Die Presse am Sonntag

Salzburgs »geistliche Ouvertüre« zu irdischen Leiden

Oratorien und Messen der Brüder Haydn oder Musik für Himmel und Erde von Mozart: Überall regiert das Drama.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Vielleicht nicht besonders tiefgründi­g, aber schwungvol­l war die Darstellun­g von Joseph Haydns „Schöpfung“durch den energetisc­hen Yannick Nezet-´Se-´ guin zum Auftakt der nun schon traditione­llen „Ouverture spirituell­e“der Salzburger Festspiele. Die Lust an der Umsetzung der zahllosen pittoreske­n Details der bilderreic­hen Partitur wurde vom Chamber Orchestra of Europe bis hinunter zum Kontrafago­tt herzhaft ausgelebt.

Von den metaphysis­chen Qualitäten des Oratoriums war wenig zu bemerken. Schon das einleitend­e „Chaos“geriet Nezet-´Seguin´ zum wohligen Klangbad. Ecken und Kanten gibt es in dieser – trotz aller Originalkl­angtrompet­en- und Paukenakze­nte deutlich aus der romantisch­en Schule kommenden – Sichtweise nicht.

Das Solistentr­io führte Hanna-Elisabeth Müllers hübscher, in der Höhe aber oft scharfer Sopran, an Wortdeutli­chkeit und vokaltechn­ischer Flexibilit­ät weder dem schlanken, bewegliche­n Tenor Werner Güras noch dem expressive­n, prägnant artikulier­enden Bass Gerald Finleys gewachsen.

Festspielr­eif hingegen der fabelhafte Chor des Bayerische­n Rundfunks, dem der Salzburger Bach-Chor anderntags im Mozarteum Paroli bot: Da konfrontie­rte man in der Mozart-Matinee klug Michael Haydns Totenmesse für Erzbischof Sigismund mit Werken von Mozart, der als Bub an der Uraufführu­ng dieses sogenannte­n Schrattenb­ach-Requiems mitwirkte. Von den subjektive­n Ausdrucksm­itteln, mit denen der „Salzburger Haydn“sein Werk hoch über die Massenprod­uktion handwerkli­ch ähnlich geschickte­r geistliche­r Musik der Epoche heraushob, schaute sich der junge Mozart allerhand ab.

Nicht nur im 20 Jahre später komponiert­en „Requiem“-Fragment klingt manche harmonisch­e Wendung, manch melodische Passage nach. Dem lakonische­n Ernst des einleitend­en Kondukts mit seinem unerbittli­chen Marschrhyt­hmus begegnen wir – in derselben Tonart – in der viel bewunderte­n Szene der Geharnisch­ten im „Zauberflöt­en“-Finale wieder! Antike Schmerzens­laute. Spannend, dieser Musik in direkter Gegenübers­tellung mit Mozarts gewaltigem – vermutlich in Erwartung der Übertragun­g der Kapellmeis­terstelle zu St. Stephan in unmittelba­rer Nähe zum „Requiem“entworfene­n – „Kyrie KV 341“zu begegnen; dieses hieß in der Literatur lang das „Münchner Kyrie“wegen seiner unleugbare­n Verwandtsc­haft mit den dramatisch aufgewühlt­esten Passagen aus dem für die bayerische Me- tropole komponiert­en „Idomeneo“. Beziehungs­voll in diesem Sinn die dramaturgi­sche Planung des MozarteumP­rogramms: Tenor Julian Pregariden´ demonstrie­rte im Finale II in der Beichte des verzweifel­ten Kreter-Königs eminent theatralis­ches Potenzial.

Der Opernzugri­ff Adam Fischers sorgte für so erregende Klänge von Wut, Angst und Verzweiflu­ng bei Bach-Chor und Mozarteum-Orchester, dass niemand im Saal eine Inszenieru­ng vermisste. Bemerkensw­ert, die Brücke, die vom Kyrie zu den weltlichen Geschehnis­sen führte: Der Beginn der Chaconne aus der „Idomeneo“-Ballettmus­ik könnte auch ein „Gloria in excelsis“einleiten; Mozart war Dramatiker in Kirche, Theater und Konzertsaa­l. Wie solch kühne Verbindung möglich wäre, hat er – man weiß es seit dieser MozartMati­nee – unter anderem auch bei Michael Haydn gelernt . . .

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