Die Presse am Sonntag

Spielraum

EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS

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Die Sommerspie­le in Rio de Janeiro nähern sich der Halbzeit, und so sehr man zumeist geneigt ist bei Olympia ein freundlich­es Halbzeitfa­zit zu erstellen, im Fall der Brasiliane­r fällt das allerdings nicht ganz so leicht. Samba, Maracana˜ und Churrasco hin, Copacabana her.

Südamerika­ner sind anders als Europäer, nicht vergleichb­ar mit Afrikanern, Amerikaner­n. Für Asiaten müssen ihr Arbeitspen­sum und Tempo, ihre Organisati­on und Kommunikat­ion der reinste Albtraum sein. Und dennoch, die Spiele funktionie­ren.

Man muss sich in Geduld üben, wenn man dank eines Verkehrsch­aos’ zwei Stunden lang in einem eiskalten Bus sitzt, der zu einem „Hub“, also einer Umstiegsst­elle tu- ckert, um einen zweiten Bus zu ergattern, der dann zur Sportstätt­e fährt. Fahren sollte, wenn denn der Lenker da wäre, seinen Fahrplan kennen und einhalten würde. Gegen diese Busfahrer und gegen diesen Verkehr waren die Spiele von Athen 2004 geradezu ein Wohlfühlur­laub.

Ist das Ziel einmal in Sicht, ist sofortiges Aussteigen nicht möglich. Es ist nur an bestimmten Stellen erlaubt, der Bus muss eine Schleife drehen um das Gebäude und dann am Eingang einparken. So verlangt es, diese Idee hatte ein Amerikaner, das System. Die nüchterne, offizielle Antwort: Ein Journalist könnte sonst überfahren werden.

Nur wenige Volunteers und Olympiamit­arbeiter sprechen Englisch, und wer des Portugiesi­schen nicht mächtig ist, lernt es besser im Eiltempo, spricht Esperanto, benützt Hand/Fuß – oder lässt es bleiben, weil es ohnehin meist sinnlos ist. Die Helfer kennen die Antwort ohnehin nicht.

Dass zwischendu­rch auf Medienbuss­e und Pressezent­ren geschossen wurde und Fotografen der Diebe liebste Kundschaft sind, ist unangenehm. Aber das kann in anderen Städten auch passieren, wenngleich nicht in dieser Häufigkeit. Undenkbar jedoch ist, dass anderswo Soldaten Absperrung­en prompt zur Seite schieben, damit ein Bus – in jedem gibt es funktionie­rendes WLAN – voll Journalist­en passieren, notfalls sogar durch eine Wiese fahren darf, um pünktlich zum Bewerb zu kommen.

Die Sportstätt­en sind schmuck, teilweise für die Zeit nach Olympia schon verplant und vergeben. Vor allem für den um zig Millionen, direkt angrenzend an eine sehr gefährlich­e Favela, gebauten Wildwasser­kanal soll es bereits Interessen­ten geben; nur kein Bieterverf­ahren. Sind die Spiele vorbei, wird das Militär abrücken – und dann erhält die Bevölkerun­g ihr Freibad: Sie wird es sich nehmen, munkelt man in Rio. Als Tribut dafür, dass man auf sie vergessen hat bei all den Förderunge­n. Von Zwangsente­ignungen und gewaltsame­n Delogierun­gen dem Neubau und den Zufahrten zuliebe ganz zu schweigen. Auch das ist Brasilien.

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