»Frag nach in den Favelas, was man von Olympia hält«
Jan Age˚ Fjørtoft genießt Olympia in Rio, wundert sich aber über das geduldete Leid in den Favelas und die ungeheuer schwache Sele¸c˜ao. Der Norweger nimmt Österreichs Kicker in Schutz, schwärmt von Rapid – und liebt seinen »Ziehvater« Hans Krankl.
Bei Olympia steht der Fußball selten im Vordergrund, hier in Brasilien aber schon. Die Bevölkerung lehnt die Spiele trotzdem ab, es gab auch vor der Fußball-WM Proteste. Haben Sie eine Antwort darauf? Jan Age˚ Fjørtoft: Mein erster Eindruck war, dass ich 2014 hier nicht dabei war, leider. Aber bei Olympia wollte ich unbedingt sein. Die Probleme hier in Rio sind nicht zu übersehen, es ist nicht alles klasse. Das tägliche Leben ist hart hier, die Menschen sind arm, und es wäre falsch, wenn sich der Sport nicht auch mit ihnen beschäftigt. Sich nur über Demonstrationen und Proteste zu wundern, bringt und ändert nichts. Aber Rio ist eine klasse Stadt. Sind Sportereignisse dieser Größenordnung ein geeignetes Mittel, um ein Land aus der Krise zu führen oder nicht doch eher aufgrund ihrer hohen Kosten und Aufwendungen ein kapitales Eigentor? Ich bin mit dieser Sicht einverstanden, es ist oft ein Eigentor. Das zeigt sich bei vielen anderen Ländern, Abstimmungen in westlichen Nationen bringen zumeist ein Ergebnis, egal, ob Schweiz, Deutschland oder Norwegen: Man will die Spiele nicht. Sie sind zu teuer, zu groß. Warum soll man denn die Spiele in seiner Stadt haben wollen – auf diese Frage braucht man sehr gute Antworten, und die sind schwierig. Anders ist das aber der Bevölkerung nicht mehr zu erklären. Norwegen ist ein kleines Land, hat enormen Nationalstolz, Topsportler, aber die ganze soziale Akzeptanz muss doch da sein für so ein großes Projekt. Und das ist das Problem. In Peking, Kasachstan oder Russland gibt es das nicht, da finden auch WM und Olympia gern und oft statt. Solange der Westen keine Antwort auf diese Tatsachen findet, kann man oder sollte man keine Spiele austragen. Also bringt Olympia einer Stadt wie Rio zu wenig Nachhaltigkeit und neue Infrastrukturen. Immerhin gibt es eine U-Bahn . . . . . . frag doch die Menschen in den Favelas, was sie von Olympia halten. Ich denke, die haben dort ihre ganz andere Sichtweise zu diesen fünf Ringen. Diebstähle und Überfälle sind auch die größten Probleme bislang hier. Naja, das gehört in so einer Stadt auch dazu, davor waren aber alle gewarnt. Und ich gehöre nicht zu denen, die sich jetzt hinstellen und mit dem Finger auf die Diebe zeigen, das Land schlechtreden. Wir hatten einmal das Nationalteam von Südafrika in Oslo zu Gast. Da reden doch auch alle immer davon, dass Kapstadt oder Johannesburg so gefährlich sind. Und dann kommen sie nach Oslo und werden bei uns ausgeraubt. Das war dann schon ein bisschen komisch. So kann man das also nicht deuten. Man muss verstehen, welche sozialen Konsequenzen so ein Event haben kann, aber eben auch mit sich bringt, wenn man hierherkommt. Brasilien liebt Fußball, aber die Sele¸c˜ao versagt. 1:7 bei der WM, nun bei Olympia die nächste Enttäuschung. Was läuft da falsch? Naja, das Judo-Girl hat zumindest für eine super Geschichte und etwas Ablenkung gesorgt, das „Golden Girl aus der Favela“hat auch mich bewegt. Aber die Fußballer sind eine Katastrophe. Ich habe Brasilien gegen Irak gesehen und konnte kaum meinen Augen trauen, wie die spielen. 0:0, unglaublich. Im Fußball ist alles möglich, sie sind ja weitergekommen . . . Welche Emotionen weckte die Fußball-EM? Ich habe in Österreich, Deutschland und England gespielt und immer den Teams die Daumen gedrückt. Ich kenne ein paar Österreicher, Marc Janko ist mir ein Begriff. Ich war mit Norwegen 1994 bei der WM in den USA, Österreich hat mich bei der EM daran erinnert. Wir hatten damals auch keine Erfahrung, keine Meister, es fehlte die Routine. Das ist schon wichtig bei einem Turnier, da braucht man aber kein großartiger Analytiker sein, oder? Ich will aber von außen nicht hineinreden, da fehlt mir doch der Zugang. Es führt nichts an dieser Frage vorbei: Rapid. Wie sehr fühlen, leiden, jubeln Sie noch mit Grün-Weiß? Dieser Klub ist für immer in meinem Herzen, ich bekomme sogar immer noch Briefe und Karten. Leider habe ich die Eröffnung des neuen Stadions verpasst. Ich bin sehr stolz darauf, ein kleiner Teil der Rapid-Geschichte zu sein. Ich habe nur gute Erinnerungen an die schöne Zeit in Wien und an meinen „Ziehvater“Hans Krankl, der mich geholt hat. Stimmt die Geschichte, er hätte Sie beim Kennenlernen Flanken schießen lassen, um Ihnen zu zeigen, wie man von der Strafraumgrenze Volleytore schießt? Mein Klub, Lillestrøm, wollte mich damals eigentlich gar nicht weglassen, aber Skender Fani hat mich so oft angerufen. Er wollte mich unbedingt nach Wien zu einem Probetraining holen. Der letzte Anruf kam an einem Freitag. Ich lehnte ab, ich hatte zwei Tage zuvor geheiratet, da kann man ja nicht weg. Er sagte: „Willst du nicht Fußballprofi werden? Bei Rapid kannst du das. Also gut, am Sonntag bist du da.“Es war ein Showtraining im Hanappi-Stadion, dann habe ich einige Volleys gemacht – für fünf Minuten! Dann hat mich Krankl eine Viertelstunde lang flanken lassen, und er hat die Volleytore gemacht . . . Hans hat immer zu mir gesagt: „Jan, du wirst mir immer dankbar sein, dass ich dich geholt habe.“Das stimmt heute noch. Wenn wir über Transfers sprechen, der Wahn rund um Paul Pogba, der 110 Millionen Euro gekostet haben soll, verunsichert der den Fußball? Und: Ist ein Spieler diese Summe wert? Wahnsinnig ist das schon, aber die Marktwirtschaft ist jetzt nicht neu erfunden worden, oder? Wenn Manchester dieses Geld überweist, wird es weiterverteilt, und andere Spieler werden bei anderen Klubs damit gekauft. Aber, wie viel kassieren die Vermittler, die nehmen sehr hohe Summen raus. Dieses Geschäft müsste man sich anschauen. Das ist keine Überraschung – und es wird noch teurer werden.