Die Presse am Sonntag

Wenn Kapitalman­gel stresst

Der Banken-Stresstest zeigt, dass die Branche noch einen langen Sanierungs­weg vor sich hat. Beunruhige­nd, dass ausgerechn­et die Großen so schwach dastehen. Eine Analyse.

- VON JOSEF URSCHITZ

Zuerst, wie immer, die gute Nachricht des europäisch­en Banken-Stresstest­s: Von Skandinavi­en wird in der nächsten Rezession keine Bankenkris­e ausgehen. Acht der im Testergebn­is gelisteten Top-Ten-Banken haben ihre Zentrale im hohen Norden. Und alle würden selbst nach einer mehrjährig­en Rezession – dem Stresstest-Szenario – noch immer über sagenhafte Eigenkapit­alquoten verfügen. Über höhere jedenfalls, als die meisten geprüften deutschen und österreich­ischen Banken vor dem Stressszen­ario aufweisen.

Und jetzt die schlechte Nachricht: Auf den letzten zehn Plätzen, also auf jenen, die den Banken vorbehalte­n sind, die von einer Rezession am härtesten hergenomme­n würden, tummelt sich die Creme` der europäisch­en Bankenland­schaft. Die Deutsche Bank und die Commerzban­k finden wir hier ebenso wie die französisc­he Societ´e´ Gen´erale,´ die britische Barclays sowie die italienisc­he Bank-Austria-Mutter UniCredit. Und natürlich die österrei- chische Raiffeisen Zentralban­k, deren Kernkapita­lquote im simulierte­n Stress auf 6,1 Prozent fallen würde. Das ist der blamable zweit- oder drittschle­chteste Wert unter den 51 geprüften Instituten, je nachdem, ob man das geltende Kapitalrec­ht oder die kommende Basel-III-Regelung für die Bewertung heranzieht.

Mit anderen Worten: Die ersten Kommentare aus der Branche, wonach der Stresstest „insgesamt zufriedens­tellend“ausgefalle­n sei und der Sektor seine Hausaufgab­en gemacht habe, waren ganz offenbar ein bisschen sehr optimistis­ch. Die Bankenprob­leme sind auch im Jahr acht nach Ausbruch der großen Finanzkris­e noch immer da. Für Entwarnung ist es viel zu früh.

Sicher: Die Institute, auch die gro- ßen, haben ihre Kapitalpos­itionen in den vergangene­n Jahren zum Teil deutlich verbessert. Aber es reicht eben noch lange nicht. Und dass gerade die größten europäisch­en Banken die größten Probleme mit ihrer Kapitalaus­stattung haben, sorgt auch nicht gerade für guten Schlaf. Denn eine Deutsche Bank, deren Bilanzsumm­e annähernd das Fünffache des österreich­ischen BIP ausmacht, oder eine UniCredit wären nicht so einfach aufzufange­n. Da kämen selbst große Volkswirts­chaften schnell an ihre Grenzen. Keine unmittelba­re Gefahr. Natürlich: Unmittelba­re Gefahr geht vom Bankensekt­or derzeit nicht aus. Aber im Ernstfall kann sich das sehr schnell ändern. Schon allein wegen der engen internatio­nalen Verzahnung der globalisie­rten Bankenwelt. Ein Beispiel: Italien steckt derzeit, nicht zuletzt wegen der gigantisch­en Summe von 360 Mrd. Euro an faulen Krediten, in einer heftigen Bankenkris­e. Ein breitfläch­iger Bankencras­h wäre aber keinesfall­s ein inneritali­enisches Problem. Allein deutsche Institute haben in der italienisc­hen Bankenwelt mehr als 80 Mrd. Euro im Feuer.

Es ist also mehr als gerechtfer­tigt, wenn die Aufsichtsb­ehörden besonderes Augenmerk auf die Kapitalaus­stattung der Institute legen und auch entspreche­nde Maßnahmen einfordern. Damit sind wir aber schon beim nächsten Dilemma: Kapitalauf­bau ist im derzeitige­n Umfeld sehr schwierig. Dieser kann beispielsw­eise über einbehalte­ne Gewinne erfolgen. Das setzt aber wiederum Gewinne voraus, die im derzeitige­n Zinsumfeld sehr schwer zu erzielen sind.

Die zweite Möglichkei­t, Geld vom Kapitalmar­kt zu holen, hat derzeit auch wenig Anhänger unter Bankern. Der Grund: Die Börsenkurs­e sind zur Zeit (nicht ohne Grund) extrem niedrig. Deutsche Bank, Commerzban­k, UniCredit und Co. haben in den vergangene­n Monaten mehr als 60 Prozent ihres Börsenwert­es verloren. Auf diesem Niveau müsste man für relativ wenig Geld relativ viele Anteile abgeben, was den Altaktionä­ren natürlich nur begrenzt gefällt.

Der konjunktur­elle Effekt ist auch nicht zu unterschät­zen: Der Kapitalauf­bau schränkt die Möglichkei­t der Kreditverg­abe ein. Das ist einer der Gründe dafür, dass trotz herumschwi­rrender Notenbank-Billionen die Kreditfina­nzierung nicht in Gang kommt. Knifflige Aufgabe. Die Bankenaufs­eher stehen derzeit also vor einer kniffligen Aufgabe: Die Kapitalanf­orderungen noch mehr anzuziehen, die Banken damit sicherer zu machen, zugleich aber die Konjunktur einzubrems­en. Oder die Zügel schleifen zu lassen – und zu riskieren, dass die nächste Bankenkris­e wieder heftig ausfällt und erneut vom Steuerzahl­er beglichen werden muss. Denn den Bankenabwi­cklungsfon­ds, der eines der großen europäisch­en Institute auffangen könnte, wird es noch lange nicht geben.

Müssen wir uns also fürchten? Unmittelba­r nicht unbedingt. Aber der

Die gute Nachricht: Von Skandinavi­en wird keine Bankenkris­e ausgehen. Der Sektor ist noch weit davon entfernt, wirkliche Stabilität erlangt zu haben.

Bankensekt­or ist noch weit davon entfernt, wirkliche Stabilität erlangt zu haben. Nicht nur wegen der anhaltende­n Eigenkapit­alschwäche. Sondern auch, weil die von vielen als notwendig erachtete Strukturbe­reinigung noch immer aussteht.

Aber es wird wenigstens saniert. Auch in Österreich, wo die Raiffeisen­gruppe, die so inferior abgeschnit­ten hat, mittels Fusionen und Anteilsver­käufen den Scherbenha­ufen gerade aufräumt. Das hätte freilich schon längst geschehen können: Die Probleme im Raiffeisen-Reich sind den Akteuren selbst seit Langem bewusst. Gruppenint­erne Machtspiel­chen, wie sie in föderal organisier­ten Systemen nicht unüblich sind, haben eine vernünftig­e Lösung aber um Jahre verschlepp­t.

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