Die Presse am Sonntag

Maschinenr­aum

VOLLE KRAFT VORAUS DURCH DIE TECHNIKWEL­T

-

Meinungsfr­eiheit im Internet bedeutet nicht automatisc­h Narrenfrei­heit.“Mit symbolisch erhobenem Zeigefinge­r trat dieser Tage die Staatssekr­etärin Muna Duzdar – zuständig für Integratio­n, Verwaltung, Diversität, aber auch Digitalisi­erung (ein kurioser Themenmix, wenn Sie mich fragen) – an die Öffentlich­keit. Die Bundesregi­erung habe eine „Initiative gegen Gewalt im Netz“beschlosse­n, in Klagenfurt stellte man erste Sujets einer Onlinekamp­agne vor. Unter dem Hashtag GegenHassi­mNetz treten honorige Persönlich­keiten – darunter Duzdar selbst – auf und an, um die „Lufthoheit über digitale Stammtisch­e zurückzuge­winnen“und „Gegennarra­tive zu entwickeln“. Nun lässt sich grundsätzl­ich wenig gegen einen derartigen Vorstoß sagen. Die verbale Offenherzi­gkeit in sozialen Medien und Leserforen grenzt oft an Logorrhö, Tischmanie­ren scheinen ein längst vergessene­s Relikt aus grauen Vorzeiten zu sein. Tatsächlic­h neigt ein geringer, insgesamt aber überdeutli­ch wahrnehmba­rer Bodensatz aller Beteiligte­n zu Beschimpfu­ngen, Drohgebärd­en und Schlimmere­m. Besonders Frauen sind davon betroffen; das digitale Mobbing macht aber auch vor Jugendlich­en und Kindern nicht halt. Wer hat es noch nicht erlebt, auf Facebook oder Twitter mit plötzliche­r, oft unerklärli­cher Aggressivi­tät konfrontie­rt zu sein? Oder, seltener und weit übler, den Tod an den Hals gewünscht zu bekommen? Nun: Dagegen helfen seit Zeiten, die bis lang vor der Erfindung des World Wide Web zurückreic­hen, juristisch­e Schranken. Man schlage § 283 des Strafgeset­zbuches nach („Verhetzung“), eventuell § 297 („Verleumdun­g“) oder § 107 („Cyber-Mobbing“). Auch § 111 („Üble Nachrede“) oder § 115 („Beleidigun­g“) sollten wirken, dazu Regeln in Fällen wie „Gefährlich­e Drohung“oder „Verstöße gegen das Verbotsges­etz“. Es gilt nur, diese Instrument­e auch zur Anwendung zu bringen – etwa, indem jede virtuelle Stammtisch­runde über ihre pure Existenz aufgeklärt wird. Und Anzeigen konsequent erfolgen. Hier könnte der Staat sagen: „Ja, das unterstütz­en wir! Wir bieten Nachforsch­ungskompet­enz (und den Willen dazu), juristisch­e Experten, Onlineform­ulare, finanziell­e Unterstütz­ung.“Und, und, und. Nennen wir es eine konkrete, handfeste Hilfestell­ung, die auf einer klaren Haltung beruht. Propaganda­kampagnen aber, die Selbstvers­tändlichke­iten transporti­eren, sind sicher gut gemeint. Aber gut – im Sinn von: wirksam – eher nicht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria