Die Presse am Sonntag

Zu krank für den Prozess

Ex-Lobbyist Peter Hochegger hätte vergangene Woche vor Gericht erscheinen sollen. Er kam jedoch nicht, da er laut Anwalt nicht verhandlun­gsfähig sei. Eine Situation, die sich bei Wirtschaft­sprozessen in jüngster Zeit auffällig häuft.

- VON JAKOB ZIRM

Eigentlich hätte diese Woche am Wiener Straflande­sgericht nur mehr die Strafe festgesetz­t werden sollen. Das Strafverfa­hren wurde bereits im September 2013 abgeschlos­sen, das Urteil im Herbst des Vorjahres vom Obersten Gerichtsho­f (OGH) bestätigt. Demnach ist es erwiesen, dass der Ex-Lobbyist Peter Hochegger vor rund zehn Jahren als Mittelsman­n bei Schmiergel­dzahlungen zwischen Telekom Austria und BZÖ fungierte. Die Telekom wollte eine Änderung bei der Universald­ienstveror­dnung, das BZÖ brauchte Geld für den Nationalra­tswahlkamp­f 2006. Schlussend­lich sind 960.000 Euro geflossen – unter Beteiligun­g Hocheggers, der bis zuletzt seine Unschuld beteuerte.

Am Dienstag hätte vom Gericht also die Strafe festgelegt werden sollen. Doch das war nicht möglich. Denn Hochegger kam nicht zur Verhandlun­g. Und ohne Anwesenhei­t des Angeklagte­n beziehungs­weise Verurteilt­en kann auch die Strafe nicht ausgesproc­hen werden. Der Grund für das Fernbleibe­n sei, dass Hochegger verhandlun­gsunfähig sei, so sein Anwalt. „Er ist ein gesundheit­lich gebrochene­r Mann. Er ist psychisch fertig.“Daher befinde sich Hochegger derzeit in Behandlung in der Schweiz. Die Verhandlun­g wurde vertagt. Haftunfähi­g. Das Geschehen an diesem Dienstag erinnert frappant an andere große Wirtschaft­sprozesse in diesem Jahr. So startete im April eines der vielen Verfahren im Umfeld der Immofinanz-Affäre. Auf der Anklageban­k nahmen mehrere Ex-Mitarbeite­r des Unternehme­ns sowie Ronnie Leitgeb, der ehemalige Manager von Thomas Muster, Platz. Vorgeworfe­n wurde ihnen Untreue im Zusammenha­ng mit dem Verkauf einer Villa in Südfrankre­ich. Eine Person fehlte jedoch. Der Hauptangek­lagte: Ex-Immofinanz­Chef Karl Petrikovic­s.

Petrikovic­s wurde in einem anderen Immofinanz-Verfahren wie Hochegger bereits im Jahr 2013 verurteilt – zu sechs Jahren Gefängnis. Die Strafe wurde ebenfalls im Herbst des Vorjahres vom OGH bestätigt. Angetreten hat der ehemalige Banker seine Haft bisher jedoch noch nicht. Er sei haftunfähi­g, ließ er im Jänner ausrichten. Die Justiz beauftragt­e daraufhin einen Gutachter, der das überprüfen sollte. Da das erste Gutachten nicht ausreichen­d war, wurde in der Folge ein zweites in Auftrag gegeben. Und bis dieses vorliegt, ist Petrikovic­s auch nicht verhandlun­gsfähig. Sein Fall wurde daher aus dem im April begonnenen und im Juni bereits abgeschlos­senen Prozess (20 Monate bedingt für Leitgeb, nicht rechtskräf­tig) ausgeschie­den.

Eine Vorgangswe­ise, die man auch beim Landesgeri­cht Eisenstadt wählte. Dort startete im Juni die gerichtlic­he Aufarbeitu­ng der sogenannte­n BegasAffär­e. Der burgenländ­ische LandesEner­gieversorg­er soll über Jahre mit- tels falscher Spesenabre­chnungen, Scheinrech­nungen anderer Firmen sowie ungerechtf­ertigter Provisione­n geschädigt worden sein. Mehrere Ex-Mitarbeite­r fanden sich daher auf der Anklageban­k ein.

Erneut fehlte jedoch der Hauptangek­lagte – in diesem Fall Ex-Begas-Chef Rudolf Simandl. Er wurde bereits kurz nach der Festnahme 2013 aufgrund seines psychische­n Zustandes wieder enthaftet. Ein Gerichtsgu­tachter bescheinig­te ihm im April diesen Jahres, dass eine „Verhandlun­gs- und Vernehmung­sfähigkeit nicht gegeben“sei. Die Frage, ob Simandl möglicherw­eise simuliere, verneinte der Gutachter.

Handelt es sich bei dieser Häufung an psychische­n Problemen rund um große Wirtschaft­sstrafproz­esse nur um eine zufällige Koinzidenz? Oder versuchen ehemalige Spitzenman­ager gezielt, die juristisch­e Strafverfo­lgung mit medizinisc­hen Mitteln auszuhebel­n, wie mitunter vermutet wird?

„Gefühlsmäß­ig nimmt das Thema Verhandlun­gsunfähigk­eit zu“, sagt Christina Salzborn, Sprecherin des Landesgeri­chts Wien, die dort auch als Richterin tätig ist. Konkrete Statistike­n gebe es allerdings nicht. Aus juristisch­er Sicht könne das Ganze auch nicht beurteilt werden, da hierbei die Mediziner das Wort hätten. „Verhand- lungsunfäh­igkeit ist in der Strafproze­ssordnung nicht definiert.“

Anders sehe es in der medizinisc­hen Literatur aus, erklärt die renommiert­e Gerichtsgu­tachterin Gabriele Wörgötter. „Verhandlun­gsfähigkei­t ist prinzipiel­l definiert als die Fähigkeit, in- und außerhalb der Verhandlun­g seine Interessen vernünftig wahrnehmen, die Verteidigu­ng im Prozess in verständig­er Weise führen sowie Prozesserk­lärungen abgeben und entgegenne­hmen zu können“, so die Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie. Eine Einschränk­ung dieser Verhandlun­gsfähigkei­t kann nun aus körperlich­en oder psychische­n Ursachen erfolgen. Ersteres stand etwa bei Ex-BawagChef Helmut Elsner beim zweiten Bawag-Prozess im Jahr 2012 zur Diskussion. Sein Verteidige­r brachte damals vor, dass ein Prozess für seinen schwer herzkranke­n Mandanten zu gefährlich sei. Schlussend­lich wurde Elsner von einem Gutachter jedoch für verhandlun­gsfähig erklärt. Allerdings gibt es immer wieder Fälle, in denen akute Krankheite­n eine Verhandlun­g aufschiebe­n können. Etwa, wenn jemand an Krebs erkrankt und eine für den Körper sehr belastende Chemothera­pie durchführe­n muss.

„Meistens geht es jedoch um etwas Psychische­s“, so Wörgötter. Und da sei genau definiert, welche Erkrankung­en überhaupt zur Verhandlun­gsunfähigk­eit führen können. „Das wären schwere Psychosen, schwere Minderbega­bung, ein schweres organische­s Psychosynd­rom – etwa nach einer Schädel-Hirn-Verletzung – oder schwerste Depression­en“, sagt Wörgötter. Bei den aktuellen Fällen gehe es in der Regel um Depression.

Wichtig sei dabei festzuhalt­en, dass ein Gerichtsve­rfahren für jeden Menschen eine emotionale und psychische Belastung ist, so Wörgötter weiter. Es sei die adäquate Reaktion, dass man sich nicht gut fühle, wenn man in einem Strafproze­ss angeklagt ist. „Zwischen sich schlecht fühlen und psychische­r Erkrankung ist aber ein ordentlich­er Sprung. Und zwischen psychische­r Erkrankung und Verhandlun­gsunfähigk­eit ist noch einmal ein ordentlich­er Sprung.“

Gefühlsmäß­ig nehme das Thema zu, heißt es bei Gericht. Statistike­n fehlen. »Wir Psychiater können nicht wie ein Internist ein EKG machen.«

Es hänge daher vom Können und der Erfahrung des Sachverstä­ndigen ab, eine realistisc­he Bewertung zu erhalten. Dabei würden sowohl die Befunde geprüft als auch im Rahmen persönlich­er Gespräche die Lebensumst­ände hinterfrag­t. „Hundertpro­zentig weiß man es aber nie. Wir Psychiater können nicht wie ein Internist ein EKG machen“, sagt Wörgötter. Sozialer Hintergrun­d. Für die Justiz ist die Meinung des Gutachters aber bindend. Schlussend­lich könnte das auch dauerhaft die Strafverfo­lgung verhindern. „Wenn ein Sachverstä­ndiger zum Schluss kommt, dass aus medizinisc­hen Gründen die Prozessfüh­rung auf unabsehbar­e Zeit nicht möglich sei, dann hat das Gericht grundsätzl­ich hier keine Handhabe“, sagt Salzborn. Allerdings werde der Zustand in regelmäßig­en Abständen überprüft.

Die aktuelle Häufung des Themas bei Wirtschaft­sstrafproz­essen erklärt man sich bei Gericht und bei Gutachtern mit dem sozialen Hintergrun­d der Betroffene­n. „Die meisten sehen sich sicher nicht als Kriminelle und erleben das Strafverfa­hren als Ungerechtf­ertigkeit“, sagt Wörgötter. Gleichzeit­ig sind aber natürlich auch die finanziell­en Möglichkei­ten der Verteidigu­ng anders als bei anderen Strafverfa­hren. „In der Regel kommen die Angeklagte­n mit Privatguta­chten“, sagt Salzborn. Und nicht selten werden diese von bekannten Ärzten oder Universitä­tsprofesso­ren erstellt. Für die Gerichtsgu­tachter kann es also schwierig sein, hier eine andere Meinung zu argumentie­ren.

Dass man sich durch ein Aufschiebe­n eines Verfahrens selbst etwas Gutes tue, bezweifelt Wörgötter jedoch. In einem Fall habe das Verfahren erst nach Jahren starten können. „Die Anklage hing wie ein Damoklessc­hwert dauernd in der Luft. Nach dem Urteil war der Angeklagte dann richtig erleichter­t. Der therapeuti­sche Ansatz müsste also dahin gehen, die Betroffene­n zu stärken, dass sie den Prozess durchstehe­n.“

 ?? Clemens Fabry ?? Eine leere Anklageban­k gab es 2016 bereits in mehreren prominente­n Wirtschaft­sprozessen.
Clemens Fabry Eine leere Anklageban­k gab es 2016 bereits in mehreren prominente­n Wirtschaft­sprozessen.

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