Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Die Liebe zum Zwang. Das Gefährliche an unserer Zeit ist nicht, dass die Freiheit so viele Gegner hat, von Erdo˘gan bis Putin. Sondern dass sie so wenige klare Verteidiger hat.
Es steht nicht gut um die Sache der Freiheit. Erdogans˘ Gegenputsch oder die gerade in Russland verabschiedeten Überwachungsgesetze sind nur weitere Kapitel in einer Geschichte, die das Freedom House einen „Erdrutsch der Unfreiheit“nennt, der vor einem Jahrzehnt begonnen hat. Und es werden nicht die letzten sein, wenn – wie nach 9/11 in den USA – auch in Europa immer mehr Bürgerrechte ausgesetzt werden, um Terroraktionen zu verhindern. Wobei ziemlich klar ist, dass man Narren wie den Schützen von München kaum mit polizeistaatlichen Mitteln verhindern kann.
Weltweit nimmt seit einem Jahrzehnt die Freiheit ab und die Unfreiheit zu. Und wo sind die großen Verteidiger der Freiheit? Eine USA unter Hillary Tugendterror Clinton oder Donald Mauerbau Trump? Großbritannien galt in meiner Jugend als der Hort der Liberalität. Mittlerweile ist dort aber eine paternalistische Moralinherrschaft eingezogen, die nicht einmal davor haltmacht, politische Korrektheit schon in der Sandkiste behördlich zu überwachen. In Kontinentaleuropa scheint auf nationaler Ebene immer mehr als wichtigste Freiheit angesehen zu werden, dass man frei von Zuwanderung wird. Und für die EU reicht vielleicht nicht einmal der Brexit, damit endlich über Grenzen der Verregelungswut nachgedacht wird.
Wer wird bei uns für die Freiheit aufstehen – oder vielleicht sogar sein Leben für sie einsetzen? Diejenigen Zeitgenossen, die gerührt die indigenen populistischen Führer in Südamerika betrachten, die ihre Völker doch nur in die Unfreiheit und in die Verarmung führen? Oder diejenigen, die Putin alles verzeihen, weil er doch so für die Familie und christliche Werte eintritt (solange sie seine Herrschaft nicht infrage stellen)? Diejenigen, die volles Verständnis dafür haben, dass anderswo (im Gegensatz zu uns) die Menschen zur Freiheit halt nicht fähig sind? Oder diejenigen, die als Maximalwaffe gegen den militanten Islamismus das interreligiöse Gespräch erlaubt sehen? Diejenigen, die schon jetzt bereit sind, einen russischen Einmarsch im Baltikum der Nato zur Last zu legen und nicht dem neuen alten Imperialismus, der Diktatoren wie Putin und Erdogan˘ eint?
Der Zustand, zu dem eine Gesellschaft natürlicherweise tendiert, ist nicht die Freiheit, sondern die obrigkeitlich oder sozial erzwungene Anpassung. Ein Zustand, in dem der Bürger schon Alternativen hat – aber nur die, sich zu fügen oder im Folterkeller zu landen. Wollen wir das nicht, müssen wir akzeptieren, dass Freiheit für erwachsene Menschen nicht nur ein Recht, sondern vor allem auch eine Pflicht ist. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.