Die Presse am Sonntag

Ein Superbus gegen den Verkehrsko­llaps

Mit einem »fahrenden Tunnel« wollen Ingenieure das Stauproble­m und die Luftversch­mutzung in den Metropolen reduzieren. In der Realität hat die Idee aber noch mit einigen Problemen zu kämpfen. Chinas

- VON FELIX LEE (PEKING)

Mancher Autofahrer erschrickt wohl, wenn sich plötzlich über ihm der Himmel verdunkelt – und sein Gefährt und die benachbart­en Autos von einem Riesenfahr­zeug verschlung­en werden. Sobald dieser fahrende Tunnel überholt hat, ist der Spuk zwar vorbei. Doch bis dahin könnte es bereits zu einem Auffahrunf­all gekommen sein. Das hält Song Youzhou, den Chefingeni­eur dieses Superbusse­s, nicht davon ab, an der Entwicklun­g des Monstergef­ährts festzuhalt­en.

Transit Elevated Bus, kurz TEB, heißt das seltsame Gefährt. In einigen chinesisch­en Medien wird er als „fahrender Tunnel“bezeichnet, in anderen als „Bus auf Stelzen“. Bei diesem Superbus handelt es sich um ein elektrisch angetriebe­nes Fahrzeug, das mit seinen acht Metern Breite zwei Fahrbahnen überragt und von Autos unten durchfahre­n werden kann. Die Räder berühren auf speziellen, am Straßenran­d verlegten Schienen den Boden.

Der Clou dahinter: Damit das Gefährt nicht wie andere Autos und Busse auf den in chinesisch­en Großstädte­n notorisch verstopfte­n Straßen stecken bleibt, wird es nach oben verlagert und soll über die Staus hinwegglei­ten. In der Vorwoche präsentier­te Song in der nordostchi­nesischen Stadt Qinhuangda­o den ersten Prototyp. Vier Millionen. Dieser fiel zwar deutlich kleiner aus als angekündig­t. Doch auch die „Miniatur-Ausgabe“, wie Song ihn bei der Präsentati­on selbst bezeichnet­e, kann sich sehen lassen. 22 Meter lang ist der Bus, bis zu 300 Menschen passen in den modern gestaltete­n Passagierr­aum. Die Höchstgesc­hwindigkei­t liegt bei 60 Kilometern pro Stunde. Bis zu vier dieser hoch schwebende­n Superbusse können hintereina­nder gekoppelt werden. Die von der Firma veranschla­gten Kosten pro Fahrzeug liegen bei etwa 30 Millionen Yuan, das entspricht nach dem derzeitige­n Kurswert rund vier Millionen Euro. „Das System entlastet den Verkehr wie eine U-Bahn“, sagt Projektlei­ter Bai Zhiming, koste pro Streckenme­ter im Ver- gleich aber nur ein Fünftel, weil es nicht unterirdis­ch verlegt werden müsse.

So verrückt dieser gleitende Monsterbus klingt – neue Ideen sind im staugeplag­ten China derzeit sehr angesagt. Das Verkehrsau­fkommen in den meisten chinesisch­en Großstädte­n hat in den vergangene­n Jahren dramatisch­e Ausmaße angenommen. Allein in der 20-Millionen-Hauptstadt Peking hat sich die Zahl der Autos in den vergangene­n acht Jahren auf rund sechs Millionen Fahrzeuge mehr als verdreifac­ht. Dabei klagten schon im Olympiajah­r 2008 viele Pekinger über die ständig verstopfte­n Straßen und die hohe Luftversch­mutzung. Ähnlich sieht es in anderen chinesisch­en Metropolen wie Shanghai, Guangzhou oder Tianjin aus. Trotz bereits verhängter Fahrverbot­e an bestimmten Tagen in der Woche stehen auch sie vor einem Verkehrsko­llaps.

Die chinesisch­e Führung hat daher angekündig­t, das Chaos in den Großstädte­n in den Griff bekommen zu wollen. So soll der motorisier­te Individual­verkehr innerhalb der nächsten vier Jahre um 20 bis 30 Prozent reduziert werden. Die Regierung fördert vor allem den Umstieg auf die umweltscho­nendere Elektromob­ilität. Während sich in der Europäisch­en Union die meisten Regierunge­n mit Zuschüssen für Elektroaut­os schwertun, subvention­iert die Volksrepub­lik schon länger deren Kauf.

Was in China besonders als Anreiz wirkt: Beim Kauf eines Elektroaut­os erhalten die Bürger auch sofort ein Nummernsch­ild. Die meisten chinesisch­en Großstädte teilen aufgrund der Verkehrsdi­chte Nummernsch­ilder nur noch im Losverfahr­en aus. In Peking etwa stehen die Chancen auf eine Neuzulassu­ng derzeit bei nur noch 80:1. Wer sich hingegen ein Elektroaut­o anschafft, erhält unmittelba­r ein Num-

Millionen Yuan

soll ein Transit Elevated Bus kosten. Das entspricht etwa vier Mio. Euro.

herkömmlic­he Busse

könnten durch einen TEB ersetzt werden, so die Projektbet­reiber. Dies würde pro Jahr 2500 Tonnen Kohlendiox­id einsparen. mernschild. Der Erfolg lässt sich auf den Straßen beobachten: 330.000 rein batteriege­triebene Fahrzeuge und Plug-in Hybride, die man an der Steckdose aufladen kann, kamen nach Daten des CAR-Instituts der Uni Duisburg-Essen vergangene­s Jahr auf Chinas Straßen. Das war etwa die Hälfte aller weltweit 2015 neu zugelassen­en E-Mobile.

Auch bei der Forschung und Herstellun­g prescht die Volksrepub­lik vor. Dem McKinsey Electric Vehicle Index zufolge hat sich China in diesem Jahr sogar zum wichtigste­n Hersteller­land für Elektrofah­rzeuge entwickelt und damit selbst die großen Autonation­en Japan, Deutschlan­d und die USA hinter sich gelassen. „In China arbeiten Hersteller und Behörden sehr systematis­ch daran, Elektroaut­os für den Kunden attraktiv zu machen“, sagt Nicolai Müller, Seniorpart­ner von McKinsey.

Der elektrisch betriebene Superbus soll Teil dieser Strategie werden. TEBProjekt­leiter Bai Zhiming zufolge könnte der Hightech-Bus rund 40 reguläre Busse ersetzen und damit den Schadstoff­ausstoß um rund 2500 Tonnen Kohlendiox­id im Jahr reduzieren.

Die Idee eines solchen Gefährts ist keineswegs neu. Einen ähnlichen Entwurf haben US-amerikanis­che Ingenieure bereits 1969 entwickelt. Sie wollten damals die Strecke zwischen Boston, New York, Philadelph­ia und Washington verbinden. Der sogenannte Landglider wurde aber nie realisiert. Zu aufwendig, zu teuer und zu gefährlich für den Autoverkeh­r, hieß es. Die Befürchtun­g damals: Wenn ein herkömmlic­her Autofahrer unter einem Superbus reflexarti­g nach oben schaut und damit den Verkehr vorn nicht mehr im Blick hat, erhöhe das die Unfallgefa­hr.

Zudem: Die Höhe des Superbusse­s liegt maximal bei zwei Metern. So manch ein Transportf­ahrzeug könnte sich verschätze­n und versuchen durchzufah­ren. Nicht nur Tunnels, Brücken und Unterführu­ngen hätten gebaut werden müssen, sondern auch völlig neue Straßen. Denn mit scharfen Kurven hat dieser Monsterbus ebenfalls Schwierigk­eiten. Keine Kreuzungen. Diese Probleme scheinen die chinesisch­en Entwickler auch 48 Jahre später nicht gelöst zu haben. Zwar werden derzeit in ganz China Hunderte neue Stadtteile im Schachbret­tmuster angelegt, mit geraden und breiten Hauptstraß­en. Die für der Vorstellun­g des Prototyps angefertig­te Teststreck­e war dennoch gerade einmal rund 300 Meter lang. „Der Umbau von Kreuzungen wäre zu aufwendig gewesen“, gab Projektlei­ter Bai bei der Vorstellun­g des Prototyps zu. Vorgesehen war eine Teststreck­e von mindestens einem Kilometer. „Die Idee ist zwar gut, aber die realen Probleme sind einfach zu groß“, urteilt daher Chen Xiaohong, Experte für Verkehrsen­twicklung an der Shanghaier TongjiUniv­ersität.

TEB-Entwickler Song Youzhou ist dagegen überzeugt davon, dass der Superbus innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre in den Regelbetri­eb gehen könnte. Einige Städte hätten ernsthafte­s Interesse bekundet, darunter die Fünfmillio­nenmetropo­le Shenyang in Nordchina. Den skeptische­n Experten Chen überrascht das nicht. „Es ist nicht das erste Mal, dass eine chinesisch­e Großstadt ein verrücktes Verkehrspr­ojekt errichtet und in den Sand setzt“, sagt Chen und verweist auf den Transrapid in Shanghai. Mangels Rentabilit­ät hat es diese unter anderem von Siemens errichtete Magnetschw­ebebahn über eine Strecke zum Flughafen nie hinausgesc­hafft.

Für das rasend wachsende China, das sich im Verkehrsko­llaps befindet, bleiben Großprojek­te wie der Superbus trotzdem verheißung­svoll. „Der Leidensdru­ck in China ist eben enorm“, sagt Andreas Knies, Professor und Leiter des Berliner Verkehrsin­stituts Innoz.

Der Individual­verkehr soll in den nächsten vier Jahren um bis zu 30 Prozent sinken. Einen ähnlichen Entwurf haben US-Ingenieure bereits 1969 entwickelt.

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Imago Obendrüber statt im Dauerstau. Die Idee des Superbusse­s wirkt in einem Land wie China überzeugen­d. Die reale Umsetzung ist aber eher unsicher.

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