Die Presse am Sonntag

Wie Wien den Tourismus zähmt

Während in Städten wie Barcelona über zu viele Touristen geklagt wird, hat Wien alles richtig gemacht. Die Touristend­ichte liegt – im Unterschie­d zu Salzburg – unter dem Durchschni­tt. Trotz günstiger Preise gibt es hier kaum billigen Massentour­ismus.

- VON KARIN SCHUH

Die Wienerin brummt kurz, nuschelt etwas in ihren nicht vorhandene­n Bart, biegt dann in eine Seitengass­e und hat die Touristen, die ein flottes Vorankomme­n in der Kärntner Straße unmöglich machen, schon vergessen. Ein Wiener sitzt mit ein paar Freunden bei einem Heurigen in Grinzing und ist an diesem Ort – an dem Touristen mit Bussen angekarrt werden, um mit Spritzer, Liptauerbr­ot und zwei Musikanten unterhalte­n zu werden – ein Fremdkörpe­r, nämlich ein Einheimisc­her. Als sich eine Dame mit Namenschil­d um den Hals an ihm vorbeizwän­gt, während der Herr die lustige Runde mit seinem Smartphone fotografie­rt, schmeißt er ihr ein „You’re welcome, you’re welcome“hinterher, das von der Sprachmelo­die viel mehr an ein „Geh weiter“erinnert.

Zwei Momentaufn­ahmen, die das Verhältnis der Wiener zu ihren – zumindest nicht persönlich geladenen – Gästen anschaulic­h macht. Die Wiener jammern zwar gern, haben sich aber längst an die Touristen gewöhnt. Immerhin gehören auch sie zu einer Großstadt dazu. Während anderorts der boomende Städtetour­ismus bereits seine negativen Seiten zeigt und die Bevölkerun­g die ungebetene­n Gäste am liebsten so schnell wie möglich loswerden will (siehe Artikel rechts), ist in

Nächtigung­en pro Einwohner

Das ist die durchschni­ttliche Tourismusd­ichte großer europäisch­er Städte.

Nächtigung­en pro Einwohner

gibt es in Wien.

Nächtigung­en pro Einwohner

in Salzburg (die zu den mittleren Städten zählt. Hier liegt der Durchschni­tt bei sechs Nächtigung­en pro Einwohner).

Nächtigung­en pro Einwohner

sind es in Paris.

Nächtigung­en pro Einwohner

in Barcelona. chen Städtetour­ismus. Wien dürfte hier vieles richtig gemacht haben. Wobei die Stadt auch einen Startvorte­il hat.

„Wien ist ein sehr gutes Beispiel für ausgewogen­en Tourismus. Es ist ein guter Mix aus Business, Tourismus und Einheimisc­hen“, sagt Tourismuse­xperte Vladimir Preveden von der Unternehme­nsberatung Roland Berger dazu. Seit vier, fünf Jahren sei die Verträglic­hkeit des Tourismus in europäisch­en Städten ein Thema. „Generell wird der Erfolg des Tourismus in Nächtigung­szahlen und deren Steigerung gemessen. Das lässt sich aber schwer vergleiche­n und hat auch irgendwann eine Grenze. Deswegen wurde die Tourismusd­ichte eingeführt, sie misst die Nächtigung­en pro Einwohner“, sagt Preveden. Um die unterschie­dlich großen Städte zu vergleiche­n, wurden die- se in drei Cluster unterteilt, also große, mittlere und kleine Städte. Wien gehört in die Gruppe der großen Touristens­tädte. Der europäisch­e Durchschni­tt der Tourismusd­ichte liegt in dieser Gruppe bei 7,4 Nächtigung­en pro Einwohner (Stand: 2015). Wien liegt mit 7,9 Nächtigung­en pro Einwohner also knapp über dem Durchschni­tt. An der Spitze liegt Paris mit einer Tourismusd­ichte von 16, gefolgt von Amsterdam mit 15,7. Salzburg, das zu den mittleren Städten (Cluster zwei) zählt, hat 15,5 Nächtigung­en pro Einwohner.

Um den Tourismus in einer Stadt zu bewerten, führt Preveden aber noch einen zweiten Wert an: den Umsatz pro verfügbare­m Zimmer. Hier liegt der Durchschni­tt bei großen Städten (Cluster eins) bei 121 Euro. Wien kommt hier auf gerade einmal 91 Euro. „Wien hat das Problem, dass die Hotelzimme­r zu günstig sind“, sagt Preveden. Im Unterschie­d zu anderen Städten, wie etwa Prag, hat Wien aber ein ganz anderes Image und leidet nicht unter billigem Massentour­ismus. „Wien erscheint den Touristen oft teurer, als es tatsächlic­h ist, das liegt auch an den imperialen Bildern“, sagt dazu Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner. Paris liegt beim Umsatz pro verfügbare­m Zimmer mit 267 Euro übrigens an der Spitze, Amsterdam – ebenfalls eine Stadt

Während woanders Touristen mittlerwei­le abgelehnt werden, sind sie dem Wiener egal. Wien ist im europäisch­en Vergleich sehr billig, hat aber dennoch ein teures Image.

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