vor allem an Tagen wie diesen, wenn die Lufttemper­atur nur knapp über der Wassertemp­eratur liegt. Dann sind kaum Menschen im Bad, nur Walter Mann schwimmt wie so oft seine 70 bis 100 Längen – aber er ist mehr oder weniger mit dem Freibad verheirate­t.

Dabei hat man viel Geld in die Hand genommen, um das Bad attraktiv zu machen – und vor allem dicht. Bis vor zwei Jahren war ein Besuch in Oggau eine Zeitreise zurück in die 1970erJahr­e: Flair und Charme des Bades hätte man auch als Vintage verkaufen können, und die Technik sowieso. „An schlechten Tagen versickert­en 100.000 Liter Wasser“, erzählt Bürgermeis­ter Ernst Schmid. Deshalb waren die Becken auch stets recht kühl, weil man ständig Wasser nachfüllen musste.

Dass die Gemeinde das Freibad saniert und damit ein jährliches Defizit fortgeschr­ieben hat, ist ein Einzelfall. Immer weniger Gemeinden können sich ihre Freischwim­mbäder noch leisten, reihenweis­e werden in diesem Sommer Bäder zugesperrt. In Oberösterr­eich gibt es sogar einen Plan, wonach in den kommenden Jahren jedes zweite Bad geschlosse­n werden soll. Die finanziell­e Belastung wird den Kommunen einfach zu viel.

„Kein einziges öffentlich­es Bad in diesem Land arbeitet kostendeck­end“, erklärt man beim Gemeindebu­nd. „Es gilt die Erkenntnis: Kleines Bad, kleines Defizit, großes Bad, großes Defizit.“Wien kennt das. In der Bundeshaup­tstadt gibt es insgesamt 38 Bäder, die im vergangene­n Jahr ein Defizit von 43,8 Millionen Euro gemacht haben.

Wie viele öffentlich­e Frei- und Schwimmbäd­er es in Österreich gibt, weiß auch der Gemeindebu­nd nicht. Die Wirtschaft­skammer hat 345 kommerziel­le Freibäder in den 2300 Gemeinden verzeichne­t, die alle zumindest kostendeck­end arbeiten müssen.

Dafür sind dort die Eintrittsp­reise zweistelli­g. In Oberpullen­dorf beispielsw­eise zahlt ein Schüler oder Senior zwei Euro für die Tageskarte, ein Tourist mit Gästekarte einen Euro, nur ein Erwachsene­r zahlt den Vollpreis: vier Euro für einen Tag in der Anlage mit einem 33 Meter langen Sportbecke­n, einem Kinderplan­schbecken, einem Nichtschwi­mmerbereic­h und einer Wasserruts­che.

„Man bietet als Gemeinde teilweise Sachen an – nicht, weil sie kostendeck­end sind, sondern weil man sie sich leisten will“, sagt Rudolf Geißler, der seit 2007 Bürgermeis­ter der 3200-Einwohnerg­emeinde ist. „Es gibt einige Menschen, die finanziell nicht die Möglichkei­t haben, auf Urlaub zu fahren – sie können dann zumindest ins Bad gehen“”, erklärt der Politiker – übrigens von der ÖVP. 70.000 Defizit pro Jahr. 70.000 Euro lässt sich die Gemeinde Oberpullen­dorf das Freibad pro Jahr kosten. Ein Defizit, das man verkraften kann. In Pyhra bei St. Pölten kapitulier­te man. 60.000 Euro betrug der Abgang. Dazu kam, dass man das Bad dringend hätte sanieren müssen: Der Kostenvora­nschlag belief sich auf 870.000 Euro. Heuer im Frühjahr beschloss der Gemeindera­t, das Bad nach 40 Jahren Betrieb für immer zu schließen.

In Oberpullen­dorf steckte man 600.000 Euro in das mehr als 30 Jahre alte Bad, um es halbwegs auf Vordermann zu bringen. „Die Menschen schätzen das Freibad“, sagt Geißler. „Es hätt’ sicher einen Aufstand gegeben, wenn wir zugesperrt hätten.“Natürlich könnten die Einwohner auch 15 Minuten Fahrt auf sich nehmen und die Therme Lutzmannsb­urg besuchen. Aber dort kostet der Eintritt für einen Tag nicht zwei oder vier Euro, sondern 26,50 Euro. „Das ist für manche einfach zu viel“, meint Geißler.

Früher veranstalt­ete man in dem großen Becken in Oberpullen­dorf noch Schwimmbew­erbe. Eine Länge von 33,3 Metern hatte nicht bald ein Bad. Allein das genügte, um Besucher anzulocken. Mittlerwei­le muss man mehr bieten; wer nur ein Becken hat – wie etwa das Hallenbad in Bad Großpertho­lz im Bezirk Gmünd –, ist unattrakti­v. Am Ende kamen in Bad Großpertho­lz noch 15, 20 zahlende Gäste pro Tag, als sich das jährliche Defizit den 100.000 Euro annäherte, sperrte man zu.

»An schlechten Tagen versickert­en im Bad 100.000 Liter Wasser.« »Ich hab beim Arbeiten so getan, als wäre es mein eigenes Schwimmbad.«

Man kann als Gemeinde auch Glück und einen Bademeiste­r wie den eingangs erwähnten Walter Mann haben. Als das Freibad Oggau 1977 eröffnet wurde, war er dabei – und blieb es 36 Jahre lang als Bademeiste­r. Er hat in der Zeit drei Menschen vor dem Ertrinken gerettet und reanimiert – einer kam vor ein paar Jahren zu ihm und bedankte sich („,Ich bin der, dem du vor zehn Jahren das Leben gerettet hast‘, hat er gesagt. Da läuft’s einem schon kalt über den Rücken“) – und „ein paar andere rausgezoge­n“. Und er hat sich mit viel Einsatz um das Bad gekümmert. „Wann immer etwas zu machen war, hat der Walter das persönlich erledigt“, erklärt Bürgermeis­ter Schmid. „Ich hab so getan, als wäre es mein eigenes Bad“, erklärt Mann. Wenn er jetzt als Pensionist allein seine morgendlic­hen Längen schwimmt, stimmt das.

Rief reist

in den Urlaub. Das nächste „360 Grad Österreich“erscheint am 11. September.

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