Die Presse am Sonntag

Auf der Almhütte über den Klauser See

Smaragdfar­benes Wasser, Wälder fast wie in Kanada und eine schwimmen©e Almhütte. Der Stausee, der vorgibt, ein Natursee zu sein, seine grüne Farbe und die schwimmend­e Hütte – eine Geschichte vieler glückliche­r Fügungen.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Eigentlich kann solche Floskeln ja niemand mehr hören. Dass man sich in Wien fühlt wie in Italien, dass die Steiermark aussieht wie die Toscana und ähnliche Vergleiche, die einem doch nur das Gefühl geben, man sei an einem Ort, an dem man sich an einen besseren erinnert. Wenn man aber über den Stausee Klaus fährt und der Kapitän sagt, „Da brauchst nicht mehr nach Kanada“, vor allem im Herbst nicht, wenn sich die Blätter der Bäume im Nationalpa­rk Kalkalpen ringsum verfärben, dann erwischt man sich schon einmal, wie man einfach staunt. Über das smaragdfar­bene Wasser, die weitläufig­en Wälder, die alten Brücken, und dann kann man so einen Vergleich schon auch einmal durchgehen lassen. Ein kleines Kanada im südlichen Oberösterr­eich also.

Den Stausee kennt man meistens nur vom Vorbeifahr­en, schließlic­h führen die Pyhrnautob­ahn und die Pyhrnpasss­traße daran vorbei, als Ausflugszi­el haben ihn viele nicht auf der Karte. Stausee, das klingt nach Beton, Technik, Kraftwerk. „Es ist ein Stausee, aber er schaut aus wie ein Natursee“, sagt Kapitän Franz Eder, der die schwimmend­e Almhütte über den See navigiert. Aber dazu, zur schwimmend­en Hütte, später. Erst erklärt der Kapitän – mit Kapitänsmü­tze und -hemd, dem Schnauzer, ganz das Klischee –, was es mit dem quasi künstliche­n Natursee auf sich hat. Der Protest hŻt ©Żs Grün gerettet. Entstanden ist der See durch den Kraftwerks­bau 1975. Der See beginnt am Zusammenfl­uss von Steyr und Teichl – und der Steyr verdankt der See auch seine immer tiefgrüne Farbe: „Die Steyr entspringt ja da hinten“, zeigt er Richtung Süden, „in den Kalkalpen bei Hinterstod­er, daher das Grün.“Dabei hätte der See seine schöne Farbe beinahe verloren, denn ursprüngli­ch, vor dem Bau, war dort eine große Pumpstatio­n vorgesehen, die sogenannte Pumpspeich­ergruppe Molln. Dazu hätte unter anderem auch ein Großspei- cher im Tal der Krummen Steyrling gehört. Die Pläne, die auf Ideen aus der Zwischenkr­iegszeit zurückgega­ngen sind, scheiterte­n aber an Protesten der Bevölkerun­g, die dort, lang vor Hainburg, einen Kraftwerks­bau verhindert­en. „Damals war das eine große Ge- schichte, für die Ennstalkra­ftwerke war das quasi eine Leiche“, sagt der Kapitän während der Fahrt, „rückwirken­d muss man sagen, dass das gut war. Heute haben wir hier nur ein Laufkraftw­erk, kein Speicherkr­aftwerk. Deshalb gibt es keine Spiegelabs­enkung, der See schaut aus wie ein Natursee, nicht wie ein Stausee und, wenn es anders gekommen wäre, wäre die Steyr heute nicht mehr grün“, sagt er.

Fährt man den Klauser See per Boot entlang, dann bemerkt man von der ganzen Technik ohnehin kaum etwas. Der See zieht sich bei einer Breite von maximal 200 Metern über sieben Kilometer Länge. Idyllisch zwischen den Wäldern des Nationalpa­rks gelegen, passiert man steile Konglomera­twände („Das ist die längste zusammenhä­ngende Konglomera­twand in ganz Mitteleuro­pa“, sagt der Kapitän. Nachsatz: Das behauptet zumindest der Forstmeist­er) oder kleine Badebuchte­n, die man nur per Boot erreicht. Und man passiert die Angler auf ihren Booten.

Apropos Boot: Dass man über den Stausee heute auch mit einer Almhütte schippern kann, auch das ist eine Geschichte einer irgendwie glückliche­n Fügung. Kapitän Eder erzählt, wie sich die ersten Fahrten – beziehungs­weise die ersten Feiern auf dem See – ergeben haben. Damals, in den 1990er-Jahren, war er Arbeiter bei einer Baufirma, die auf dem See auf einer schwimmend­en Plattform gearbeitet hat. „Irgendwann wollte der Vorstandsc­hef auf der Plattform seinen Geburtstag feiern, also haben wir alle Bagger am Freitag herunterge­räumt, damit dafür Platz ist.“ Erst ©ie BŻgger, ©Żnn ©ie PŻrtys. „Die Feier auf dem See hat den Leuten dann so getaugt, dass sie immer wieder am Wochenende dort feiern wollten, irgendwann haben wir nur noch drei Tage gearbeitet und die restliche Zeit für die Feste umgebaut“, erzählt er, lacht, „das ist dem Direktor dann zu blöd geworden, und er hat das erste Boot bauen lassen.“Seit 1996 wurde das Hüttenboot immer wieder umgebaut, erneuert, auch zum heurigen Saisonstar­t wurde das Boot wieder mit neuen Möbeln und Elektronik ausgerüste­t.

Mittlerwei­le ist die schwimmend­e Almhütte, an den Wochenende­n und in der Hauptsaiso­n zumindest, mehrmals am Tag unterwegs. Bis zu 99 Per- sonen können gemeinsam eine Fahrt buchen, für diverse Feiern, Firmenfest­e, Ausflüge oder Ähnliches. Sperrstun©e Żm See? Gibt es nicht. „Wir hatten hier schon ungefähr alles, von Hochzeiten, Taufen, Seminaren bis zu Gästen, die extra aus Deutschlan­d oder Holland kommen“, sagt Wirt Helmut Pölz, der das Gasthaus Seeblick (inklusive Bootsverle­ih und eben schwimmend­er Almhütte) betreibt – und die Gäste auf dem Boot mit Essen und Getränken versorgt. Oft bis in die Nacht, „bei uns wird keiner heimgeschi­ckt“, sagt er, eine Sperrstund­e gebe es nicht, Anrainer ja auch nicht.

Zwei Stunden schippert man gewöhnlich über den See – rechterhan­d sieht man noch die alte Straße, ein Stück weiter ragen alte Rohre von einer Anhöhe in den See. Der Kapitän erzählt: Früher habe es hier, am östlichen Ende der Kremsmauer, einen großen

Dass der Stausee heute ausschaut, als sei er ein Natursee, war quasi Fügung. Wie die Hütte auf den See kam? Das hat mit Feiern auf einer Plattform angefangen. Ein Ausflug auf dem See ist einer in die Industrieg­eschichte – dem Kapitän sei Dank.

Steinbruch gegeben. Eine Million Tonnen Kalk, sagt Eder, seien hier im Jahr für die Voest abgebaut worden. 100 Leute hätten damals im Steinbruch gearbeitet und in Betriebswo­hnungen auf einer Anhöhe gewohnt. „Vor 20, 25 Jahren wurden die Häuser geschliffe­n. Die Rohre hat man halt vergessen.“

Überhaupt ist eine Bootsfahrt auch ein Ausflug in die Geschichte: Alte Brücken, Straßen, Reste der Industrie, Geschichte­n über Bauarbeite­n am Kraftwerk oder vom Rohrverleg­en unter Wasser, die der Kapitän liefert, inklusive. Die Fahrt führt bis zur alten Eisenbahnb­rücke: Die ist noch nicht lang außer Betrieb, wurde den Gemeinden geschenkt, und die lassen das 110 Jahre alte Bauwerk zu einer Fahrradbrü­cke umbauen. Es ist ein Teil des RadwegLück­enschluss-Projekts zwischen Klaus und St. Pankraz. 2018 soll das fertig sein, dann kommt man mit dem Fahrrad durch die Pyhrn-Region bis in die Steiermark. Und Kapitän und Hüttenwirt freuen sich über noch ein Freizeitan­gebot, das den Beiklang von Beton und Technik, wenn man Stausee hört, vielleicht vergessen lässt.

 ?? Clemens Fabry ?? Wirt Helmut Pölz (links) und Kapitän Franz Eder auf ihrer schwimmend­en Hütte auf dem See.
Clemens Fabry Wirt Helmut Pölz (links) und Kapitän Franz Eder auf ihrer schwimmend­en Hütte auf dem See.

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