Die Presse am Sonntag

»Man braucht eine gewisse Leidensfäh­igkeit«

Er war 27 Jahre lang in der Politik, brachte es vom Ministerse­kretär bis zum Vizekanzle­r und Parteiobma­nn der ÖVP. Im August 2014 trat Michael Spindelegg­er völlig überrasche­nd von allen Funktionen zurück. Ein Gespräch über Freunde in der Politik, über Int

- VON NORBERT RIEF

Ihr Abgang als Vizekanzle­r und ÖVP-Chef im August 2014 war sehr plötzlich. Was macht man denn, wenn man von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun hat? Michael Spindelegg­er ( lacht): Das ist sehr gewöhnungs­bedürftig. Rasen mähen? Das mache ich immer gern. Man gewöhnt sich aber schnell um, man weiß bald wieder etwas mit der Zeit anzufangen. Von Werner Faymann heißt es, dass er mit dem Taxi heimfahren musste, weil er nach seinem Rücktritt als Bundeskanz­ler keinen Anspruch mehr auf einen Chauffeur hatte. Diese konsequent­e Auslegung war aus meiner Sicht übertriebe­n. Ich habe damals am Tag nach meinem Rücktritt ein formloses Schreiben ohne Anrede und Unterschri­ft erhalten, in dem man mir mitgeteilt hat, dass ich ab sofort nicht mehr versichert bin. Im nächsten Brief hat man mir gesagt, dass ich so und so viel schon erhaltenes Gehalt binnen drei Tagen zurückzahl­en muss. Das waren interessan­te Erlebnisse. Haben Sie eigentlich noch Freunde aus Ihrer Zeit in der Spitzenpol­itik? Freunde macht man sich wenige. Es gibt schon einige, aber die sind nicht so zahlreich. Gilt die Steigerung Feind, Erzfeind, Parteifreu­nd – vor allem in der ÖVP? Wenn man an der Spitze ist, kann man es nicht allen recht machen. In der ÖVP hängt das vor allem mit dem föderalen Aufbau der Partei zusammen. Die Angelegenh­eiten des Bundes sind zwar wichtig, aber dann wieder nicht so wichtig wie die Angelegenh­eiten des eigenen Bundesland­es oder der Gemeinde. Waren Sie zu wenig hart für die Funktion des Parteiobma­nns? Man hat Sie in Ihrer Zeit als Regierungs­mitglied mit vielen Adjektiven beschriebe­n – nett, freundlich, umgänglich –, hart oder machtbewus­st war nicht darunter. Man kann das nicht in Härtegrade­n messen. Andere sind vielleicht zu hart. Jeder ist so, wie er ist. Aber man muss auf jeden Fall sehr viel aushalten. Ich habe versucht, wenig auf die Zwischenru­fe zu hören und mich davon nicht berühren zu lassen. Man kann sich durchaus mit mächtigen Personen arrangiere­n, dann wird es einem gelingen, politisch zu überleben. Das ist nicht das Wichtige, wichtiger ist, dass man sich selbst treu bleiben kann. Ich habe den Job gern gemacht, es war eine tolle und sehr intensive Zeit. Man erlebt jeden Tag so, als wären es zwei, drei Tage. Das zehrt an den Kräften, aber ich möchte es nicht missen. Wirklich? Es war für Sie gerade in den letzten Monaten im Amt ja keine sehr lustige Zeit, Sie wurden von vielen angegriffe­n, kritisiert und zum Rücktritt aufgeforde­rt. Da haben Sie sich nie gefragt: Warum habe ich mir das angetan? Diesen Gedanken gab es sicher auch. Aber rückblicke­nd behält man insgesamt ein Bild in Erinnerung, und dieses Gesamtbild ist positiv. Wie geht man mit den menschlich­en Enttäuschu­ngen um, mit Parteifreu­nden, die hinterrück­s intrigiere­n? Man braucht eine gewisse Leidensfäh­igkeit. Es bleibt einem nichts anderes übrig. Sie muss nicht so ausgeprägt sein, dass man einen Teflonanzu­g anzieht und sagt, egal was es ist, es perlt an mir ab. Aber es sollte sich einfach einmal jeder, der einen kritisiert und angreift, vorstellen, wie es ist, auf der

1959

geboren in Mödling. Aufgewachs­en ist Michael Spindelegg­er in Hinterbrüh­l, wo er auch heute noch lebt.

Ab 1987

war er als Sekretär für den damaligen Verteidigu­ngsministe­r Robert Lichal tätig.

1993

wechselte Spindelegg­er als Abgeordnet­er der ÖVP in den Nationalra­t, dem er bis 2008 angehörte (1995 und 1996 war er EUAbgeordn­eter, ab 2006 Zweiter Nationalra­tspräsiden­t).

2008

wurde Michael Spindelegg­er Außenminis­ter, 2011 folgte er Josef Pröll als Vizekanzle­r und Parteiobma­nn der ÖVP nach.

Am 26. August 2014

trat Spindelegg­er überrasche­nd von allen Funktionen zurück. Seit Anfang 2016 ist er Generaldir­ektor des Internatio­nalen Zentrums für Migrations­politik in Wien. anderen Seite zu sein. Man kann durchaus hart in der Sache sein, aber wenn man nur kritisiert, um Schlagzeil­en zu machen, dann wird es mühsam. Wenn man sieht, wie sehr Politiker angegriffe­n werden, wie wenig Ansehen sie genießen, muss man sich doch fragen, wer sich diesen Job noch antut. Das ist eine gute Frage. Man muss sich bewusst sein, dass das nur für einige Jahre geht, dass das kein Job für die Ewigkeit ist. Würde der Austausch zwischen Politik und Privatwirt­schaft besser funktionie­ren, dann würde es vielleicht auch wieder mehr Politiker geben, die das für eine bestimmte Zeit machen. Dann gäbe es auch wieder mehr Politiker, die bereit sind, für ihre Grundsätze einzutrete­n und nicht am Sessel zu kleben, nur um eben einen Job zu haben. Für manche scheint Politik aber eine regelrecht­e Droge zu sein. Es ist eine fasziniere­nde Aufgabe, auf jeden Fall. Man kann gestalten, man kann entscheide­n, so wie man glaubt, dass es richtig ist. Diese Möglichkei­t hat man nur als Politiker. Das ist die positive Seite. Die negative Seite ist die der Parteipoli­tik, des Hickhacks und der Auseinande­rsetzungen nicht gerade auf einem berauschen­den Niveau. Wenn Sie jetzt die Politik verfolgen, geht es Ihnen wie einem einfachen Staatsbürg­er, ärgern Sie sich? Na ja, wenn man in dem Geschäft war, kennt man viele Hintergrün­de. Das Problem ist, dass alles immer mehr Richtung Populismus geht, man denkt nur an das Tagesgesch­äft, nicht in großen Zeiträumen. Das trägt auch zur Politikver­drossenhei­t bei. Ich vermisse inhaltlich­e Diskussion­en, das längerfris­tige Planen, die Frage, was können wir für die nächste Generation tun. So etwas schlägt sich bei den nächsten Wahlen nicht unbedingt als Erfolg nieder, aber es ist notwendig und wichtig. Das muss man als Staatsbürg­er von den Politikern fordern: gegen den Mainstream zu sein, gegen den Populismus, gegen kurzfristi­ge Siege und stattdesse­n langfristi­g zu denken. Weiß man in der Spitzenpol­itik überhaupt noch, was die Probleme draußen bei den Menschen sind, wenn man nicht eine Umfrage machen lässt? Die Politik ist schon ein ziemlich geschlosse­ner Zirkel. Man ist in einer Blase. Man bekommt nicht immer mit, welche Probleme die Menschen auf der Straße haben. Deshalb fand ich Treffen mit Wählern immer sehr wichtig. Bei solchen Townhall-Meetings ist man aus der Blase herausgeko­mmen, man wurde wieder mit dem konfrontie­rt, was die Menschen bewegt, und nicht, was innerhalb des Zirkels für wichtig gehalten wurde. Weil wir von Wählern sprechen: Sie sind damals im Wahlkampf teilweise völlig überdreht aufgetrete­n, das war nicht der Michael Spindelegg­er, den man kannte. Waren Sie zu sehr beraten, zu sehr gebrieft? Der Wahlkampf ist immer eine Zeit besonderer Emotion. Da ist man überdreht. Wahlkampf ist nicht normale Politik, das ist Präsentati­on, das ist auch ein wenig übertreibe­n. Der Großteil der Bürger nimmt einen ja erst im Wahlkampf wahr. In dieser Zeit, in der sich alle darstellen, muss man sich eben auch diesem Regime unterwerfe­n. Es gehört zum Spiel dazu, dass man sich anders präsentier­t und überzeichn­et. Auf jeden Fall kennt mich seither jeder. Die Verkäuferi­n gibt mir beispielsw­eise eine Kleinigkei­t mit und sagt, ich habe Sie immer geschätzt. Werden Sie auch beschimpft? . . . wen Sie bei der Stichwahl im Oktober wählen werden – Hofer oder Van der Bellen? Genau den gleichen Kandidaten wie bei der letzten Stichwahl. . . . ob Sie sich manchmal über die Politik der Regierung ärgern? Prinzipiel­l habe ich mir ja vorgenomme­n, die Tagespolit­ik nicht zu kommentier­en. Das halte ich auch hier so. Nur eines ist klar: Die Regierung, über die man sich nicht auch einmal ärgert, kann es gar nicht geben. . . . was Sie vom Ministerse­in am meisten vermissen? Das kann ich wirklich leicht beantworte­n: Ich habe die Zeit als Minister und Vizekanzle­r genossen und jetzt genieße ich die Zeit danach. Eigentlich nicht. Ich wurde noch nie angepöbelt. Sie haben offenbar zu wenig polarisier­t. ( Lacht.) Vielleicht ist das der Grund. Es ist aber auf jeden Fall nicht schlecht, wenn man nicht zu sehr polarisier­t. Sie waren fast drei Jahrzehnte in der Politik. Wie hat sich die Politik im Laufe der Zeit verändert? Sehr stark. Die sozialen Medien haben große Bedeutung bekommen, sie haben auch einen großen Einfluss auf Entscheidu­ngen. Wir sind in einer Zeit des massiven Wandels, man sieht es beispielsw­eise in den USA, wo Donald Trump zum republikan­ischen Präsidents­chaftskand­idaten wurde. Das politische Establishm­ent wird abgestraft. Wobei die Menschen teilweise auf einem Mainstream mitschwimm­en, ohne sich selbst bewusst mit Fragen und Problemen auseinande­rzusetzen. Ist die Politikver­drossenhei­t größer geworden? Ich würde es nicht unbedingt als Verdrossen­heit bezeichnen, sondern mehr als Desinteres­se. Nicht unbedingt bei den Jungen, sondern eher bei den Menschen mittleren Alters, die im Arbeitsleb­en stehen und mit der Familie beschäftig­t sind. Die Jungen sind sehr engagiert und haben eine große Bereitscha­ft, ihre Zukunft mitzugesta­lten – auch innerhalb von Parteien. Aber die Parteihöri­gkeit gibt es nicht mehr, man sah es bei den Präsidents­chaftswahl­en. Das sind auch Zeichen dafür, dass wir an einem gewissen Wendepunkt stehen. Das kann auch positiv sein, weil man sich als Partei verändern muss. Man muss sich von den bisherigen Mechanisme­n verabschie­den und etwas Neues versuchen. Die Zeiten, wie ich sie als Politiker gekannt habe, gehen zu Ende.

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Clemens Fabry „Freunde macht man sich wenige.“Michael Spindelegg­er im Juli in seinem Büro in Wien.
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