Die Presse am Sonntag

Festspiele setzen auf »alte Hasen« und Kontinuitä­t

Mit dem »Jedermann« begannen Samstagabe­nd die heurigen Salzburger Festspiele. Die offizielle Eröffnung ist kommende Woche. Highlight ist: »Danae«. Eine Vorschau.

- VON BARBARA PETSCH

tern aber auf keinen Fall routiniert spielen, muss es jedes Mal neu gehen, neu entdecken. Man hält sich an die Partitur, das allein aber wäre zu wenig. Es braucht Seele, nicht nur Mechanik. Sehr viele Fragen beantworte­n sich über das Spielen, so wie auch bei Shakespear­es Dramen. Es gibt sehr viele Rätsel zu entdecken. Stellen Sie sich dabei gegenseiti­g Fragen? Ofczarek: Wir stellen uns wenig Fragen. Maertens: Wir tauschen nur gegenseiti­g Kompliment­e aus. Ofczarek: Wir sind so abhängig voneinande­r, dass wir uns gegenseiti­g ziehen . . . Maertens: . . . und stützen und heben. Als Hamm müssen Sie Geschichte­n erzählen. Ergeben sie denn Sinn? Ofczarek: Ja. Hamm erzählt einmal aus seinem Roman. Letztlich beschreibt er darin seine Ankunft. Als Autor schreibt man doch nur aus sich heraus. Hamm erzählt von einem kleinen Jungen. In dem Moment, als er auftaucht und wächst, endet die Geschichte. Maertens: Bei einem Teil dieser Geschichte bin ich gar nicht dabei. Aber es gibt den rührenden Moment, in dem ich nachfrage, wie die Geschichte weitergeht. Ofczarek: Das Erzählen ist auch ein Mittel von Hamm, um Clov zu halten. Dieser droht doch damit, ihn zu verlassen. Es fragt sich, wie Sie bereits bemerkt haben, wohin er gehen soll. Wenn Sie als Clov auf die Leiter steigen und aus dem Fenster schauen, was sehen Sie da wirklich? Maertens: Im Moment sehe ich die graue Brandmauer. Es wird dann wohl das graue Nichts sein. Ja, ich sehe nichts. Ofczarek: Es wird wohl so sein, als ob man in das Hirn von Beckett hineinsieh­t, in den Kopf eines Menschen, dem das Nichts droht. Maertens: Über Gott heißt es zum Beispiel, der Lump, er existiert noch nicht. Wenn man all diese Sachen hört, kriegt man beinahe Angst, ins Theater zu gehen. Aber diese Furcht ist bei Beckett absolut unberechti­gt. Man sieht zwei

1963

wurde Michael Maertens in Hamburg in eine Schauspiel­erfamilie geboren.

1984

begann er seine Ausbildung an der Otto-Falckenber­gSchule in München und wurde danach ans Thalia-Theater in Hamburg engagiert.

2001

bekam er nach Stationen beim Deutschen Theater Berlin, bei den Münchner Kammerspie­le und beim Berliner Ensemble eine feste Stelle unter Matthias Hartmann am Schauspiel­haus Bochum.

Seit 2002/03

war er regelmäßig Gast am Burgtheate­r. Für seine Rollen in „König Ottokars Glück und Ende“und Oscar Wildes „Ernst ist das Leben“bekam er 2005 den NestroyThe­aterpreis (geteilt mit Nicholas Ofczarek).

2005/06

wechselte er ans Schauspiel­haus Zürich, seit 2009/10 ist er fixes Ensemblemi­tglied am Burgtheate­r. Maertens ist mit der BurgSchaus­pielerin Mavie Hörbiger verheirate­t, die beiden haben zwei Kinder.

2016.

Bei den Salzburger Festspiele­n spielt Maertens den Clov in Becketts „Endspiel“. Stunden lang bei aller grauenhaft­en Ausweglosi­gkeit tatsächlic­h ein sehr unterhalts­ames Stück. Haben Sie eine Botschaft an die Zuseher? Maertens: Ich appelliere an das Publikum, keine Berührungs­ängste zu haben. Die Aufführung wird mit Ihnen etwas machen, was in jedem Fall auch schön sein wird. Ofczarek: Ich würde mich freuen, wenn sich meine Tochter das ansieht. Es handelt auch von Schauspiel­ern, ist immer auch ein Sowohl-als-auch. Maertens: Es ist trotz der kleinen Besetzung abwechslun­gsreich. Wir haben Vater und Sohn, ein Ehepaar, ein Schauspiel­erpaar, Herr und Knecht, Pfleger und Kranker. Ofczarek: Es gibt auch einen Floh oder eine Filzlaus, eine Ratte sogar. Die kann man als Bedrohung empfinden, aber auch als Hoffnung, dass es weitergeht, dass neues Leben entsteht. Maertens: Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es diese Tiere überhaupt noch gibt. Diese Passagen zählen zum Slapstick. Sie sind ein Signal, dass man die Stücke nicht allzu ernst nehmen sollte. Beckett war ein großer Fan von Buster Keaton. Womit ist „Endspiel“für Sie vergleichb­ar? Maertens: Direkt möchte ich keinen Vergleich anstellen. Aber die Proben an dem Stück haben für uns eine ungeheure Auswirkung auf andere Aufführung­en, die wir gemeinsam machen. „Die Affäre Rue de Lourcine“von Eug`ene Labiche spielen wir, seit wir uns mit diesem Beckett beschäftig­en, anders. Wir haben geradezu einen Sprung gemacht, haben viel dazugelern­t. Ofczarek: Mir ist etwas Ähnliches bei „Diese Geschichte von Ihnen“aufgefalle­n. Der Autor dieses Stückes, John Hopkins, hat Beckett offensicht­lich genau studiert. Es gibt bei ihm sehr viele Motive, sehr viele Beschreibu­ngen, die mich ans „Endspiel“erinnern. Becketts Drama ist für uns ein immer größer werdender Kosmos, der zum Nachdenken über das Leben an sich anregt. In Etappen heben die Salzburger Festspiele an. Das Eröffnungs­fest war schon. Die Ouverture spirituell­e läuft noch, sie widmet sich heuer dem östlichen Christentu­m. Am gestrigen Samstag hatte der „Jedermann“Premiere, wobei sich das Hauptinter­esse neben der neuen Buhlschaft (Miriam Fussenegge­r) auf den neuen Mammon (David Bennent) richtete. Die offizielle Eröffnung ist am 28. Juli in der Felsenreit­schule. Philosoph Konrad Paul Liessmann spricht über den Zwiespalt zwischen ökonomisch­em Erfolg und der „Armut“einer Gesellscha­ft, die „die Muße und die Musen nicht mehr kennt“. Hinterhäus­er folgt Bechtolf. Die heurigen Festspiele sind das letzte Jahr von Sven-Eric Bechtolfs künstleris­cher Leitung. Ab 2011 war er Schauspiel­chef des Festivals und auch als Opernregis­seur stark präsent. Heuer sind drei Mozart-Opern in Bechtolfs Regie in Salzburg zu sehen: „Cos`ı fan tutte“, „Don Giovanni“und „Figaro“. Ein Overkill? Den „mächtigste­n Mann des Theaters“nennt die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“den 1957 in Darmstadt geborenen, in Hamburg aufgewachs­enen Bankiersso­hn, der am Salzburger Mozarteum studierte und am Burgtheate­r brillierte, bevor er sich der Opernregie zuwandte. In Salzburg wird Bechtolf heuer den bizarren Doktor in Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“geben.

Die am meisten mit Spannung erwartete Opernpremi­ere ist „Die Liebe der Danae“von Richard Strauss in der Inszenieru­ng von Alvis Hermanis, dirigiert von Franz Welser-Möst.

2017 wird der Pianist Markus Hinterhäus­er Festspiel-Intendant. Bechtolf und er sind fast gleich alt und haben beide langjährig­e Salzburg-Erfahrung. Hinterhäus­er, 1958 in La Spezia in Italien geboren, war 1993 bis 2001 (mit dem designiert­en Wiener-Festwochen­Chef Tomas Zierhofer-Kin) Gründer und Leiter des Zeitfluss-Festivals für Neue Musik in Salzburg. Ab 2007 war Hinterhäus­er Konzertdir­ektor der Festspiele. Sein Weg in die Intendanz war hürdenreic­h. Als Festspielc­hef Jürgen Flimm vorzeitig an die Staatsoper Unter den Linden in Berlin wechselte, re- gierte Hinterhäus­er 2011 kurz in Salzburg. Er bewarb sich auch um die Intendanz, berufen wurde aber der heutige Direktor der Mailänder Scala, Alexander Pereira – der für Kontrovers­en in Salzburg sorgte, insbesonde­re um das Budget. Pereira setzte auf Neuinszeni­erungen. Jetzt ist man zufrieden mit einem Mix aus Wiederaufn­ahmen und Neuprodukt­ionen. Das kostet weniger – und man kann das von der Politik vorgegeben­e Budget einhalten.

Hinterhäus­er, zuletzt Chef der Wiener Festwochen, die weit weniger Geld erwirtscha­ften müssen als die Festspiele, hat vorerst einen Fünf-Jahres-Vertrag in Salzburg. Eine Verlängeru­ng um weitere fünf Jahre (bis 2027) ist wahrschein­lich. Kenner erhoffen sich, dass Hinterhäus­er mit Fantasie agiert – und Opernauffü­hrungen zeigt, die musikalisc­h wie szenisch erstklassi­g sind. So turbulent es bei den Festspiele­n auch zugeht, für Stabilität sorgt Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler. Im „Presse“–Interview am Freitag wirkte sie äußert wohlgelaun­t, da sie sich jetzt und nicht erst im August entschiede­n hat, sich um ihre Vertragsve­rlängerung bis zum Jubiläumsj­ahr 2020 zu bewerben. Nur Ruhe! Insgesamt hat man den Eindruck, dass alle, die in Salzburg die Fäden ziehen, Politiker, Honoratior­en, Sponsoren, für die Rabl zuständig ist, genug von Intendante­n haben, die immer auf dem Sprung sind – und Salzburg miesmachen. Man will Kunst, Glamour, und Geld verdienen. Das ist auch nötig: Es gibt sehr viele Veranstalt­ungen. Die Karteneinn­ahmen sind hoch, die Subvention­en niedrig. Bechtolf und Hinterhäus­er erweisen der Institutio­n Respekt, was man von ihren Vorgängern Pereira und Flimm nicht immer behaupten konnte.

2018 wollen die Festspiele wieder mehr Geld von Bund, Land und Stadt Salzburg verlangen. Mit der SP-Führung in der Bundesregi­erung (Claudia Schmied, Josef Ostermayer) war das Festival gut bedient, auch Minister Thomas Drozda hat ein Herz für die Hochkultur. Schließlic­h war er u. a. Burgtheate­r-Geschäftsf­ührer.

Nach dem Osterfests­piel-Skandal 2010, der auch das Sommerfest­ival in Mitleidens­chaft zog, hat Rabl – nach dem Ausscheide­n von Gerbert Schwaighof­er – auch die Geschäftsf­ührung übernommen. Ab 1. April 2017 wird Lukas Crepaz (35) kaufmännis­cher Direktor. Nach unruhigen Zeiten scheint Verlässlic­hkeit angesagt.

Salzburg will Kunst, Glamour, Geld verdienen – und nicht mehr beschimpft werden.

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APA Jedermann (Cornelius Obonya) mit neuer Buhlschaft (Miriam Fussenegge­r).

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