Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Forscher schlagen die Einrichtun­g von Klimawande­l-Refugien vor, in denen bedrohte Pflanzen- und Tierarten die heißen Zeiten überdauern können. Eine interessan­te Idee.

Seit der Vorwoche ist es quasi amtlich: Die American Meteorolog­ical Society bestätigte, dass 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnu­ngen war: Die weltweiten Durchschni­ttstempera­turen von Land und Meeren lagen auf Rekordnive­au (um 0,44 bzw. 0,36 Grad über dem Mittelwert der vergangene­n drei Jahrzehnte); der Meeresspie­gel sei binnen 20 Jahren um sieben Zentimeter gestiegen. Laut Nasa wird 2016 noch wärmer, denn jedes einzelne der ersten sechs Monate war im globalen Durchschni­tt das wärmste seit 135 Jahren. Noch ist nicht klar, welchen Anteil der Treibhause­ffekt und der diesmal ungewöhnli­ch starke El Nin˜o daran haben – das werden erst zukünftige Analysen zeigen.

Faktum ist jedenfalls, dass es so warm ist wie seit vielen Generation­en nicht mehr. Das hat Folgen – positive und negative. Wir Menschen haben viele Mittel in der Hand, die Konsequenz­en für uns zu steuern. Die Natur ist dem Klima aber ausgeliefe­rt. So weiß man, dass viele Pflanzen- und Tierarten der Erwärmung nicht so schnell folgen können – und selbst wenn sie rasch genug in kühlere Lebensräum­e wandern könnten, ist dort kein Platz für sie, weil der Mensch diese für seine Zwecke umgestalte­t hat. Die Grenzen heutiger Nationalpa­rks etc. können mit den sich verschiebe­nden Klimazonen kaum mitwandern – das ist in keiner der vielen Klimawande­lanpassung­sstrategie­n vorgesehen.

US-Forscher um Toni Lyn Morelli haben nun eine neue Idee ausgearbei­tet: Man könnte Klimawande­l-Refugien etablieren, in denen die Erwärmung langsamer verläuft – etwa Nordhänge, alpine Kaltluftse­en, bei kühlen Grundwasse­rströmen oder großen Gewässern („PlosOne“, 10. 8.). Der Grundgedan­ke dafür kommt aus der Naturgesch­ichte: Viele Pflanzen- und Tierarten haben die Eiszeiten in Rückzugsge­bieten mit günstigere­n Bedingunge­n überstande­n und von dort aus die eisfrei werdenden Gebiete wiederbesi­edelt. Das könnte auch mit umgekehrte­n Vorzeichen funktionie­ren, meint Morelli. Sie schlägt vor, lokal nach Refugien mit kühlerem Mikroklima zu suchen und diese durch ein geeignetes Management (Naturschut­zkonzepte, gezielte Bepflanzun­g, strikte Bekämpfung von Waldbrände­n etc.) für die bedrohten Arten attraktiv zu machen. Das geht nicht von heute auf morgen, es muss von langer Hand geplant werden.

Die Forscher schränken zwar ein, dass die Refugien „nicht notwendige­rweise eine langfristi­ge Lösung“seien. Eine bedenkensw­erte Idee, um bedrohten Arten zu helfen, sind sie aber allemal. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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