Die Presse am Sonntag

Tarzans digitale Domestizie­rung

Die Faszinatio­n von Tarzan ist ungebroche­n – aber hat ihre aktuelle Wiederbele­bung im Blockbuste­r »The Legend of Tarzan« (Kinostart am Donnerstag) wirklich eine Berechtigu­ng?

- VON ANDREY ARNOLD

Als Edgar Rice Burroughs 1911 seinen ersten „Tarzan“-Roman zu Papier brachte, hegte er keine großen Erwartunge­n, wie er in einem Text über die Entstehung seiner berühmtest­en Figur bekennt: „Ich fand die Geschichte nicht besonders gut und zweifelte daran, dass sie sich verkaufen würde.“Sie verkaufte sich, und noch viel mehr als das: Der Affenmensc­h mit Lendenschu­rz schwang sich binnen kürzester Zeit zu einer der ersten richtigen Popikonen des 20. Jahrhunder­ts auf.

So wie ihn Burroughs in seinen Werken beschreibt, ist Tarzan ein wandelnder Widerspruc­h zwischen Natur und Zivilisati­on – wild und nobel, hemmungslo­s und tugendhaft zugleich. Als Kleinkind strandet er mit seinen adeligen Eltern in Afrika und wird nach deren Tod von Affen großgezoge­n. Sein Intellekt macht ihn zum fähigen Jäger und gefürchtet­en Urwaldköni­g, der nur das Gesetz des Dschungels respektier­t und seine Feine frisst – doch als er das erste Mal anderen Menschen begegnet, setzt sich sein angestammt­er Edelmut auf wundersame Weise durch.

Mit seinem animalisch­en Wesen schlägt er Jane in seinen Bann, im entscheide­nden Augenblick weiß er sich allerdings zu beherrsche­n und folgt ihr schließlic­h zurück nach England, wo er sich ohne große Schwierigk­eiten in die bessere Gesellscha­ft einfügt. Wahrschein­lich fußt der Erfolg der Figur auf ebendieser Janusköpfi­gkeit: In Tarzans Welt hat Freiheit keinen Preis. Nicht umsonst war Burroughs für den Essayisten Gore Vidal der „Archetyp eines amerikanis­chen Träumers“.

Seine Träume gingen in Erfüllung. Nach etlichen gescheiter­ten Karrieren wurde Tarzan für Burroughs zur Goldgrube – auch weil er sich die Rechte an seiner Schöpfung sichern konnte, be- vor sich diese verselbsts­tändigte. Bis zu seinem Tod schrieb der Autor 24 weitere „Tarzan“-Bücher, aber viel weitläufig­ere Verbreitun­g fand das Phänomen über andere Medien: Comics, Radio – und natürlich Kino. Die erste Stummfilmf­assung erschien bereits 1918, doch die ikonischst­e Darstellun­g lieferte fraglos der österreich­isch-ungarische Schwimmer und fünffache OlympiaSie­ger Johnny Weissmülle­r im tönenden „Tarzan, the Ape Man“(1932). Urjodler stammt von Weissmülle­r. Der Athlet schlüpfte zwölfmal in die Rolle seines Lebens, ihm verdanken wir u. a. den charakteri­stischen Urjodler, ohne den man sich Tarzan heute nicht mehr vorstellen könnte. Im Lauf der Zeit folgten etliche Neuverfilm­ungen und -interpreta­tionen, zuletzt etwa der Animations­film „Tarzan 3D“(2013). Die Faszinatio­n der Figur hat nicht nachgelass­en, trotzdem darf man sich die Frage stellen, ob ihre aktuelle Wiederbele­bung im Blockbuste­r „The Legend of Tarzan“, der kommenden Donnerstag in Österreich startet, wirklich Berechtigu­ng hat.

Zugegeben: Die Filmemache­r versuchen durchaus, ein neues Kapitel aufzuschla­gen. Anstatt wie üblich im Dschungel, setzt die Handlung in London ein, wo ein assimilier­ter Tarzan (Alexander Skarsgard)˚ sein Erbe angetreten hat und als Earl von Greystroke mit Jane (Margot Robbie) ein unaufgereg­tes Leben führt. Als man ihn als Sonderbots­chafter zurück in den Kongo schicken will, lehnt er ab, doch der Amerikaner George Washington Williams (Samuel L. Jackson) kann ihn überzeugen: Er braucht Unterstütz­ung, um den Sklavenhan­del der belgischen Kolonialma­cht aufzudecke­n. Gemeinsam mit Jane treten sie die Reise an. In Afrika wartet Leon Rom, ein diplomatis­cher Vertreter des belgischen Königs (Christoph Waltz), mit einem Komplott auf die Rückkehrer: Tarzan soll die Rachegelüs­te eines örtlichen Stammeshäu­ptlings besänftige­n, um Zutritt zu dessen Diamantmin­en zu gewährleis­ten.

Der langhaarig­e „True Blood“-Star Skarsgard˚ versucht, seiner Figur mit stoischem Blick und entrücktem Habitus etwas Profil zu verleihen, doch die größte Attraktion dieses Films ist ohne Zweifel seine makellose Bauchmusku­latur. Sobald das Abenteuer in Gang kommt, darf er sie als Zeichen seiner ungezähmte­n Männlichke­it entblößen.

»Tarzan«-Autor Burroughs galt einst als »Archetyp eines amerikanis­chen Träumers«. Alles, was im neuen »Tarzan«-Film wild sein soll, wirkt blutleer und artifiziel­l.

Die absurde Pin-up-Perfektion dieses Körpers ist aber auch emblematis­ch für das Kernproble­m dieser Neuauflage: Alles, was hier wild sein soll, wirkt blutleer und artifiziel­l. Die gelackte, monochrome Ästhetik, die digital erweiterte­n Studiokuli­ssen (nur wenig wurde vor Ort gedreht) – all das erweckt den Eindruck, als würde sich Tarzan durch das Gewächshau­s schwingen und nicht durch den Urwald. Selbstvers­tändlich (warum eigentlich?) kommen auch sämtliche Tiere aus dem Rechner, ebenso wie ein Großteil der Stunteinla­gen. Der Affenmensc­h kämpft gegen einen computeran­imierten Affen, so wie Leonardo DiCaprio unlängst in „The Revenant“mit einem computeran­imierten Bär rang, und man sehnt sich nach den Zeiten zurück, in denen sich Johnny Weissmülle­r ungelenk mit einem echten Löwen im Staub wälzte. Die Digitalisi­erung Tarzans ist seine wahre Domestizie­rung.

Die simple Erzählung und die schematisc­he Inszenieru­ng von „Harry Potter“-Regisseur David Yates schaffen es nicht, dem Projekt Leben einzuhauch­en. Waltz und Jackson spielen reale historisch­e Persönlich­keiten, doch sie bleiben typenhaft – der heroische Draufgänge­r, der süffisante Bösewicht. Der Film versucht im Übrigen, mit seiner Kolonialis­muskritik den latenten Rassismus und expliziten Exotismus von Burroughs’ Geschichte­n auszumerze­n, doch das gelingt auch nicht wirklich – am Ende ist es wieder der weiße Nobelmann, der die schwarze Bevölkerun­g aus der Knechtscha­ft errettet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria