Festspiele setzen auf »alte Hasen« und Kontinuität
Mit dem »Jedermann« begannen Samstagabend die heurigen Salzburger Festspiele. Die offizielle Eröffnung ist kommende Woche. Highlight ist: »Danae«. Eine Vorschau.
tern aber auf keinen Fall routiniert spielen, muss es jedes Mal neu gehen, neu entdecken. Man hält sich an die Partitur, das allein aber wäre zu wenig. Es braucht Seele, nicht nur Mechanik. Sehr viele Fragen beantworten sich über das Spielen, so wie auch bei Shakespeares Dramen. Es gibt sehr viele Rätsel zu entdecken. Stellen Sie sich dabei gegenseitig Fragen? Ofczarek: Wir stellen uns wenig Fragen. Maertens: Wir tauschen nur gegenseitig Komplimente aus. Ofczarek: Wir sind so abhängig voneinander, dass wir uns gegenseitig ziehen . . . Maertens: . . . und stützen und heben. Als Hamm müssen Sie Geschichten erzählen. Ergeben sie denn Sinn? Ofczarek: Ja. Hamm erzählt einmal aus seinem Roman. Letztlich beschreibt er darin seine Ankunft. Als Autor schreibt man doch nur aus sich heraus. Hamm erzählt von einem kleinen Jungen. In dem Moment, als er auftaucht und wächst, endet die Geschichte. Maertens: Bei einem Teil dieser Geschichte bin ich gar nicht dabei. Aber es gibt den rührenden Moment, in dem ich nachfrage, wie die Geschichte weitergeht. Ofczarek: Das Erzählen ist auch ein Mittel von Hamm, um Clov zu halten. Dieser droht doch damit, ihn zu verlassen. Es fragt sich, wie Sie bereits bemerkt haben, wohin er gehen soll. Wenn Sie als Clov auf die Leiter steigen und aus dem Fenster schauen, was sehen Sie da wirklich? Maertens: Im Moment sehe ich die graue Brandmauer. Es wird dann wohl das graue Nichts sein. Ja, ich sehe nichts. Ofczarek: Es wird wohl so sein, als ob man in das Hirn von Beckett hineinsieht, in den Kopf eines Menschen, dem das Nichts droht. Maertens: Über Gott heißt es zum Beispiel, der Lump, er existiert noch nicht. Wenn man all diese Sachen hört, kriegt man beinahe Angst, ins Theater zu gehen. Aber diese Furcht ist bei Beckett absolut unberechtigt. Man sieht zwei
1963
wurde Michael Maertens in Hamburg in eine Schauspielerfamilie geboren.
1984
begann er seine Ausbildung an der Otto-FalckenbergSchule in München und wurde danach ans Thalia-Theater in Hamburg engagiert.
2001
bekam er nach Stationen beim Deutschen Theater Berlin, bei den Münchner Kammerspiele und beim Berliner Ensemble eine feste Stelle unter Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum.
Seit 2002/03
war er regelmäßig Gast am Burgtheater. Für seine Rollen in „König Ottokars Glück und Ende“und Oscar Wildes „Ernst ist das Leben“bekam er 2005 den NestroyTheaterpreis (geteilt mit Nicholas Ofczarek).
2005/06
wechselte er ans Schauspielhaus Zürich, seit 2009/10 ist er fixes Ensemblemitglied am Burgtheater. Maertens ist mit der BurgSchauspielerin Mavie Hörbiger verheiratet, die beiden haben zwei Kinder.
2016.
Bei den Salzburger Festspielen spielt Maertens den Clov in Becketts „Endspiel“. Stunden lang bei aller grauenhaften Ausweglosigkeit tatsächlich ein sehr unterhaltsames Stück. Haben Sie eine Botschaft an die Zuseher? Maertens: Ich appelliere an das Publikum, keine Berührungsängste zu haben. Die Aufführung wird mit Ihnen etwas machen, was in jedem Fall auch schön sein wird. Ofczarek: Ich würde mich freuen, wenn sich meine Tochter das ansieht. Es handelt auch von Schauspielern, ist immer auch ein Sowohl-als-auch. Maertens: Es ist trotz der kleinen Besetzung abwechslungsreich. Wir haben Vater und Sohn, ein Ehepaar, ein Schauspielerpaar, Herr und Knecht, Pfleger und Kranker. Ofczarek: Es gibt auch einen Floh oder eine Filzlaus, eine Ratte sogar. Die kann man als Bedrohung empfinden, aber auch als Hoffnung, dass es weitergeht, dass neues Leben entsteht. Maertens: Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es diese Tiere überhaupt noch gibt. Diese Passagen zählen zum Slapstick. Sie sind ein Signal, dass man die Stücke nicht allzu ernst nehmen sollte. Beckett war ein großer Fan von Buster Keaton. Womit ist „Endspiel“für Sie vergleichbar? Maertens: Direkt möchte ich keinen Vergleich anstellen. Aber die Proben an dem Stück haben für uns eine ungeheure Auswirkung auf andere Aufführungen, die wir gemeinsam machen. „Die Affäre Rue de Lourcine“von Eug`ene Labiche spielen wir, seit wir uns mit diesem Beckett beschäftigen, anders. Wir haben geradezu einen Sprung gemacht, haben viel dazugelernt. Ofczarek: Mir ist etwas Ähnliches bei „Diese Geschichte von Ihnen“aufgefallen. Der Autor dieses Stückes, John Hopkins, hat Beckett offensichtlich genau studiert. Es gibt bei ihm sehr viele Motive, sehr viele Beschreibungen, die mich ans „Endspiel“erinnern. Becketts Drama ist für uns ein immer größer werdender Kosmos, der zum Nachdenken über das Leben an sich anregt. In Etappen heben die Salzburger Festspiele an. Das Eröffnungsfest war schon. Die Ouverture spirituelle läuft noch, sie widmet sich heuer dem östlichen Christentum. Am gestrigen Samstag hatte der „Jedermann“Premiere, wobei sich das Hauptinteresse neben der neuen Buhlschaft (Miriam Fussenegger) auf den neuen Mammon (David Bennent) richtete. Die offizielle Eröffnung ist am 28. Juli in der Felsenreitschule. Philosoph Konrad Paul Liessmann spricht über den Zwiespalt zwischen ökonomischem Erfolg und der „Armut“einer Gesellschaft, die „die Muße und die Musen nicht mehr kennt“. Hinterhäuser folgt Bechtolf. Die heurigen Festspiele sind das letzte Jahr von Sven-Eric Bechtolfs künstlerischer Leitung. Ab 2011 war er Schauspielchef des Festivals und auch als Opernregisseur stark präsent. Heuer sind drei Mozart-Opern in Bechtolfs Regie in Salzburg zu sehen: „Cos`ı fan tutte“, „Don Giovanni“und „Figaro“. Ein Overkill? Den „mächtigsten Mann des Theaters“nennt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“den 1957 in Darmstadt geborenen, in Hamburg aufgewachsenen Bankierssohn, der am Salzburger Mozarteum studierte und am Burgtheater brillierte, bevor er sich der Opernregie zuwandte. In Salzburg wird Bechtolf heuer den bizarren Doktor in Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“geben.
Die am meisten mit Spannung erwartete Opernpremiere ist „Die Liebe der Danae“von Richard Strauss in der Inszenierung von Alvis Hermanis, dirigiert von Franz Welser-Möst.
2017 wird der Pianist Markus Hinterhäuser Festspiel-Intendant. Bechtolf und er sind fast gleich alt und haben beide langjährige Salzburg-Erfahrung. Hinterhäuser, 1958 in La Spezia in Italien geboren, war 1993 bis 2001 (mit dem designierten Wiener-FestwochenChef Tomas Zierhofer-Kin) Gründer und Leiter des Zeitfluss-Festivals für Neue Musik in Salzburg. Ab 2007 war Hinterhäuser Konzertdirektor der Festspiele. Sein Weg in die Intendanz war hürdenreich. Als Festspielchef Jürgen Flimm vorzeitig an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin wechselte, re- gierte Hinterhäuser 2011 kurz in Salzburg. Er bewarb sich auch um die Intendanz, berufen wurde aber der heutige Direktor der Mailänder Scala, Alexander Pereira – der für Kontroversen in Salzburg sorgte, insbesondere um das Budget. Pereira setzte auf Neuinszenierungen. Jetzt ist man zufrieden mit einem Mix aus Wiederaufnahmen und Neuproduktionen. Das kostet weniger – und man kann das von der Politik vorgegebene Budget einhalten.
Hinterhäuser, zuletzt Chef der Wiener Festwochen, die weit weniger Geld erwirtschaften müssen als die Festspiele, hat vorerst einen Fünf-Jahres-Vertrag in Salzburg. Eine Verlängerung um weitere fünf Jahre (bis 2027) ist wahrscheinlich. Kenner erhoffen sich, dass Hinterhäuser mit Fantasie agiert – und Opernaufführungen zeigt, die musikalisch wie szenisch erstklassig sind. So turbulent es bei den Festspielen auch zugeht, für Stabilität sorgt Präsidentin Helga Rabl-Stadler. Im „Presse“–Interview am Freitag wirkte sie äußert wohlgelaunt, da sie sich jetzt und nicht erst im August entschieden hat, sich um ihre Vertragsverlängerung bis zum Jubiläumsjahr 2020 zu bewerben. Nur Ruhe! Insgesamt hat man den Eindruck, dass alle, die in Salzburg die Fäden ziehen, Politiker, Honoratioren, Sponsoren, für die Rabl zuständig ist, genug von Intendanten haben, die immer auf dem Sprung sind – und Salzburg miesmachen. Man will Kunst, Glamour, und Geld verdienen. Das ist auch nötig: Es gibt sehr viele Veranstaltungen. Die Karteneinnahmen sind hoch, die Subventionen niedrig. Bechtolf und Hinterhäuser erweisen der Institution Respekt, was man von ihren Vorgängern Pereira und Flimm nicht immer behaupten konnte.
2018 wollen die Festspiele wieder mehr Geld von Bund, Land und Stadt Salzburg verlangen. Mit der SP-Führung in der Bundesregierung (Claudia Schmied, Josef Ostermayer) war das Festival gut bedient, auch Minister Thomas Drozda hat ein Herz für die Hochkultur. Schließlich war er u. a. Burgtheater-Geschäftsführer.
Nach dem Osterfestspiel-Skandal 2010, der auch das Sommerfestival in Mitleidenschaft zog, hat Rabl – nach dem Ausscheiden von Gerbert Schwaighofer – auch die Geschäftsführung übernommen. Ab 1. April 2017 wird Lukas Crepaz (35) kaufmännischer Direktor. Nach unruhigen Zeiten scheint Verlässlichkeit angesagt.
Salzburg will Kunst, Glamour, Geld verdienen – und nicht mehr beschimpft werden.