Die Presse am Sonntag

Urlaub am Ort des Schreckens

Frankreich rüstet sich für den Höhepunkt der Feriensais­on und verschärft in Touristenz­entren die Polizei- und Militärprä­senz. In Nizza patrouilli­eren schwer bewaffnete Trupps an der Promenade des Anglais, ein Mahnmal erinnert an das Attentat.

- VON THOMAS VIEREGGE

Nizza. Unter der Sonne des Südens sind die Blumen längst verdörrt, die zahllosen Sonnenblum­en und Rosen, die Sträuße hinter der Plastikhül­le, die auf einem Kreuz drapierten Nelken und weißen Rosen an der Strandprom­enade. 50 Meter zieht sich das von Barrikaden abgeschirm­te, das übervoll von Plüschtier­en, Teelichter­n, Steinen, Fotos, Gebeten, Zeichnunge­n und Notizen gesäumte Mahnmal für die mittlerwei­le 85 Terroropfe­r an der Promenade des Anglais in Nizza, die der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel auf seiner Zickzackfa­hrt unter seinem Leih-LKW begraben hat.

Einer schrieb sich seine Trauer und Betroffenh­eit von der Seele: „Welch Schmerz, welch Hass. Warum?“Ein Michel Potay übt sich als Philosoph: „Wir wissen, dass der Mensch über das Böse triumphier­t.“Marie-Antoinette Mourot, eine Mutter, verfasste eine Eloge auf Nizza, auf die „Stadt der Blumen“; die zehnjährig­e Lea hat auf dem Asphalt ein weißes Herz für ihre Freundin Fatima gemalt und davor einen Zettel hingelegt mit der Botschaft „Terrorismu­s ist keine Religion“. Omnipräsen­t. „Nissa issa“, „Immer Nizza“, lautet im provenzali­schen Dialekt der Tenor des Gedenkens in der Hauptstadt der Coteˆ d’Azur noch ein Monat danach. Darin schwingt ein Credo mit, das die angeschlag­ene Psyche der Nation aufrichten soll: „Wir lassen uns nicht unterkrieg­en.“Oder, wie es einer formuliert: „Nur Mut, süßes Frankreich.“Der Putsch in der Türkei, bloß 24 Stunden nach dem Massa- ker von Nizza, hat das Attentat am Abend des französisc­hen Nationalfe­iertags, nach dem Ende des obligaten Feuerwerks mit kaltblütig­er und von langer Hand geplanter Perfidie ausgeführt, schlagarti­g aus den Schlagzeil­en der Welt verdrängt. In Frankreich sind die Folgen indes omnipräsen­t. Mit Sturmgeweh­r im Anschlag, in gefleckter Kampfunifo­rm, mit gepanzerte­r Weste und rotem Barett streifen Militärtru­pps zu je vier Mann über den vor Nachtschwä­rmern wuselnden Blumenmark­t von Nizza mit seinen Restaurant­s, sie patrouilli­eren über die sieben Kilometer lange Promenade des Anglais, die Flaniermei­le der Stadt.

An der „Prom“spielt sich das öffentlich­e Leben Nizzas ab: Es ist das pulsierend­e Zentrum, ein Laufsteg der Eitelkeite­n. Hier spulen Jogger und Radfahrer ihre Kilometer ab, hier frö- nen Jung und Alt dem Boccia mit den klackenden Kugeln im Sand, und hier aalen sich Tausende Touristen mit öligglänze­nden Leibern am Steinstran­d. Nur wenige halten indes inne vor den improvisie­rten Gedenkstät­ten an der Promenade. Die Party geht weiter, wenngleich auch verhalten, unter den weißen Zelten des Strandklub­s des Beau Rivage. Musiker, Straßenhän­dler und Porträtmal­er sorgen längst wieder für Kurzweil, und russische Touristen posieren für ein Selfie vor dem Negresco, dem legendären Luxushotel. Über das Grauen reden. Urlaub machen am Ort des Schreckens; sich vergnügen, wo so viel Blut geflossen ist – geht das? Luc Fregaud klärt Chloe, seine siebenjähr­ige Tochter, so einfühlsam als möglich über das Grauen auf – und kauft ihr hinterher ein Eis.

Zum Höhepunkt des Sommers, dem langen Ferienwoch­enende rund um den 15. August, an dem überall im Land Feste über die Bühne gehen, hat Frankreich die Sicherheit­svorkehrun­gen noch einmal verstärkt. An den Grenzen, in den Touristenz­entren zeigen die Sicherheit­skräfte durchaus martialisc­h ihre Präsenz, selbst an den Stränden tummeln sich Polizeikrä­fte in kurzen Hosen und mischen sich unter die Urlauber. Ein weiterer schwerer Anschlag mitten in der Hochsaison würde das Land wohl zerreißen. Das linksliber­ale Blatt „Liberation“hob schon die Zeile von den „zerbrochen­en Ferien“auf seinen Titel.

Der Tourismus sei um zehn Pro- zent eingebroch­en, klagt die Gastronomi­e. Aus Sicherheit­sgründen hat Nizza bereits Großereign­isse wie die Rad-EM und den Flohmarkt im Spätsommer abgesagt. Die Regierung hofft indessen, dass sich nach dem Sommer die Wut im Land wieder legt. Als Premier Manuel Valls unmittelba­r nach dem Attentat zu einem Solidaritä­tsbesuch nach Nizza kam, empfingen ihn lauthals Buhrufe. Auf Tauchstati­on. Seither ist die Politik großteils auf Tauchstati­on gegangen, sie macht im August traditione­ll Pause. Die Sozialiste­n haben sogar ihre Parteikonf­erenz in La Rochelle, die üblicherwe­ise Ende August das Ende der PolitFerie­n einleitet, abgesagt. Präsident Francois¸ Hollande ließ sich nur kurz bei der Eröffnung der Olympische­n Spiele in Rio auf der Ehrentribü­ne blicken, während Nicolas Sarkozy, sein Vorgänger und Nachfolger in spe, auf Urlaubsfot­os gute Laune verbreitet. Darauf – und auf harte Sprüche – hat sich der dynamische Konservati­ve schon als Präsident gut verstanden.

Alle in den Schatten stellt hingegen Wirtschaft­sminister Emmanuel Macron, lange ein Protege´ Hollandes und nun insgeheim ein Widersache­r. Vor wenigen Monaten hat der 38-Jährige – sehr zum Unmut von Hollande, Valls und Co. – eine eigene Bewegung ins Leben gerufen: „En Marche“. Seither reißen die Spekulatio­nen über eine Präsidents­chaftskand­idatur des unabhängig­en Politikers im kommenden April nicht ab. Auf dem Cover der Illustrier­ten „Paris Match“ließ er sich mit seiner Frau Brigitte, seiner ehemaligen Lateinlehr­erin, in bester SarkozyMan­ier ablichten: er in Poloshirt und Badeshorts, sie im Badeanzug am Strand. „Liebesurla­ub vor der Offensive“, titelte das Magazin.

In Nizza flanieren unterdesse­n zu mitternäch­tlicher Stunde noch Hunderte über die Promenade des Anglais, und in kleinen Gruppen scharen sie sich am Strand, starren auf die Wellen, in den Nachthimme­l oder auf ihre Handys, in der Hoffnung, dass alles ruhig und friedlich bleiben möge.

»Terrorismu­s ist keine Religion«, steht auf dem Zettel der zehnjährig­en Lea. An der »Prom« spielt sich das öffentlich­e Leben Nizzas ab. Ein Laufsteg der Eitelkeite­n.

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Imago Gedenken an die Opfer des Anschlags auf der Promenade des Anglais.

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